Europas Streit um Klimaschutz:Das Minimalziel ist in Gefahr

Braunkohlekraftwerk in Jänschwalde

Das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg. Mit dem Emissionshandel regulieren die Europäer den CO₂-Ausstoß der Industrie.

(Foto: dpa)

Kommende Woche wollen die EU-Staaten neue Klimaziele beschließen. Doch die Verhandlungen stocken, denn vor allem zwischen Ost und West verlaufen tiefe Gräben.

Von Michael Bauchmüller, Berlin, und Cerstin Gammelin, Brüssel

Die Zahl 80: Fett prangte sie am Montag auf Seite eins der wichtigsten polnischen Boulevardzeitung Fakt. "Achtung!", titelte das von Axel Springer gehaltene Blatt auf Deutsch, die Energiepreise würden um 80 Prozent steigen. Um anschließend auf den Preistreiber hinzuweisen: Deutschland. "Wenn Premierministerin Ewa Kopacz gegenüber Deutschland auf dem EU-Klimagipfel in Brüssel einknickt, wird sie uns in die finanzielle Hölle führen."

Nicht zum ersten Mal verweigert sich das Kohleland Polen dem Klimaschutz. Diesmal aber ist dort Wahlkampf; populistische Parolen über Energiepreise und Klimaschutz taugen offensichtlich besonders gut, um Wähler zu gewinnen. In der kommenden Woche wollen die 28 europäischen Staats- und Regierungschefs neue Klimaziele vereinbaren, für die Zeit nach 2020.

Sie sollen die Europäer bis 2030 zum Klimaschutz verpflichten, mit 40 Prozent weniger Emissionen mindestens, im Vergleich zu den Werten von 1990. Und sie sollen der Staatengemeinschaft im kommenden Jahr zu einem neuen globalen Abkommen verhelfen - auszuhandeln in Paris.

Berlin möchte ein ambitioniertes Klimapaket

Doch die Verhandlungen stocken, und das nicht nur wegen Polen. Eine Woche vor dem Termin sind erst 14 der 28 Mitgliedstaaten grundsätzlich bereit, das avisierte Paket auf dem Gipfel zu verabschieden. Sechs Hauptstädte sind unentschieden, weil sie zuerst nationale Interessen berücksichtigt sehen wollen.

Acht Länder sind dagegen. Keiner der Mitgliedstaaten rücke von seinen Maximalpositionen ab, notiert ein enttäuschter Sitzungsleiter nach einer der Beratungen, in denen die Botschafter der 28 Länder dieser Tage harte Verteilungskämpfe ausfechten. "Eine weitere Tischrunde dieser Art", protokollierte ein Teilnehmer, "müsse vermieden werden."

Doch die Fronten sind hart. Vorige Woche war Premierministerin Kopacz zu Gast bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Sehr schwierig" seien die Verhandlungen zum Klimapaket, beschied Kopacz anschließend. Und: "Nach diesem Gipfel möchte ich nach Warschau zurückkommen und sagen, dass ich den Strompreis für elektrische Energie beschützt habe und sich nichts verändert hat."

Merkel deutete den Zwist mit der neuen Regierungschefin zum Zeichen der Vertrautheit um. Schließlich hätten sie "sozusagen gleich das erste schwierige Thema bei den Hörnern gepackt". Beim Strompreis aber sei sie anderer Meinung.

Bei den Marathonsitzungen in Brüssel pokern auch deutsche Diplomaten. Zwar wolle Berlin ein ambitioniertes Klimapaket, "aber nicht zu jedem Preis", verlautete nach einer Sitzung. Die finanzielle Solidarität, wie sie etwa Polen einfordert, sei wichtig, aber begrenzt. Schon spricht auch Merkel davon, dass der EU-Klimagipfel scheitern könnte. "Uns stehen schwierige Verhandlungen bevor", sagte sie am Donnerstag im Bundestag. Ob es nächste Woche eine Einigung gebe, sei noch offen.

Verteilungskämpfe auch im Westen

Eine neuerliche Verschiebung wäre für die Europäer eine Blamage. Spätestens bis zum März sollen die Staaten einreichen, was sie für ein neues Klimaabkommen zu tun bereit sind. China und die USA haben angekündigt, bis dahin liefern zu wollen.

Reinhard Bütikofer, Chef der Europäischen Grünen, diagnostizierte am Donnerstag enttäuscht, die EU führe in der Klimapolitik seit 2009 einen "Verteidigungskampf mit abnehmender Kraft". Tatsächlich fiele Europa selbst mit einer Treibhausgasminderung um 40 Prozent - gemessen an 1990 - hinter seine bisherigen Ambitionen zurück. Dies sei "viel zu wenig", um wie geplant bis 2050 mindestens 80 Prozent weniger schädliches Treibhausgas auszustoßen, kritisiert der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes.

Die Botschafter der 28 Mitgliedstaaten wären dagegen schon froh, sich wenigstens darauf zu einigen. Weniger als 40 Prozent wäre eine "politische Niederlage für Europa", sagt einer von ihnen. Selbst die 40-Prozent-Marke könne nur erreicht werden, wenn sich die Europäer zusätzlich verpflichteten, Energie effizienter zu verbrauchen und Öko-Energien auszubauen.

Polen pocht auf einen "Solidaritätsmechanismus"

Auf dem Verhandlungstisch liegen dazu zwei Ziele: 30 Prozent mehr Energieeffizienz und 27 Prozent mehr Energieerzeugung aus grünen Quellen, beide unverbindlich für die Hauptstädte. Die Umweltorganisation Greenpeace hat errechnet, dass diese Ziele den Ausbau der erneuerbaren Energien europaweit "praktisch zum Erliegen bringen". Die Ausbaurate würde von bisher sechs auf ein Prozent fallen, sagt Energieexpertin Franziska Achterberg.

Zu denen, die sich generell gegen neue Verpflichtungen sperren oder viel Geld aus dem Solidaritätstopf haben wollen, gehören die sogenannten Visegrád-Staaten Ungarn, Tschechien, Polen und die Slowakei, aber auch andere Osteuropäer. Kollegen aus den westlichen Ländern sind darüber zunehmend verärgert. "Auf der einen Seite fordern sie, dass Energiequellen diversifiziert und Energieversorgung sicher gemacht werden soll, aber sie sind nicht bereit, selbst etwas dafür zu tun", berichtet ein Unterhändler über die Stimmung.

Polen dagegen pocht auf einen "Solidaritätsmechanismus", der aus Einnahmen des Emissionshandels gespeist werden soll, mit dem die Europäer den CO₂-Ausstoß der Industrie regulieren. Schon einmal, 2008, hatte Warschau mit derlei Wünschen Erfolg. Damals hatten die Europäer um ein Klimaziel bis 2020 gerungen, auch damals stand Polen auf der Bremse.

Am Ende lenkte die Regierung ein - gegen Hilfen bei der Modernisierung von Kohlekraftwerken. Doch den Großteil des Geldes, über fünf Jahre etwa 7,5 Milliarden Euro, investierte Polen in die Zukunft der Kohle. "Wären die Milliarden wie vorgeschrieben genutzt worden, hätte Polen jetzt einen lebensfähigen, sauberen Energiesektor", sagt Joris den Blanken, Direktor bei Greenpeace Europa. Und wäre unabhängiger von russischen Energielieferungen.

Auch im Westen des Kontinents gibt es handfeste Verteilungskämpfe, dabei geht es vor allem um Gas- und Stromleitungen. Frankreich zögert, die iberische Halbinsel energetisch an den Kontinent anzuschließen - aus Sorge vor neuer Konkurrenz für heimische Anbieter. Spanien und Portugal wollen diesen Widerstand endlich brechen; sie haben ihre Zustimmung zum Paket davon abhängig gemacht, dass die nötigen Elektrizitäts- und Gasleitungen über die Pyrenäen gebaut werden. Immerhin gibt es eine Annäherung: Paris will sich "gewisse Projekte anschauen".

Die Franzosen sind unter Zugzwang. Sie haben als Gastgeber der Klimakonferenz größtes Interesse an ambitionierten Zielen. Ihr wichtigster Verbündeter ist - Donald Tusk. Im Dezember übernimmt der ehemalige polnische Premier das Amt des EU-Ratspräsidenten. Gelingt es nächste Woche nicht, das Paket zu schnüren, wird er in neuer Funktion seine Landsleute zum Klimaschutz verpflichten müssen. Mitten im Wahlkampf.

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