"Polizeiruf" und "Starnbergkrimi":Nackte Tatsachen

Polizeiruf 110

Matthias Brandt spielt auch in seinem achten "Polizeiruf" wieder mit vollem Trenchcoat-Einsatz.

(Foto: Julia von Vietinghoff)

Am Wochenende gibt es Dominik Graf doppelt: Sein Starnbergkrimi "Die reichen Leichen" ist mehr Comedy als Cop-Thriller. In seinem "Polizeiruf" geht es härter zu. Was als FKK-Ermittlung im Englischen Garten beginnt, kippt in ein brutales Sadismus-Kammerspiel.

Von David Steinitz

Ermittlungen am Eisbach im Englischen Garten, das muss man für alle Nicht-Münchner erwähnen, sind deshalb eine Herausforderung für jedes Verhör, weil sich hier hauptsächlich Freunde der Freikörperkultur versammeln. Kommissar Hanns von Meuffels ist kein Freund der Freikörperkultur.

Matthias Brandt spielt ihn auch in seinem achten Polizeiruf wieder mit vollem Trenchcoat-Einsatz, der beste aller aktuellen TV-Krimi-Großstadtcowboys, der sich in dieser Folge also inmitten einer Traube nackter Münchner wiederfindet. Die könnten etwas gesehen haben, einen Hinweis geben, auf den Mörder der jungen Journalistin, die erschlagen wurde, weil sie einem Skandal auf der Spur war. Das Blut in ihrer Wohnung ist bis zur schönen Altbaudecke hinaufgespritzt, dafür muss man ziemlich fest zuschlagen.

Im Klamaukmodus

Dominik Graf, der beste aller aktuellen TV-Krimi-Großstadtcowboy-Inszenierer hat, nach dem ersten Polizeiruf-Auftritt Brandts 2011, auch diese Folge inszeniert, sie trägt den Titel "Smoke on the Water". Graf war zuletzt ein bisschen im Klamaukmodus, sein letzter Tatort zum Beispiel eine reine Slapstick-Travestie. Wem das gut gefallen hat, der dürfte an diesem Wochenende vor allem mit Grafs anderem Film, der am Samstag ausgestrahlt wird, glücklich werden: Die reichen Leichen. Ein Starnbergkrimi ist wieder mehr Comedy als Cop-Thriller.

Ein König-Ludwig-II.-Gedächtnisfall im totgentrifizierten Luxusvorort. Hübsche blonde Polizistinnen treiben da nackt im glitzernden Starnberger See, auch tote Königsdoubles, und zwar exakt an der Stelle, an welcher der Original-Ludwig 1886 unter mysteriösen Umständen ersoff. Eine Exil-Dortmunderin und ein bayerisches Urgestein geben das Ermittlerteam und legen sich auf der Spurensuche mit renitenten Ludwig-Forschern an. Irgendwie skurril, trotzdem dümpelt die Geschichte ein bisschen sehr zufrieden und sonnenverbrannt vor sich her wie die Yachten im See.

Im Polizeiruf hingegen geht es härter zu, halten sich Komödie und Cop-Story die Waage - nicht zuletzt, weil Brandts Meuffels-Rolle genauso konzipiert ist: 50 Prozent harter Polizist, 50 Prozent gaga. Und dieses Mischverhältnis liegt auch Graf ganz ausgezeichnet. Die ermordete Journalistin hat in einer Firma für Präzisionsmechanik recherchiert, gelegen im idyllischen Münchner Umland. Ihr Prestigeprojekt heißt "Kopernikus". Ob das irgendwas mit der Rüstungsindustrie zu tun hat, will Meuffels wissen, und der verhörte bayerische Wissenschaftler antwortet begeistert: "Dank ,Kopernikus' kannst a Kamel trotz Sandsturm und Qualmwolken auf 300 Kilometer mit 'nem Marschflugkörper direkt ins Arschloch treffen." Aus genau diesem Grund gibt es um die Firma auch heftigen Streit zwischen Friedensaktivisten und Kriegstreibern. Außerdem steckt ein undurchsichtiger Lokalpolitiker (Ken Duken) besonders tief im Präzisionsmechaniksumpf.

Brutales Sadismus-Kammerspiel

Nun wissen aber Dominik Graf und sein ebenfalls Meuffels-erprobter Drehbuchautor Günter Schütter, dass selbst der größte Krimifan seinen Fernseher aus dem Fenster schmeißen wird, wenn er noch ein einziges Mal einen Film erdulden muss, in dem der eigentliche Fall in einem übergeordneten Politmoraltheater à la Rüstungsindustrie absäuft.

Deshalb machen sie es genau umgekehrt: Kamele und Präzisionsmechanik spielen nur eine untergeordnete Rolle, und was als lockere FKK-Ermittlung im Englischen Garten beginnt, kippt in der zweiten Hälfte des Films in ein ziemlich brutales Sadismus-Kammerspiel. So brutal, dass Graf zwei Schnittfassungen erstellen musste, eine gekürzte für die Fernsehausstrahlung um 20.15 Uhr und eine ungeschnittene Version, die in der kommenden Woche auf den Hofer Filmtagen ihre Premiere haben wird.

Die schönste Szene ist aber ohnehin in beiden Versionen zu sehen. Meuffels, der in seinen bisherigen Polizeirufen selbst ganz schön durchgeschüttelt wurde - zuletzt in der Folge "Morgengrauen", in der er sich in eine Amour fou verstrickte - will eine Zeugin trösten. Sie war die Lebensgefährtin der toten Journalistin, hilflos steht sie vor dem Kommissar, der ihr erklärt, dass die Sache mit dem Leben ganz ohne Narben leider nicht funktionieren wird. Und so fängt er an, ihr seine eigenen Verwundungen zu zeigen: die rein physischen, von denen sein Körper übersät ist, und erzählt von den emotionalen, die dahinterstecken. Eine komplette Biografie - in Narben.

Die reichen Leichen, BR, Samstag, 20.15 Uhr; Polizeiruf 110, ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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