Wowereit-Nachfolge:Was für einen Typen braucht Berlin?

Lesezeit: 5 min

Die drei Kandidaten der SPD für das Amt des Regierenden Bürgermeisters (von links): Stadtentwicklungssenator Michael Müller, der Landesvorsitzende der Berliner SPD, Jan Stöß, und der Vorsitzende der Berliner SPD-Fraktion, Raed Saleh auf einem Archivbild vom September 2014. (Foto: dpa)

Heute beendet die Berliner SPD ihre Suche nach einem neuem Regierenden Bürgermeister vielleicht. Welcher von den drei Kandidaten in der ersten Runde des Mitgliederentscheids auch gewählt wird: Glamour und Spektakel dürften Bodenständigkeit weichen.

Von Jens Schneider, Berlin

Weltstädte sind ein großes Versprechen, das macht sie so anziehend. Schwierig wird es, wenn man ihren Versprechen nicht mehr glaubt, oder sie sicherheitshalber gar keine mehr geben.

Für den 11. Dezember hat Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit seinen Rücktritt angekündigt, nach 13 Jahren im Amt. Am Tag darauf sollte es eine gute Nachricht zu dem Bauprojekt geben, das dem Sozialdemokraten und der Stadt zur schweren Last wurde, weil nichts voran, aber viel schiefging. Für den Hauptstadtflughafen wollte Hartmut Mehdorn, Chef der Flughafengesellschaft, endlich einen Termin für die oft verschobene Eröffnung nennen. So kündigte er es im Sommer an.

Freilich wollte er sich nur festlegen, wenn er den Termin halten könnte. Jetzt wurde das Versprechen abgesagt. Mehdorn wird keinen Termin nennen. Von einem "Terminband" ist die Rede, einer Art Korridor, in dem die Eröffnung stattfinden soll. Man hört, die Arbeiten an der Brandschutzanlage ziehen sich hin. "Wir arbeiten die Themen Stück für Stück ab und kommen gut voran", sagt der Flughafen-Sprecher.

Im Roten Rathaus, Wowereits Amtssitz, kommentierte man das gelassen. Es gehe darum, dass der Flughafen Fortschritte mache. Ein unverlässlicher Termin wäre kein Fortschritt, sagte der Senatssprecher. Man verspricht lieber nichts mehr.

Flughafen als größte Hypothek

So wird für Wowereits Nachfolger der Flughafen die größte Hypothek sein. Eine Lösung hat keiner der drei Kandidaten. Wie auch? Nun wird diskutiert, ob weniger Politiker und dafür mehr technischer und planerischer Sachverstand in den Aufsichtsrat soll. Das könnte ein kleiner Neuanfang sein. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hat Sympathie für die Idee.

An diesem Samstag wird die Suche nach dem neuen Regierenden Bürgermeister vielleicht beendet, mindestens eine Vorentscheidung fallen. Manche Genossen erwarten, dass einer der drei Konkurrenten so klar vorn liegen wird, dass keine Stichwahl nötig ist.

In einer Art Vorgriff erklärte am Freitag der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum, dass er für einen neuen Senat unter dem Nachfolger nicht zur Verfügung stehen wird, wer immer es wird. Nußbaum zeigte zuletzt Wertschätzung für den jüngsten Kandidaten Raed Saleh. Zugleich gilt sein Verhältnis zu Jan Stöß und Michael Müller als schwierig. Im Senat soll der selbstbewusste Finanzsenator Müller oft ausgebremst haben.

Und die Erwartung geht in Richtung Müller. Der Stadtentwicklungssenator und Weggefährte von Wowereit galt noch vor Kurzem als abgemeldet. 2012 hatte er in einer Kampfabstimmung nach acht Jahren an der Parteispitze den Vorsitz an Jan Stöß verloren. Schwer vorstellbar erschien, dass die SPD einen zum ersten Mann Berlins wählen würde, den sie nicht mal mehr als Vorsitzenden wollte. Von ihm seien zu wenig Impulse gekommen, wurde damals kritisiert, er sei nur treuer Gehilfe Wowereits gewesen.

Jetzt gilt Müller als Favorit, bei Umfragen unter den Berlinern liegt er klar vorn. Wenn er Betriebe besuchte, begrüßten ihn Chefs schon als "unseren künftigen Regierenden". Müllers Stellung als Favorit könnte mit Eigenschaften zu tun haben, die bisher als seine Makel galten: seine blassen Auftritte, die solide Bodenständigkeit, das Fehlen von Visionen. Sie sollen als Antwort auf ein weit verbreitetes Gefühl dienen - das Gefühl, nicht gut regiert zu werden.

Wowereit, das verschrammte Maskottchen

Berlin erlebte in den vergangenen Jahren viel Spektakel, viel Wandel, Glanz und Glamour zogen ein. Dafür stand Wowereit. Er hat intern den Ruf eines harten Arbeiters.

Dennoch wirkte es immer öfter, als ließe er die Stadt mit Problemen allein; vom Streit um Flüchtlingslager bis zur Wohnungsknappheit. Er war das drollige, inzwischen verschrammte Maskottchen Berlins geworden, schon immer und immer noch da, als Führungsfigur abhandengekommen. Immer öfter ist die Rede von einer Sehnsucht nach Zuverlässigkeit.

Müller verspricht "einen neuen Stil der Politik, der von Ernsthaftigkeit und Sachlichkeit geprägt ist". Er bekannte sich zu Wowereit, sprach von "13 guten Jahren", und setzte sich doch ab. "Beim Glamour-Faktor gibt es bei mir noch Luft nach oben", erzählte er auf dem Mitgliederforum.

Müller und die Models

Neulich sei er mal wieder mit dem Klaus, also Wowereit, unterwegs gewesen. Innerhalb von zehn Minuten habe der wieder alle Models geküsst. "Würde ich doch auch gern machen", sagte Müller. Aber als dieser Klaus den Models dann gesagt habe: Das ist vielleicht der Nächste, den ihr küssen müsst, da seien die doch "einigermaßen verzweifelt" gewesen.

1 / 3
(Foto: N/A)

Michael Müller, 49, betrieb eine Druckerei, bevor er Senator für Stadtentwicklung wurde. Der erfahrene Kandidat führte viele Jahre die SPD-Fraktion und die Partei, bis die ihn abwählte.

2 / 3
(Foto: N/A)

Raed Saleh, 37, wuchs als Sohn eines Einwanderers aus dem Westjordanland in Berlin auf. Der SPD-Fraktionschef arbeitete sich aus einfachen Verhältnissen hoch, gründete ein Unternehmen in Spandau.

3 / 3
(Foto: N/A)

Seit 2012 führt der Verwaltungsrichter Jan Stöß, 41, die Berliner SPD. Der linke Sozialdemokrat verspricht der Partei einen Neuanfang mit mehr Investitionen in Personal und Infrastruktur.

Da hatten die Genossen auch bei Müller mal was zu lachen. Es wurde geschrieben, dass er mit dem fehlenden Glamour kokettiere. Falsch, sagte Müller. Er habe einfach keinen Glamour. "Es ist so."

Die Botschaft dahinter ist, dass Berlin Glamour reichlich hat, und nun er für das andere und die anderen sorgen werde. Müller sagte: "Genossinnen und Genossen, ihr kennt mich". Das erinnerte an den wichtigsten Satz aus dem letzten Wahlkampf von Angela Merkel: "Sie kennen mich."

Müller sprach davon, dass er 49 Jahre Berliner ist, also sein ganzes Leben, und die Sorgen derer kenne, die sich von den vielen Veränderungen überfordert fühlten. "Gutes Regieren" versprach er und reiht sich in die lange Riege der Politiker ein, die den sachlichen Auftritt zum Prinzip erklärt haben, von Olaf Scholz in Hamburg über Stephan Weil in Hannover bis zu Angela Merkel.

Seine Kontrahenten haben versucht, Müller zu stellen. SPD-Fraktionschef Saleh mahnte, dass die SPD keine Wahlen gewinnen könne, wenn sie langweilig sei, und nur verwalte. Der Sohn eines Einwanderers aus dem Westjordanland hat viel Sympathie gewonnen. Seine Konkurrenten spürten, dass der Berliner Muslim die spannendste Geschichte zu erzählen hatte und international Aufmerksamkeit erweckte.

Müller lobt, Saleh sei ein hervorragender Fraktionsvorsitzender. "Das soll er auch möglichst lange bleiben." Tatsächlich hat Saleh die Zeit auf seiner Seite. Für den jüngsten Kandidaten wird es nicht die einzige Chance auf höhere Weihen sein.

SPD-Chef Stöß drängte es oft danach, daran zu erinnern, dass Müller seit drei Jahren eines der größten Ressorts führt, als Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, zuvor zehn Jahre Fraktionschef war. War er nicht immer dabei, trägt er nicht Verantwortung für Versäumnisse?

Spürbarer noch als der Pannen-Flughafen ist als Problem in der Stadt der Mangel an bezahlbaren Wohnungen. Vorbei sind die Zeiten, in denen Berlin auch wegen günstiger Mieten attraktiv war. Wohnungen fallen in Müllers Ressort, er verteidigte sich, es entstünden viele neue Wohnungen.

Stöß konterte: "Das sind vor allem private Investoren, die meist viel zu teure Wohnungen bauen." Müller habe zu wenig für den sozialen Wohnungsbau getan. Der Senator kündigte an, sich für ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen einzusetzen: "Ich werde alles tun, das durchzusetzen."

Investitionen oder Haushaltskonsolidierung?

Immerhin, das kostet den Senat nichts. Die Bundeshauptstadt ist weiter hoch verschuldet, mit 18 000 Euro je Einwohner. In den letzten Jahren unter Wowereit und dem parteilosen Finanzsenator Ulrich Nußbaum wurde streng gespart, man konnte Schulden tilgen, drei Jahre in Folge. Berlins Wirtschaft wächst, lag beim Bruttoinlandsprodukt im Ländervergleich vorn. Kann es sich deshalb mehr leisten?

Stöß hat als einziger Bewerber ein Hundert-Tage-Programm vorgelegt und Investitionen versprochen in die marode Infrastruktur, für mehr Personal. Das würde 1,5 Milliarden Euro kosten, entgegnete Müller: "Ich verspreche nicht allen alles."

Verdruckster Wettbewerb

Auch Saleh warnte vor einer Abkehr vom Konsolidierungskurs. In solchen Momenten haben die drei auch mal gestritten. Ansonsten blieb es ein verdruckster Wettbewerb, ohne die leidenschaftliche Rivalität, die in Amerika die Primaries zu emotionalen Ereignissen werden lässt.

Bei der Berliner SPD stießen schon kleine Versuche auf Irritation. Anhänger von Saleh kamen in roten T-Shirts, auf denen sie sich zu ihm bekannten. Schon das fanden manche Genossen zu viel, "beinahe aggressiv".

Vielleicht hätte mehr Zuspitzung der Berlin gutgetan, auch die Suche nach Ideen für die Stadt. Diese Woche erinnerte die Partei alle 17 200 Genossen noch einmal, bitte abzustimmen. Bis Montag hatten sich erst 8402 beteiligt, weniger als die Hälfte. Nicht viel für die Zukunft einer Metropole mit 3,5 Millionen Einwohnern.

© SZ vom 18.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: