Amnesty-Bericht zur Ostukraine:Gefangen im Roulette der Gewalt

Crisis in Ukraine

Ein Soldat der ukrainischen Armee in der ostukrainischen Stadt Debalzewe

(Foto: dpa)
  • Tagelange Gefangenschaft, Angst vor Repressalien, Lügen und Propaganda: Amnesty International legt einen erschütternden Bericht über die Lage in der Ostukraine vor.
  • Die Organisation findet jedoch keine Beweise für Massengräber in der Ostukraine.
  • AI wirft beiden Seiten vor, falsche Angaben über Todesopfer und -umstände gemacht zu haben und kritisiert besonders russische Medien.

AI berichtet von willkürlichen Tötungen und Inhaftierungen

Ein Bericht der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zeigt die erschütternden Zustände im Osten der Ukraine auf. In der Region um Luhansk sprachen medizinische Angestellte und Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung gegenüber Amnesty-Mitarbeitern von gefälschten Todesursachen.

Verletzungen durch Gewalteinwirkung würden von den Krankenhäusern nicht mehr als solche gemeldet. Anwohner und Angestellte fürchteten Repressalien, sollten sie Menschenrechtsverletzungen offiziell dokumentieren. Die Polizeikräfte seien dagegen machtlos.

Die Machtlosigkeit der Bevölkerung dokumentiert Amnesty mit Berichten wie dem eines Geschäftsmannes aus Severodonetsk, der am 21. Juli in seinem Büro von prorussischen Separatisten der selbstausgerufenen Region Luhansk gefangen genommen wurde. Er wurde in der Arrestzelle der örtlichen Polizei festgehalten und hörte, wie in der Zelle nebenan Menschen erschossen wurden.

Der Gefangene wurde zwar freigelassen, gelangte aber erst nach mehreren Tagen nach Hause. In einem Konvoi mit mehreren Gefangenen wurde er zwischen verschiedenen Hoheitsgebieten hin - und hergeschoben, bevor er auf Bitten seiner Familie und mithilfe eines orthodoxen Priesters freikam: "Es war wie Roulette".

Keine Hinweise auf Massengräber

AI sieht hingegen keine Belege für Massengräber im umkämpften ostukrainischen Donezk, wie sie prorussische Separatisten entdeckt haben wollten. Mit Berichten über etwa 400 im Konfliktgebiet gefundene Leichen von Zivilisten hatten die Separatisten Ende September Druck auf die Führung in Kiew gemacht. Danach befanden sich die Gräber in Gebieten, die zuvor von der ukrainischen Armee beherrscht worden waren. Russland hatte daraufhin ein Verfahren wegen Völkermords gegen die Ukraine eingeleitet.

Amnesty habe "keine überzeugenden Beweise für Massentötungen oder Gräber" gefunden, hieß es. Stattdessen sei die Organisation auf die Leichen von vier männlichen Zivilisten in zwei Gräbern in der Nähe des Dorfes Komunar gestoßen.

"Was wir gesehen haben, sind einzelne Fälle von Hinrichtungen, die in einigen Fällen Kriegsverbrechen darstellen können", erklärte John Dalhuisen von Amnesty zum Ergebnis von AI-Recherchen Ende September. Solche gezielten Tötungen seien auf beiden Seiten nachgewiesen worden. "Alle verdächtigen Fälle sollten untersucht und die Verantwortlichen beider Seiten belangt werden."

Propaganda und falsche Angaben auf beiden Seiten

In dem Bericht wirft die Organisation sowohl prorussischen als auch proukrainischen Kräften falsche Angaben über die Gräueltaten der jeweils anderen Seite vor. Es sei von vielen Tötungen berichtet worden, so Amnesty International, verlässliche Beweise hätten sich aber für die wenigsten gefunden. "Fest steht auch, dass einige der schockierenden Fälle, über die berichtet wurde, besonders in russischen Medien enorm übertrieben waren", sagte Dalhuisen.

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