Buzzfeed Deutschland:Teilen und herrschen

Buzzfeed Deutschland: Illustration: Stefan Dimitrov/SZ

Illustration: Stefan Dimitrov/SZ

Seit wenigen Tagen gibt es die Website "Buzzfeed" auch auf Deutsch. In den USA sind deren Hitlisten und Tiervideos irre erfolgreich. Die hiesigen Macher halten die Erwartungen lieber klein.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Der deutsche Büromensch konnte zuletzt einiges dazulernen. Zum Beispiel, dass große Brüste im Sommer gar nicht so toll sind (Schweißflecken, Dehnungsstreifen, enge Bikini-Oberteile). Dass die Deutschen bisweilen die Amerikaner verwirren (Weltschmerz, Oktoberfest, Sauna). Oder dass es 25 Dinge gibt, die nur in Berlin in öffentlichen Verkehrsmitteln passieren (mitgeschleppte Matratzen, Pferde als Passagiere, Reisende ohne Hose). Woher der Büromensch das alles weiß? Buzzfeed Deutschland ist seit vergangener Woche online.

In Amerika ist das Unterhaltungsportal mit Katzenvideos und absurden Listen von schönen oder weniger schönen Dingen groß geworden; es bedient sich all der skurrilen Videos, Trends und Promineuigkeiten, die das Netz jeden Tag so anspült. Klassische Ressorts wie Politik und Wirtschaft gibt es nicht, dafür Sparten wie "What the fuck", "süß" oder "Oh my God". Tausendfach angeklickt, werden die Häppchen geteilt und geteilt und geteilt. Shares sind die Währung, die Buzzfeed zu einem wichtigen Kanal im medialen Kampf um Aufmerksamkeit gemacht hat.

Wissen, was die Leser wollen

Deutsche Verlage blicken nun auf Buzzfeed, auch sie müssen ihre Texte in sozialen Medien verkaufen, auch sie wollen mehr junge Leser. Der typische Buzzfeed-Nutzer ist zwischen 18 und 34 Jahre alt, und schaltet das Smartphone schon nach dem Aufwachen ein. Mehr als 50 Prozent der User kommen über ihr Handy auf die Seite. Buzzfeed ist kostenfrei, das Portal finanziert sich über "Native Advertising", Anzeigen, die zwar als solche gekennzeichnet sind und doch wie Artikel aussehen. Viele andere Medien sehen Buzzfeed als neue Konkurrenz - aber wem genau will man eigentlich Konkurrenz machen?

Chefredakteurin der deutschen Ausgabe ist Juliane Leopold, 31, geboren in Halle an der Saale, studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaftlerin, Bloggerin, Feministin und Twitter-Nutzerin mit fast 7000 Followern. Zuvor hat sie sich bei der Zeit als Social-Media-Redakteurin um den Aufbau der Marke im Netz gekümmert. Sie könnte also wissen, was Leser wollen. Und wie man Inhalte verkauft.

Jeder Schritt wird unter die Lupe genommen

Samstagnachmittag, Treffen in einem Café in Berlin-Friedrichshain, Tag drei nach dem Deutschland-Start. Leopold antwortet auf jede Frage, und sie wägt ihre Worte vorsichtig ab. Als wolle sie sich nicht festlegen - auf eine Richtung, auf Inhalte, auf ein Konzept. Das Gespräch ist keine zehn Minuten alt, da fällt das Wort "Aufmerksamkeitsdruck". Was sie damit meint? "Es gibt viele Branchenbeobachter, die uns gerade ganz aufmerksam anschauen." Das sei natürlich toll, doch jeder einzelne Schritt werde unter die Lupe genommen. "Ich sehe da keine Konkurrenzsituation, wir sind vier Leute, die in Berlin sitzen und eine Webseite bauen." Außerdem sei Buzzfeed in Deutschland kaum bekannt, das Projekt eine große Herausforderung.

Im Kampf um Klicks

Doch der Erfolg der Webseite ist nicht kleinzureden, im Kampf um Klicks hat es Buzzfeed weit gebracht: 2006 gegründet, besuchen nach Angaben des Unternehmens mittlerweile monatlich 150 Million Menschen die Seite, 50 Prozent der User steuern Buzzfeed von außerhalb der USA an, 75 Prozent kommen über soziale Netzwerke wie Facebook. Weltweit gibt es 600 Mitarbeiter, darunter 200 Redakteure. In den USA ist Buzzfeed längst mehr als eine Plattform für virale Quatschinhalte. Investigative Journalisten berichten aus Krisengebieten, seit zwei Jahren gibt es vermehrt Nachrichten auf der Webseite. Aber die seichten Inhalte kommen am besten an.

Eine Million Besucher im Monat

Bereits vor dem Deutschlandstart in der vergangenen Woche hatte Buzzfeed nach eigenen Angaben eine Million deutsche Besucher im Monat. Nach Ablegern in Großbritannien, Indien, Brasilien, Frankreich und Spanien ist nun also Deutschland an der Reihe. Der erste deutsche Beitrag, lange bevor es offiziell losging, hieß "16 Schritte, wie du dich auf die russische Invasion vorbereitest". Die Reaktionen in den sozialen Medien waren kritisch, doch kein deutscher Beitrag war bisher so erfolgreich wie dieser Kommentar zum Konflikt in der Ost-Ukraine.

Viel Aufmerksamkeit erregte auch die Launchparty in einem Neuköllner Katzencafé vorige Woche. Seitdem produzieren Leopold und ihre drei Mitarbeiter nun eigene Stücke, eine Agentur übersetzt amerikanische Buzzfeed-Artikel. Neben Tierbildern und Listen wie "29 Frisuren-Tipps, die jedes Mädchen kennen sollte" wurde auch ganz nachrichtlich über den Ebola-Tod eines UN-Mitarbeiters berichtet. Und am vergangenen Sonntag gab es sogar eine lange Lesegeschichte: Ortstermin in Hohenwutzen, einer AfD-Hochburg in Brandenburg.

Man muss dem Publikum vertrauen

Hat es der Leser nun mit einem Boulevardkanal oder einem journalistischen Produkt zu tun? Darauf die Chefredakteurin: "Buzzfeed ist eine Website für Nachrichten und unterhaltende Inhalte, die gerne geteilt werden." Es gehe darum, "das Beste des Social Webs zu finden und zu kuratieren". Buzzfeed sei ein Unterhaltungskanal, mit dem sich Menschen von den schrecklichen Nachrichten in dieser Welt erholen könnten, aber: "Es kann auch informieren und Weltgeschehen kommentieren."

Einen Masterplan gebe es nicht, man fange jetzt einfach mal an. "Die Kunst ist, sich nicht zu früh entmutigen zu lassen von Menschen aus unserer Branche, die es nicht verstehen oder pauschal kritisieren, sondern auf das Publikum zu vertrauen." Denn an den Publikumszahlen werde man gemessen. Die einzige bisher bekannte Zahl sind mehr als 1800 Facebook-Fans.

Der größte Nebenbuhler um die Zeit der Leser ist das Leben

Die Zielgruppe, das sind "tagsüber Leute, die im Büro sitzen, anstrengenden Tätigkeiten nachgehen und sich zwischendurch einfach mal kurz ablenken wollen." Sie selbst ist nicht abgelenkt, in eineinhalb Stunden schaut sie kein einziges Mal auf ihr Handy. Was sie hingegen ständig macht, das ist Erwartungen klein halten. Ein Beispiel: Fragt man sie nach den Erfolgschancen, sagt sie: "Wir glauben, dass es viel Platz gibt für Inhalte, die Leute gerne teilen." Doch Buzzfeed sei ein Experiment, "wir finden das raus, ob es wirklich eine Lücke gibt, wir wissen das noch gar nicht."

Ein Konkurrent sei die deutsche Seite Heftig.co, doch: "Die größte Konkurrenz ist das Instagram-Update Ihrer Freundin darüber, was sie gestern gegessen hat oder die drei Zeitungen, die Sie auf Facebook abonniert haben." Das hat ihre Seite mit all den anderen Medien gemeinsam: Der größte Nebenbuhler um die Zeit der Leser ist das Leben - und das Posten darüber.

Der typische Büroalltag? Katzenstreicheln!

Bevor Leopold zurück an ihren Schreibtisch muss, um vor einer Dienstreise nach New York ein paar Beiträge auf die Seite zu stellen, noch eine Frage: Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Buzzfeed aus? "Sie kommen ins Büro und streicheln zehn Kätzchen." Leopold hat früh gelernt, mit dem Vorwurf der Belanglosigkeit zu kokettieren, das gehört bei Buzzfeed ja quasi zum Vermarktungskonzept. Nein, in Wahrheit streicheln sie am Prenzlauer Berg nur Hunde. Drei Möpse, um genau zu sein. Die Katzen, die waren wohl nur der Anfang.

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