Klaas-Jan Huntelaar bei Schalke 04:Jäger erweitert sein Revier

Schalke 04, Klaas Jan Huntelaar, Champions League, Fußball

"Er hat von all unseren Spielern mit den größten Biss", sagt Schalke-Manager Heldt über Klaas-Jan Huntelaar (im Bild)

(Foto: AP)

Klaas-Jan Huntelaar, Spitzname "Hunter", ist für Schalke 04 wertvoll wie nie. Wie es mit dem 31-Jährigen und dem Klub weitergeht, bleibt vor dem Champions-League-Auftritt gegen Lissabon eine spannende Frage.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Die Legende besagt, dass Klaas-Jan Huntelaar nicht nur jedes seiner Kinder, sondern auch jedes seiner Tore beim Namen nennen kann. Was sich zweifelsfrei sagen lässt: Er liebt sie alle. Seine Söhne Seb und Axel und seine Tochter Puck - und seine Tore auf dem Fußballplatz.

Die Namen seiner Kinder kann er sich naturgemäß leichter merken. Fast 300 Treffer sind in der Biografie des Angreifers vermerkt, allein 62 hat er seit 2010 für Schalke 04 in der Bundesliga erzielt, 36 für die niederländische Nationalmannschaft, insgesamt 43 in den jeweiligen Europacups. In Zeiten, in denen die Wissenschaftler den Mittelstürmer für einen Anachronismus halten und zu einer aussterbenden Spezies rechnen, verkörpert Huntelaar die Gegenthese. Allerdings hat er es geschafft, seinen Lebensraum zu vergrößern. Der "Hunter", wie er treffenderweise genannt wird, ist Mittelstürmer geblieben, aber er hat sein Revier erweitert. In seinen fortgeschrittenen Jahren hat er den Schritt raus aus dem Strafraum gewagt.

Das Tor, das dem 31-Jährigen am Samstag gegen Hertha BSC gelang, war ein Klassiker des Genres, zugleich aber ein besonders schönes Exemplar, das in allen Einzelheiten seine außerordentliche Meisterschaft zeigte. Zunächst hielt er sich den Gegenspieler Johnny Heitinga vom Leib, indem er ihn unauffällig, vorsorglich und effektvoll ein Stück zur Seite schubste; dann brachte er sich mit einem halben Schritt zurück in die Position, um Julian Draxlers anspruchsvollen Flankenball mit Wucht in die Ecke zu befördern.

Fünf Tore hat Huntelaar in dieser Saison erzielt, keines war die Kopie eines anderen. In Hannover war er mit einem Abstauber erfolgreich, beim FC Chelsea und in Hoffenheim mit präzisen Schüssen jenseits des Strafraums, gegen Maribor nutzte er instinktiv den Fehlpass eines Gegners aus. Beim 3:0 in Bremen schoss er skandalöserweise zwar kein Tor, legte aber den Mitspielern zwei vor.

In Hollands Nationalmannschaft machte er sich neulich ums Landeswohl verdient, als er drei Minuten nach der Einwechslung den peinlichen 0:1-Rückstand gegen Kasachstan ausglich. Wäre Huntelaar ein Genussmittel, ließe sich sagen: Es ist seine Vielfalt, die ihn so ergiebig macht. Das sollen am Dienstagabend auch die Angehörigen von Sporting Lissabon erleben, wenn Schalke 04 den portugiesischen Liga-Vierten in der Champions League empfängt. "Gegen Maribor haben wir zuletzt zu Hause keinen Sieg geholt, deshalb müssen wir das am Dienstag unbedingt nachholen", sagte der Angreifer am Samstag.

Ablösefreie Torgaranten sind überall willkommen

Parolen dieser Art sind selbstverständlich, in seinem Fall aber ernst zu nehmen. Huntelaar besitzt großen Ehrgeiz, sein Ehrgeiz hat im späten Karrierestadium nicht ab-, sondern zugenommen. "Er hat von all unseren Spielern mit den größten Biss", stellt Horst Heldt fest. Das freut den Manager, stellt ihn jedoch vor eine schwierige Aufgabe. Im kommenden Sommer läuft der Vertrag des Mittelstürmers aus, den Felix Magath damals für 14 Millionen Euro beim AC Mailand auslöste.

Als sie den Kontrakt im Dezember 2012 um die übersichtliche Frist von zwei Jahren fortschrieben, waren sich beide Seiten nicht ganz klar darüber, wie viel Zeit sie noch miteinander verbringen wollten: Heldt wusste nicht, ob der Torjäger auch im höheren Alter seinen Wert behalten würde, zumal zu einem Preis, der ihn zu den Spitzenverdienern im Verein macht. Huntelaar wiederum wollte sich die Aussicht offenhalten, noch ein mutmaßlich letztes Mal in die Welt hinausgehen zu können. Die Möglichkeit dazu dürfte sich im Sommer bieten: Ein ablösefreier Spieler mit integrierter Torgarantie ist überall willkommen.

In England werden bereits Vereine wie der FC Liverpool, Tottenham oder der FC Arsenal als Interessenten genannt, die Premier League ist die einzige der vier Spitzenligen, die Huntelaar noch nicht kennengelernt hat. Ob und wie die Beziehung zwischen dem Stürmer und Schalke weitergeht, das sei "eine spannende Frage", sagt Horst Heldt.

Acht-Millionen-Euro-Irrtum

Der Sportchef steht vor einer kniffligen Personalie. So wie Huntelaar seine Hauptrolle wahrnimmt, ist er quasi unersetzlich, im vorigen Jahr hat sich obendrein gezeigt, dass es in die Irre führen kann, ein vergleichbares Stürmermodell als Ersatz bereithalten zu wollen: Heldt gab acht Millionen Euro für die Alternative Adam Szalai aus, aber solange Huntelaar fit war, musste der Ungar auf der Reservebank Platz nehmen, und als Einwechselspieler kam er nie in Schwung. Im Sommer zog Szalai zur TSG Hoffenheim weiter, Heldt engagierte an seiner Stelle Eric-Maxim Choupo-Moting, der den Angriff sinnvoll ergänzt und nicht einfach ein Ersatz-Torjäger ist.

Fragen nach seinem Vertrag pflegt Huntelaar so geschickt aus dem Weg zu räumen wie am Samstag Heitinga. "Solche Dinge regelt mein Berater", antwortet er. Ob es nach 2015 eine gemeinsame Zukunft gibt, hängt letztlich von ihm selbst ab. Solange Huntelaar die Tore schießt, die Schalke in die Champions League verhelfen, ist beiden gedient: Der Klub kann ihn bezahlen, und Huntelaar findet in Gelsenkirchen die Bühne, um seinen sportlichen Ehrgeiz zu befriedigen.

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