Ungeliebtes Piercing:Weg mit dem Fleischtunnel

Das Phänomen 'Flesh Tunnel'

Phänomen Flesh Tunnel. In Großbritannien lassen sich inzwischen viele Menschen das Ohrloch wieder entfernen.

(Foto: dpa)

Geweitete Ohrlöcher galten lange als schick. In Großbritannien bereuen nun immer mehr Menschen diesen Eingriff und wollen den Fleischtunnel im Ohrläppchen wieder entfernen lassen. Doch das ist nicht ganz einfach.

Von Anna Fischhaber

Manche Menschen haben Löcher, wo eigentlich das Ohrläppchen sein sollte. Löcher so groß, dass man hindurchschauen kann. Im Extremfall so groß, dass eine Faust durch das Ohr passt - wie bei Rekordhalter Kala Kaiwi aus Hawaii, dessen "Flesh Tunnel" mehr als zehn Zentimeter Durchmesser hat.

In Deutschland hat sich der "Flesh Tunnel" seit Anfang der Nullerjahre vor allem in der Hardcore-Szene durchgesetzt. Fleischtunnel wird das geweitete Piercing hier auch genannt - ein Wort das viel über die Geduld aussagt, die man braucht, das Ohrloch zu weiten. Und über den Eingriff, um das Loch wieder entfernen zu lassen.

Einer Studie zufolge haben inzwischen 40 Prozent der Deutschen ein Tattoo, ein Piercing oder ein Loch in Ohr oder Nase. Vor allem Tattoos sind längst gesellschaftlich akzeptiert - gerade im Sommer sieht man überall verzierte Rücken, Arme, Beine. Ein geweitetes Piercing fällt da schon mehr auf, lässt sich aber auch kaum verbergen. Herausnehmen hilft wenig: Während beim Piercing nur ein kleines Loch bleibt, sieht ein geweitetes Ohrloch ohne Schmuck ziemlich eklig aus.

Ein plastische Eingriff, der sich in Großbritannien deshalb rasant wachsender Nachrfrage erfreut, ist die Entfernung des Tunnels aus dem Ohr, berichtet jetzt der Guardian. Die Zeitung zitiert den bekannten Schönheitschirurgen Adrian Richards, Chef der Aurora-Kliniken, zu dem jeden Monat zehn neue Patienten kommen - vom Profigolfer, der mit klaffendem Ohrloch nicht beim Golfverband PGA aufgenommen wurde, bis zum Lehrer, der den Tunnel noch aus seiner Zeit bei einer Punkband hat. Ganz billig ist die Operation unter örtlicher Betäubung bei ihm nicht: 1800 Pfund (knapp 2300 Euro) nimmt Richards für zwei Ohren.

In Deutschland scheinen noch nicht ganz so viele Menschen ihren Fleischtunnel zu bereuen. Allerdings: Bei der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) glaubt man, es sei nur noch eine Frage der Zeit bis der Trend auch hier ankommen könnte. "Bislang tragen bei uns die jungen Leute noch ihre Riesenohrlöcher - bis sie sie weghaben wollen, etwa weil sie einen seriösen Job annehmen, wird es wohl noch ein paar Jahre dauern", sagt etwa Torsten Kantelhardt, plastischer Chirurg am Tegernsee und DGÄPC-Vorstandsmitglied.

Kantelhardt behandelt bisher hauptsächlich ausgeleierte Ohrlöcher, wie sie Frauen mit einer Vorliebe für große, schwere Ohrringe manchmal bekommen. Die Prozedur ist ähnlich - um eine Rekonstruktion des Ohrläppchens kommt man nicht herum. "Die eingewachsene Haut um das Loch herum muss weggeschnitten werden, bevor es wieder zusammengenäht werden kann." Wenn das Loch zu groß ist, müsse er einen Keil, ein Stück des Ohrläppchens, herausnehmen und das Gewebe umverteilen, um die natürliche Form wieder herzustellen, erklärt der Mediziner. Bis zu 500 Euro verlangt er für zwei Ohren, die Kasse zahlt das in Deutschland nicht.

Immerhin: Der Eingriff geht deutlich schneller als die Weitung, für die man sich Woche um Woche nur Millimeter um Millimeter vorkämpfen muss, um das Ohrläppchen nicht einzureißen. Um das Loch wieder zu entfernen, veranschlagt Kantelhardt nur etwa 15 bis 30 Minuten. Ganz wegzaubern kann er den Fleischtunnel aber nicht mehr: "Eine Narbe bleibt".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: