China und die Kommunistische Partei:Mit Rechtsstaatlichkeit nichts am Hut

China und die Kommunistische Partei: Staatschef Xi Jinping in einem Pekinger Schaufenster.

Staatschef Xi Jinping in einem Pekinger Schaufenster.

(Foto: AFP)

Die KP versucht, auf dem wichtigsten Treffen des Jahres mit Minireformen ihr Ansehen beim Volk zu verbessern. Großes Thema ist die "Rechtsstaatlichkeit". Klingt gut, doch Indizien legen nahe: Die Bürger sollen bewusst getäuscht werden.

Von Kai Strittmatter, Peking

Die Partei tagt. Und dabei schreibt sie Geschichte. So sehen es wenigstens die von ihr kontrollierten Medien. Chinas KP sei dabei, "einen Meilenstein" zu setzen, schreibt die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua. Entdeckt hat sie nämlich nichts weniger als "den Eckpfeiler der Modernisierung der Staatsverwaltung und der nationalen Wiedergeburt". Was das ist, dieser Stein der Weisen, die Kur für alle Übel im Land? Recht und Gesetz. Bis Mittwoch trifft sich die KP in Peking zum 4. Plenum, es ist das wichtigste Parteitreffen des Jahres, hier wird über die Politik der Zukunft entschieden - und zum ersten Mal in ihrer Geschichte arbeitet sich die Partei dabei am Thema "Rechtsstaatlichkeit" ab.

Und wie immer, wenn die Partei sich international geläufigen Vokabulars bedient, lohnt sich ein zweiter Blick. Schließlich hat Partei- und Staatschef Xi Jinping unlängst auch den Segen der Demokratie für sein Volk beschworen ("Demokratie ist mehr als bloß Dekoration"). Und zur Bürgerbewegung in Hongkong hatte die Volkszeitung, das Sprachrohr der Partei, vor Kurzem zu sagen, man müsse in Hongkong endlich "den Rechtsstaat schützen", sprich: der Bewegung den Garaus machen.

Auf Chinesisch heißt das Motto des Parteikongresses nun "yifa zhiguo" - Optimisten übersetzen das mit "Herrschaft des Rechts". Alle Indizien aber legen nahe, dass damit wieder einmal die zweite Übersetzungsmöglichkeit gemeint ist: "Herrschaft mithilfe des Rechts". Chinas KP wünscht sich nämlich keinesfalls eine unabhängige Justiz nach westlichem Vorbild, sie wünscht sich letztlich effektivere Gerichte, die sozialem Unfrieden vorbeugen und ihr Kontrolle und Herrschaft erleichtern. "Das Ziel", heißt es in einer aktuellen Studie der Berliner China-Denkfabrik Merics, sei "eine Stärkung der Justiz als Herrschaftsinstrument".

China und die Kommunistische Partei: "Herrschaft mit Hilfe des Rechts": Die Massenproteste in Hongkong richten sich gegen den allumfassenden Machtanspruch der chinesischen KP.

"Herrschaft mit Hilfe des Rechts": Die Massenproteste in Hongkong richten sich gegen den allumfassenden Machtanspruch der chinesischen KP.

(Foto: Nicolas Asfouri/AFP)

Kampagnen gegen Korruption erinnern an die Handbücher der Maoisten

Die letzten zwei Jahre unter Xi Jinping zeigen, dass der Parteichef mit Rechtsstaatlichkeit in westlichem Sinne wenig am Hut hat. Chinas Staatssender CCTV fungiert unter ihm als öffentlicher Pranger: Tatverdächtige in Untersuchungshaft werden dort reumütig und geständig der Öffentlichkeit zur Belehrung vorgeführt, bevor sie einen Gerichtssaal sehen. Bürgerrechtler verschwinden wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" im Gefängnis wie zuletzt jene Pekinger, die an einer Dichterlesung zur Unterstützung der Hongkonger Studenten teilnehmen wollten und die bis heute, drei Wochen nach ihrer Festnahme, keinen Rechtsanwalt zu Gesicht bekommen haben - ein klarer Verstoß gegen Chinas eigene Strafprozessordnung.

Der Pekinger Rechtsanwalt Teng Biao hat mehr als 300 Bürgerrechtler und Rechtsanwälte gezählt, die seit März letzten Jahres festgenommen oder unter Hausarrest gestellt wurden. "Xi Jinping versucht, die Zivilgesellschaft auszulöschen, ungleich härter, als dies seine Vorgänger getan haben", sagt Teng Biao, der derzeit als Gast an der Universität in Harvard weilt. "Die Repression in China ist so schlimm wie nicht mehr seit den Jahren unmittelbar nach 1989", urteilt China-Experte David Shambaugh vom Washingtoner Brookings Institute. Gleichzeitig baut sich um Parteichef Xi ein so in China lange nicht mehr gesehener Personenkult auf. Und die großen Kampagnen, mit denen er die Parteikader im Land zu Sauberkeit und Ordnung zwingen möchte - eine gegen die Korruption, eine für eine volksnahe "Massenlinie" - sind nicht Chinas Gesetzbüchern entsprungen, sondern stammen eher aus dem Handbuch für Maoisten.

Partei strebt eine Professionalisierung der Justiz an

Dennoch ist die KP überzeugt, dass ihr eine besser funktionierende Justiz bei der Kontrolle des Landes helfen kann und dass sie ihrem zuletzt stark lädierten Ansehen beim Volke nützt. Dort lösen grassierende Korruption, soziale Ungerechtigkeit und Phänomene wie der Landraub durch die Kader an den Bauern seit Jahren wachsenden Unmut aus. Einige Reformen hat es schon gegeben: die Abschaffung der Umerziehungslager, eine Reduzierung der Zahl der Todesurteile (noch immer allerdings exekutiert China pro Jahr mehr Menschen als der Rest der Welt zusammen). "Über den Rechtsstaat reden wir ja schon seit den 1990er-Jahren. Und bei der Gesetzgebung hat China große Fortschritte gemacht", sagt Zhu Lijia von der Chinesischen Verwaltungshochschule. "Das Problem ist, dass diese Gesetze in der Praxis oft nicht umgesetzt werden."

Die Parteimedien waren in den vergangenen Tagen voller Beispiele, wo der Rechtsstaat nützlich sei. Für "gesundes Wirtschaftswachstum" brauche man ihn, meint die Volkszeitung. Außerdem verwies die Zeitung auf die tödlichen Auseinandersetzungen zwischen Bauern, Bauherren und Polizei in der Provinz Yunnan letzte Woche: Im Dorf Fuyou hatten Unternehmer und Parteifunktionäre im Verein versucht, den Bauern ihr Land zu nehmen, um dort ein Logistikzentrum zu bauen, sie hatten zu dem Zweck Hunderte angeheuerte Schläger auf die Bauern gehetzt - ein Konflikt, wie er jeden Tag an allen Ecken und Enden in China vorkommt. In Fuyou aber waren am Ende acht Menschen tot. Wenn die lokalen Kader sich an Recht und Gesetz gehalten hätten, schalt die Volkszeitung, dann hätte die Gewalt vermieden werden können.

KP will jetzt offenbar gezielt gegen tyrannische Provinzkader vorgehen

Die KP will also auch die oft wie kleine Tyrannen agierenden lokalen Funktionäre besser im Zaum halten. Deshalb sollen lokale Gerichte nicht länger wie bisher ein Werkzeug der Parteiorgane der Gemeinden oder Kreise sein, in denen sie sich befinden - eine Praxis, die Korruption, Nepotismus und Willkür Tür und Tor öffnet. Zum einen strebt die Partei weiter eine Professionalisierung von Richtern und Staatsanwälten an (in der Vergangenheit setzte man pensionierte Offiziere auf die Posten), zum anderen experimentieren schon jetzt sechs Provinzen mit einem Modell, wo die Bestellung und Finanzierung lokaler Richter nicht länger Sache der lokalen Behörden ist, sondern auf Provinzebene verlagert wird.

"Sie werden an kleinen Schrauben drehen", sagt Anwalt Teng Biao. "Mit einer echten Unabhängigkeit der Justiz hat das nichts zu tun. An den Kern, an die Gewaltenteilung, werden sie sich nicht wagen." Und so steht die Partei weiter über dem Gesetz. Ohne eine echte Unabhängigkeit der Justiz aber, glauben Kritiker, sei der von der KP-Führung ausgerufene Kampf gegen Korruption und Machtmissbrauch zum Scheitern verurteilt. "Solange bleibt das einfach Propaganda, Augenwischerei", sagt Teng Biao.

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