Deutsch-französisches Verhältnis:Machen statt Reden

Schäuble und Sapin

Tuscheln in Berlin: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (li.) und sein französischer Kollege Michel Sapin.

(Foto: dpa)
  • Deutschland und Frankreich sind sich uneins darüber, wie man am besten aus der schlechten Wirtschaftslage herauskommt.
  • In Zukunft wollen sich beide Länder keine Ratschläge mehr erteilen, sondern aktiv die Wirtschaftskrise bekämpfen.
  • Frankreich zu sanktionieren, wäre das Ende der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, sagt EU-Kommissionspräsident Juncker.

Von Guido Bohsem, Berlin, und Cerstin Gammelin, Brüssel

Es ist gut, dass Martin Jäger in seinem früheren Leben Diplomat war. Ausgestattet mit dem entsprechenden Vokabular und der sprichwörtlichen Geschmeidigkeit redete der Sprecher Wolfgang Schäubles (CDU) die Dinge an diesem Montag in Berlin herunter. Als er geendet hatte, schien sogar die Möglichkeit einer Irritation auf deutscher Seite absurd. Und die Forderung des französischen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron an die Deutschen wirkte wie eine Selbstverständlichkeit.

Frankreich plane, 50 Milliarden Euro einzusparen. Wenn die Bundesrepublik ihrerseits 50 Milliarden Euro zusätzlich investiere, wäre das "ein gutes Gleichgewicht", hatte Macron der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gesagt. Das sei ein wenig zugespitzt, fand Jäger. Aber grundsätzlich habe man nichts dagegen, wenn ausländische Minister vor Spitzentreffen Interviews gäben. Das sei üblich. Auch Schäuble halte es immer wieder so.

Tatsächlich aber läuft es derzeit nicht richtig rund im deutsch-französischen Verhältnis. Zu unterschiedlich sind die Auffassungen darüber, wie man am besten aus der miserablen Wirtschaftslage herauskommt, die Europa nach der Finanzkrise fast überall kennzeichnet. Vereinfacht gesagt, wollen die Deutschen, dass die Franzosen mehr sparen, und die Franzosen wollen, dass die Deutschen weniger sparen und dafür mehr investieren. Auch das Treffen der Finanz- und Wirtschaftsminister beider Länder am Montag dürfte an diesen unterschiedlichen Auffassungen wenig geändert haben.

Gabriel: Jedes Land müsse für sich selbst nachdenken

Und so versichern sich Schäuble, sein Amtskollege Michel Sapin, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und eben Macron, dass man sich keinesfalls gegenseitig Ratschläge erteilen wolle. "Das war kein Gespräch, in dem wir uns gegenseitig Ratschläge erteilt haben", sagte Gabriel. "Jedes Land muss für sich darüber nachdenken, welche Maßnahmen die besten sind", sagte Sapin. Und die 50 Milliarden Euro? Dies sei der Betrag, den die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als zusätzliche Investition gefordert habe, sagte Gabriel. Was das französische Defizit angehe, werde man mit der neuen Kommission die Lage besprechen, so Sapin.

Alles beim Alten, so scheint es.

Nicht ganz. Als sich in Berlin die Minister trafen, war das Brüsseler Europaviertel leerer als üblich. Diplomaten und Beamte hatten sich nach Straßburg ins Europaparlament aufgemacht. Auch Jean-Claude Juncker wurde am Abend dort erwartet. Der Politiker, der keine 48 Stunden später endgültig den Job haben dürfte, den er als Premierminister Luxemburgs immer haben wollte. Am Mittwoch soll das Parlament über die neue Kommission abstimmen, votiert eine Mehrheit für das College, wird der bereits separat als Kommissionspräsident gewählte Juncker am Mittwochabend auch eine Kommission hinter sich haben.

Seinen Job hat er längst angetreten. Ganz oben stehen Reparaturarbeiten im deutsch-französischen Verhältnis. Vergangene Woche traf er sich mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande unter vier Augen. Sie sprachen vor allem darüber, wie es gelingen kann, "eine dicke politische Kuh vom Eis zu ziehen", wie es ein hoher EU-Diplomat am Montag ungewöhnlich bildlich ausdrückt.

Die dicke Kuh, das ist das französische Budget, das einmal mehr zu viele neue Schulden und zu wenige Reformen vorsieht und deshalb, wie Beamte in Brüssel kolportieren, trotz vielfältiger Rechenkünstlerei zugunsten der Franzosen, wohl nach Paris zum Nachbessern zurückgeschickt werden muss. Noch vor dem 31. Oktober müsse Paris mit unangenehmer Post aus Brüssel rechnen.

Die Frage ist: Wollen die Franzosen ihren Haushalt nachbessern

Den Brief aus Brüssel zu bekommen, ist das eine. Wichtiger ist die Frage: Können und wollen die Franzosen ihren Haushaltsentwurf nachbessern? Und: Wie kann es gelingen zu verhindern, dass die EU-Kommission, also Juncker, Sanktionen gegen Paris vorschlagen muss?

Ein entsprechender Vorschlag, Frankreich zu sanktionieren, "wäre das Ende der verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit und womöglich der Währungsunion in der jetzigen Form", sagt der Politiker, der schon einmal als EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung zuständig war. Jede Abstimmung darüber werde ausschließlich Verlierer produzieren.

Um Sanktionen gegen Frankreich zu verhindern, müsste eine umgekehrte qualifizierte Mehrheit dagegen stimmen. Praktisch hieße das: Würde die Bundesregierung gegen die Sanktionen stimmen, würden sich ihr alle südlichen Länder anschließen. Die Sanktionen wären vom Tisch. Das EU-Regelwerk und die Glaubwürdigkeit der Europäischen Kommission gleich mit. Die Regeln würden nicht mehr gelten.

Sanktionen würden die Gemeinschaft zerschlagen

Chaotisch wäre auch das andere Abstimmungsergebnis. Wenn Deutschland für milliardenschwere Sanktionen gegen Frankreich stimmte, würden sich alle nördlichen Länder anschließen. Damit wären zwar die Regeln und die EU-Kommission gerettet, aber die Gemeinschaft gekündigt. "Wenn eine Säule der Gemeinschaft die andere zerschlägt, ist es das Ende der Gemeinschaft", sagt der Ex-Kommissar.

Dass sich Paris und Berlin der Gefahr bewusst seien, zeigen die vielfältigen gemeinsamen Aktivitäten der vergangenen Wochen. Höhepunkt dürfte der Gipfel der Staats- und Regierungschefs aus den 18 Euro-Ländern werden. Vermutungen, dass in diesem Zusammenhang auch ein Pakt zwischen Deutschland und Frankreich geschlossen werden könnte, um das Defizitproblem aus der Welt zu schaffen, wurden am Montag von den vier Ministern zurückgewiesen. "Es gibt keinen Pakt", sagte Sapin. Jeder sollte für sein Volk Verantwortung übernehmen."

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