Doping-Vorgänge in Freiburg:Dann wird alles gelöscht

Ullrich bei Ergometer-Leistungstest

Radprofi Jan Ullrich und Sportarzt Lothar Heinrich (rechts) kurz vor der Tour de France im Jahr 1998 in der Freiburger Uni-Klinik

(Foto: Gero Breloer/dpa)

Die Situation in Freiburg eskaliert: Mafia-Expertin Letizia Paoli soll die Doping-Vorgänge an der Universität aufklären - doch sie fühlt sich behindert wie nie zuvor. Nun könnten brisante Erkenntnisse sogar vernichtet werden.

Von Thomas Kistner

Es ist so weit, die Situation um die Dopingaufklärung in Freiburg eskaliert. Am Freitag hatte Universitäts-Rektor Hans-Jochen Schiewer die Einrichtung einer "Forschungsstelle Sportmedizin" angekündigt, die die Vergangenheit der hauseigenen Sportmedizin untersuchen soll, und zwar direkt anknüpfend an die Arbeit jener Evaluierungskommission, die unter Leitung der Strafrechtsexpertin Letizia Paoli seit 2009 mehr schlecht als recht im Sumpf der früheren nationalen Spitzensport-Schmiede rudert. Paoli, Professorin an der Uni Leuven in Belgien, hat häufig über Behinderungen ihrer Arbeit geklagt und dafür erstaunliche Belege präsentiert. Anfang 2013 mündete das Gezerre um die Freiburger Schluck- und Spritzhistorie gar in offenen Streit; Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) musste im Herbst 2013 schlichten.

Nun teilte die Uni mit, bei Bauer hätten sich Paoli und Mitstreiter seinerzeit "verpflichtet, bis 31. Mai 2014 den Abschlussbericht mit den Einzelgutachten vorzulegen" - auf deren Basis die neue Forschungsstelle arbeiten soll. Paoli solle jetzt "in einer abschließenden Sitzung die noch ausstehenden Gutachten behandeln und der Universität zur Veröffentlichung übergeben".

Alles gut - hat die Kommission ihre Arbeit getan und übergibt sie in treue Hände?

Von wegen, sagt die Chefin. In einer persönlichen Erklärung am Montag stellt Paoli ihre Sicht dar. Die Spannungen mit dem Auftraggeber, der Uni, seien keineswegs, wie behauptet, beigelegt worden, sondern weiter gewachsen. Weshalb der Mafia-Expertin nun der Kragen platzt: Was sie darlegt, klingt nach einem handfesten Politikum. Demnach müsste das abrupt verfügte Ende der Kommissionsarbeit aus juristischen Gründen dazu führen, dass brisante neue Erkenntnisse aus Zeugenbefragungen und Akten vernichtet werden müssen.

Laut Paoli liegen der Uni Freiburg derzeit schon zwei Berichte vor, zwei weitere werden überarbeitet, drei oder vier Arbeiten und das Gesamtgutachten (ca. 700 Seiten) sollen bis Jahresende präsentiert werden. "Wenn nun Rektor Schiewer ausgerechnet über den Gang in die Öffentlichkeit die Behandlung der noch ausstehenden Gutachten in einer einzigen abschließenden Sitzung anmahnt, verlangt er offensichtlich Unmögliches", moniert Paoli; zu viele von ihr aufgezeigte "und dem Rektorat anzulastende Informationsbarrieren verhindern einen sofortigen Abschluss".

Müssten die Arbeiten, wie am Montag von der Uni bekräftigt, in einer "einzigen Sitzung abgeschlossen werden, führt das zum Abbruch der noch nicht abgenommenen Gutachten und Verlust der Informationen aus jahrelanger Arbeit". Die Folge sei die Löschung aller unveröffentlichter Daten und Akten der Kommission - Paoli beruft sich dabei auf Rechtsgutachten, die die Uni Freiburg selbst in Auftrag gab. Sonst drohten den Mitgliedern strafrechtliche Konsequenzen und Bußgelder nach dem Landesdatenschutzgesetz. Daher, so Paoli, bestehe "für die Dateien und für die gesamten Akten die Pflicht zur Löschung".

Hochwertige Quellen auf politischer Ebene?

Das wäre hochbrisant. Denn in dem von einem jähen Schlusstrich betroffenen Fundus der Kommission stecken laut Paoli "Informationen über die Rolle damaliger CDU-Landesregierungen, CDU-Minister, Angehöriger der Freiburger Staatsanwaltschaft sowie der Universitäts- und Klinikumsleitung in den schließlich zu einer Verurteilung wegen Betrugs führenden jahrelangen Ermittlungen gegen Prof. Dr. Armin Klümper".

Bei den hochwertigen Quellen handelt es sich offenbar um Beamte: Laut Paoli gewann die Kommission dies brisante Wissen im Sommer 2014 "nur aufgrund der persönlichen Intervention des baden-württembergischen Justizministers Rainer Stickelberger (SPD) zur Erteilung einer vollumfänglichen Aussagegenehmigung". Klarer lässt sich ein Verdacht auf Verstrickungen auf hoher politischer Ebene kaum anzeigen. Der Freiburger Arzt Klümper war nicht nur der umraunte Guru deutscher Topathleten in den Siebzigern bis in die Neunzigerjahre, er behandelte viel Prominenz aus Politik und Wirtschaft.

Paoli erklärt, sie habe Schiewer im Juni 2014 zum Stand der Abschlussarbeiten informiert und ergänzt, "dass sich in den letzten Wochen aufgrund neuer Informationen ein brisanter Sachverhalt ergeben hat, der, wenn die betroffene Person eine Aussagegenehmigung erhalten sollte, sehr belangreich werden sollte". Diese Informationen seien eilig zu einem Gutachten verarbeitet worden, "in dessen Gesamtkontext eine unvollständige Auskunft der damaligen Landesregierung an den Landtag und angeblich aus der Asservatenkammer des Landeskriminalamtes gestohlene Akten gehören". Das heikle Papier, so Paoli, "müsste zusammen mit den Zeitzeugenprotokollen vernichtet werden".

Schreiben seien unbeantwortet geblieben

Weiter begrüßt sie zwar die Einrichtung einer neuen "Forschungsstelle Sportmedizin", jedoch sei "offensichtlich, dass aufgrund eines drohenden Abbruchs der Abschlussarbeiten und der dann unvermeidlichen Vernichtung von Kommissionsunterlagen wesentliche Erkenntnisse der Evaluierungskommission gerade nicht Grundlage der Arbeit der Forschungsstelle sein können". Jüngst sei gar der Eindruck entstanden, dass die "Forschungsstelle in Konkurrenz zur laufenden Abschlussarbeit der Kommission treten könnte bzw. deren Arbeiten (...) unvollendet beendet werden sollen unter Hinweis darauf, dass die Aufklärungsarbeit über die Forschungsstelle weitergehen könne". Was gar nicht ginge - weil wesentliches Wissen dann eben nicht weitergereicht, sondern vernichtet werde.

Weil sie Anzeichen für einen "Kommunikations- und Kooperationsabbruch" sieht - Schreiben blieben unbeantwortet, Akten-Anfragen unerledigt - , habe sie am 1. Oktober Schiewer ihren Austritt aus der Kommission zum 24. Oktober erklärt, falls bis dahin nicht die in ihrem Rechenschaftsbericht zu Behinderungen der Abschlussarbeiten erhobenen Forderungen erfüllt werden, etwa zum Verbleib von Dienstakten namhafter Sportärzte. Oder zu Habilitationen. Paoli bietet nun an, ihr Ultimatum um zwei Wochen zu verschieben, damit ihre Anfragen erledigt werden können.

Schiewer will offenbar von all den Zerrüttungen nichts wissen. Am Montag wies er Paolis Ultimatum zurück, die Öffentlichkeit habe ein Recht zu erfahren, was die Kommission erarbeitet hat. Genau darum geht es. Im Deutschlandfunk sagte er, man habe sich mit der Kommission "klar auf Mai 2014 geeinigt"; als nichts kam,habe er bei Paoli angefragt und "eigentlich damit gerechnet, dass wir die Gutachten jetzt erhalten". Was sich stark mit Paolis Lesart beißt, sie habe ihn im Juni auf neue Informationen verwiesen. Zum Vorwurf der Behinderung sagt Schiewer, er habe alle Anforderungen zu erfüllen versucht und auch "immer wieder mit Kommissionsmitgliedern gesprochen" Weshalb das "Rechtfertigungsschreiben" Paoilis überrascht habe. Dass er in all der Zeit auch stets mit der Chefin selbst gesprochen hätte, hat er nicht gesagt - und auf die Frage, ob Ergebnisse der Kommission definitiv in die neue Forschungsstelle einfließen: "So ist der Plan."

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