Ebola-Epidemie:Das Impfstoff-Dilemma

Der Ebola-Ausbruch in Westafrika lässt sich ohne Impfstoff kaum noch eindämmen. Nun sollen zwei Kandidaten in aller Eile getestet werden. Doch das wirft schwierige ethische Fragen auf.

Von Kai Kupferschmidt

Scientists at the National Microbiology Lab in Winnipeg prepare an experimental Ebola vaccine for shipment to the World Health Organization

Drei Studien zur Erprobung von Ebola-Impfstoffen sind in den drei betroffenen Ländern Westafrikas geplant.

(Foto: Reuters)

Die Fracht ist so kostbar, dass sie sicherheitshalber in drei separaten Flugzeugen reist. 800 Fläschchen mit einem experimentellen Impfstoff gegen Ebola wurden am Montag vom nationalen Mikrobiologielabor in Winnipeg in Kanada an die Uniklinik Genf geschickt. "Es war uns einfach zu riskant, alles auf eine Karte zu setzen", sagt Marie-Paule Kieny, stellvertretende Generaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO.

Die Fläschchen sind von der kanadischen Regierung an die WHO gespendet worden. Sie könnten Zehntausende Dosen Impfstoff ergeben. Zusammen mit einem weiteren Vakzin, das die Firma Glaxo-Smith-Kline (GSK) entwickelt, sind sie die große Hoffnung im Kampf gegen das tödliche Ebola-Virus. Mehr als 9000 Menschen haben sich in Liberia, Guinea und Sierra Leone bereits mit Ebola infiziert. Die WHO geht davon aus, dass es in Wirklichkeit doppelt so viele sind. Und die Krankheit breitet sich weiter aus. "Ich glaube, wir werden diese Epidemie erst endgültig in den Griff kriegen, wenn wir auch einen Impfstoff haben", sagt Michael Osterholm, Epidemiologe am Zentrum für Infektionskrankheiten der Universität von Minnesota.

Doch bevor der Impfstoff eingesetzt werden kann, muss bewiesen werden, dass er sicher ist und vor Ebola schützt. Dafür gibt es ein festgelegtes Vorgehen: Ein Impfstoffkandidat wird zuerst an gesunden Freiwilligen getestet. In dieser Phase 1 geht es vor allem darum, zu sehen, ob der Impfstoff schwere Nebenwirkungen verursacht, und die richtige Dosis zu finden. In einer Phase-2-Studie wird dann eine kleine Gruppe von Menschen geimpft, die ein hohes Risiko haben, sich mit dem Erreger zu infizieren, vor dem der Impfstoff schützen soll. Erst dann folgt eine groß angelegte Phase-3-Studie mit Tausenden Teilnehmern, die endgültig belegt, ob der Impfstoff Menschen schützt. Das alles dauert normalerweise viele Jahre.

"So viel Zeit haben wir aber nicht", sagt Kieny. In einem nie da gewesenen Kraftakt soll die klinische Entwicklung der beiden Impfstoffe darum binnen weniger Monate abgeschlossen werden. Doch die Beteiligten müssen zahlreiche praktische Probleme lösen und ringen mit schwierigen ethischen und politischen Fragen: Wie kann so schnell überhaupt bewiesen werden, dass der Impfstoff wirksam und sicher ist? Wer sollte die ersten Dosen bekommen? Ist es ethisch korrekt, bei einer so gefährlichen Krankheit eine Studie zu machen, in der einige Menschen statt eines Impfstoffs ein Placebo bekommen? Lässt sich inmitten der größten Ebola-Epidemie aller Zeiten überhaupt eine Studie durchführen?

Spätestens von November an soll eines der Vakzine auch in Hamburg getestet werden

Beide Impfstoffe befinden sich in Phase 1 der Entwicklung. Der GSK-Impfstoff, ein abgewandeltes Schimpansenvirus, in das ein Ebola-Eiweiß eingebaut wurde, wird zurzeit in den USA, England und Mali getestet. Eine weitere Studie soll demnächst in Lausanne in der Schweiz beginnen. Der kanadische Impfstoff wird seit vergangener Woche in den USA geprüft. Spätestens Anfang November soll er dann auch in Genf und in Hamburg getestet werden. Weitere Studien sind in Kenia und Gabun geplant. Die Phase 2 soll übersprungen werden. Sobald im Dezember erste Daten aus den Sicherheitstests zur Verfügung stehen, könnten einige Tausend Dosen in die betroffenen Länder geschickt werden, um dort Anfang 2015 direkt in einer Phase-3-Studie getestet zu werden.

Normalerweise wird dafür eine randomisierte klinische Studie durchgeführt. Das heißt, Menschen werden per Los in zwei Gruppen eingeteilt und erhalten entweder den Impfstoff oder ein Placebo. Sind nach einer gewissen Zeit deutlich weniger von den Geimpften erkrankt als in der Kontrollgruppe, gilt das als Beweis, dass der Impfstoff nützt.

Politik und Kühlprobleme

So eine Studie erschien vielen Forschern bei Ebola aber lange als zu heikel. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen zum Beispiel hat sich dagegen ausgesprochen. Der britische Epidemiologe Jeremy Farrar hat Verständnis dafür: "Wenn Sie da morgen als Arzt hinfahren würden, um drei Monate lang Ebola-Patienten zu behandeln, wären Sie dann bereit, in einer Kontrollgruppe zu sein?"

Als Alternative wurde eine sogenannte Step-Wedge-Studie vorgeschlagen. Das Verfahren macht sich den Umstand zunutze, dass ohnehin nicht alle Menschen gleichzeitig geimpft werden können. Die zuerst geimpften Menschen werden dabei mit denen verglichen, die später an der Reihe waren. Das hat den Vorteil, dass alle Teilnehmer mit dem potenziell wirksamen Stoff gegen Ebola immunisiert werden.

Doch bei einem Treffen von Forschern, Behörden und Unternehmen in Genf im September schlug die Stimmung um. Ein Vortrag von Rip Ballou, der die Entwicklung des Impfstoffes bei GSK leitet, überzeugte viele Hörer, dass eine randomisierte klinische Studie der beste Weg ist. Selbst wenn der Impfstoff nur 60 Prozent der Geimpften schützt, würde so eine Studie mit 5000 Teilnehmern innerhalb von drei Monaten ein sicheres Ergebnis liefern.

Das Ergebnis einer Step-Wedge-Studie werde hingegen alleine dadurch verfälscht, dass die Gruppe, die später geimpft wird, je nach Verlauf der Epidemie ein höheres oder niedrigeres Risiko haben kann, sich zu infizieren. Daher würde es wohl etwa zwei Monate länger dauern, bis mit diesem Verfahren ein ähnlich sicheres Ergebnis zur Wirksamkeit des Vakzins feststünde, sagt Kieny.

Auch Nir Eyal, Medizinethiker an der Harvard-Universität, hält eine randomisierte, klinische Studie für ethisch vertretbar. "Schließlich hat jeder Teilnehmer eine gute Chance, den Impfstoff zu erhalten, und das ist ein großer Vorteil gegenüber den meisten Menschen." Der Impfstoff soll zunächst an Ärzten, Krankenschwestern, Krankenwagenfahrern und Beerdigungsteams getestet werden. Sie haben das größte Risiko, sich zu infizieren, sodass sich bei ihnen am schnellsten herausfinden lässt, ob der Impfstoff hilft.

Der Stoff muss bei minus 80 Grad Celsius gelagert werden. Wie soll das in den Krisengebieten gehen?

Selbst wenn im April feststehen sollte, dass einer oder beide Impfstoffe wirken, gibt es zahlreiche schwierige Fragen. Wer soll zuerst geimpft werden? "Wir versuchen gerade, in Modellen herauszufinden, wie der Impfstoff eingesetzt werden muss, um das Virus möglichst gut einzudämmen", sagt Kieny. Aber neben den wissenschaftlichen Erwägungen werde auch die Politik eine Rolle spielen, sagt Peter Smith, Tropenmediziner an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. "Es wird natürlich jedes Land versuchen, so viel Impfstoff wie möglich für die eigene Bevölkerung zu bekommen."

Und es gibt andere Probleme. So muss der Impfstoff bei minus 80 Grad gelagert werden - alleine das ist in den betroffenen Ländern schwer zu organisieren. Schon für die Studie könnte das ein Problem sein. Im Augenblick plant GSK zwei Studien, sagt Ballou: Eine in Liberia und eine in Sierra Leone. Es könne sein, dass einer der Tests aus logistischen Gründen scheitert. "Dann haben wir immer noch die andere Studie", sagt Ballou. Wenn es um einen Impfstoff gegen Ebola geht, setzt niemand alles auf eine Karte. Dafür ist der Einsatz zu hoch.

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