Rot-Rot-Grün in Thüringen:Lieberknechts freundlicher Gruß an alle Zauderer

Reaktion auf Entscheidung der Thüringer SPD

Christine Lieberknecht appeliert an die SPD-Mitglieder appelliert, Rot-Rot-Grün noch zu verhindern. Der SPD-Vorstand hatte sich für eine Koalition mit den Linken und den Grünen ausgesprochen.

(Foto: dpa)
  • Die SPD in Thüringen hat sich für Rot-Rot-Grün ausgesprochen. Für den Bund habe das keine Auswirkungen betont die Generalsekretärin der Sozialdemokraten, Yasmin Fahimi in Berlin.
  • Noch-Ministerpräsidentin in Thüringen, Christine Lieberknecht schickt eine Nachricht an alle ernsthaft Zaudernden im rot-rot-grünen Sektor.

Von Cornelius Pollmer, Erfurt

Die Hausherrin steht im Foyer der Staatskanzlei, drei gierige Zielfernrohre sind auf sie gerichtet. Christine Lieberknecht nimmt allen verfügbaren Frohmut zusammen, dann erklärt sie den Rohren und den Fernsehleuten dahinter, warum das Bekenntnis der Thüringer SPD-Spitze zu einem rot-rot-grünen Bündnis nicht das Ende ihrer Tage bedeute. Schließlich: Haben wir's? Wir haben's. "Dann geh' ich noch mal kurz hoch, ja?", sagt Lieberknecht. Ein Satz, der perspektivisch selbst dann nicht falsch sein muss, wenn man ihn absichtlich falsch versteht.

Falsch verstanden bedeutet dieser Satz, dass die Ministerpräsidentin vorsichtshalber schon mal ihr Büro geräumt hat und nun der Übergabe an den Nachmieter entgegensieht. Dieser könnte den Namen Bodo Ramelow tragen. Die Fragen, die nach der Richtungsentscheidung der Thüringer SPD nun in frischer Aufregung verhandelt werden sind im Grunde jene, die schon den Wahlkampf bestimmt haben. Erstens: Wird Bodo Ramelow wirklich der erste linke Ministerpräsident Deutschlands? Zweitens: Was würde das bedeuten, für Thüringen, für den Bund? Für letzteren "rein gar nichts", sagt SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi.

Ihr CDU-Amtskollege Peter Tauber blickt eher auf die erste Frage, als er eine Hoffnung seiner Partei formuliert. Die Mitglieder in den Landtagsfraktionen von SPD und Grünen sollten sich daran erinnern, wogegen Menschen in der DDR im Herbst 1989 mutig auf die Straße gegangen seien. Etwas präziser lässt sich am Dienstag Christine Lieberknecht zu den Plänen ein, Ramelows Einzug in die Staatskanzlei doch noch zu verhindern. Thüringens CDU setzt auf eine Art 7-1-alles-Strategie: vermutlich sieben Wochen sind es noch, bis Ramelow nach einem positiven Votum der SPD-Basis und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen überhaupt gewählt werden könnte. Eine Stimme hätte bei dieser Wahl die Mehrheit von Rot-Rot-Grün. Das bedeutet: alles ist möglich.

Ein Gruß an alle Zaudernden

"Schauen wir mal, was in diesen sieben Wochen so passiert", sagt Lieberknecht. Es gingen ja nicht immer alle Rechnungen auf, "und am Ende muss auch jeder Einzelne in der Wahlkabine entscheiden". Ein freundlicher Gruß an alle ernsthaft Zaudernden und potenzielle Profilneurotiker im rot-rot-grünen Sektor. Sollte Lieberknecht die Hoheit in der CDU behalten und sollte die Wahl Ramelows platzen, dann könnte sie zunächst geschäftsführend im Amt bleiben, zudem müssten sich SPD und Grüne alte Fragen neu stellen. Christine Lieberknecht lässt am Dienstag sicherheitshalber noch einmal die Sondierungsvereinbarungen verteilen, die die CDU mit den Sozialdemokraten getroffen hat. Begleitet übrigens von diesem Satz: "Unser Angebot steht, man weiß ja nie, vielleicht wird das ja noch gebraucht."

Als Lieberknecht eine Stimme fehlte

Linken-Spitzenkandidat Bodo Ramelow stellt sich angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Landtag - Rot-Rot-Grün hätte nur eine Stimme Vorsprung vor CDU und AfD - schon mal auf eine schwierige Ministerpräsidentenwahl und damit auf einen dritten Wahlgang ein. Wie spannend und nervenzehrend so etwas sein kann, das hat Ramelow schon vor fünf Jahren erlebt, am 30. Oktober 2009. Von einem "klassischen Fehlstart" der neuen Regierung sprach damals der linke Spitzenpolitiker: "Da stolpert zusammen, was nicht zusammengehört." Denn Christine Lieberknecht (CDU) musste ebenfalls drei Wahlgänge über sich ergehen lassen - obwohl die schwarz-rote Koalition deutlich komfortabler mit einer Mandatsmehrheit ausgestattet war. In den ersten beiden Wahlgängen ist in Thüringen die absolute Mehrheit nötig. CDU und SPD verfügten über 48 von 88 Mandaten; 45 Stimmen wären also nötig gewesen - es waren aber in den ersten beiden Wahlgängen nur jeweils 44. Wer die vier Abweichler waren, blieb unklar; auf beiden Seiten gab es aber genügend Unmut über die Koalition. Erst im dritten Anlauf, hier genügt die einfache Mehrheit, bekam die CDU-Politikerin 55 Stimmen - nachdem Bodo Ramelow seine Gegenkandidatur angekündigt hatte. SZ

Andererseits: Sollte, sollte, könnte, müsste - gewiss ist gerade nur, dass das Allermeiste ungewiss ist. Im Moment, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Hey, zwitscherten ihm "ganz viele Spatzen von ganz vielen Dächern ganz viele Theorien zu, was die CDU denn wollen könnte". Er halte nichts von solchen Konstellationstheorien, sagt Hey, denn "logischerweise befindet sich jeder, der jetzt eine definitive Theorie hat, in Absurdistan". Matthias Hey hat also keine definitive Theorie anzubieten, sondern eine persönliche Wahrnehmung, zum Beispiel eine der Stabilität von Rot-Rot-Grün, beginnend bei der Wahl des Ministerpräsidenten: "Ich glaube, dass diese Einstimmenmehrheit gerade eine große Bindungskraft entwickelt, das ist wie politisches Pattex." Das also ist die Hoffnung: Eine Mehrheit, die, weil sie knapp ist, sich selbst stabilisiert.

Unterschiedliche Wahrnehmung

Linke, SPD und Grüne hatten reichlich Zeit, sich an den Gedanken einer Regierung zu gewöhnen, aus Sicht von Anja Siegesmund erreicht das Projekt durch die Empfehlung der SPD-Spitze aber dennoch eine neue Qualität. Sie habe, sagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen, "riesigen Respekt. Das, was jetzt kommt, ist etwas sehr Reales." Die CDU hingegen fahre nun "die Früchte ihrer strategischen Fehlentscheidungen ein. Das Fenster, in dem sie ernsthaft noch ihre Macht hätte sichern können, ist aus meiner Sicht geschlossen."

So unterscheiden sich die Wahrnehmungen: Alles noch möglich, sagen die Einen. Wir ziehen das jetzt durch, betonen hoffnungsfroh die Anderen. Beide wissen: Es kann natürlich auch ganz anders kommen. Zumal in allen Rechnungen Unbekannte vorkommen, zum Beispiel die "Alternative für Deutschland". Deren Fraktionschef Björn Höcke sät am Dienstag schon mal probeweise etwas Unruhe und bringt eine weitere Option ins Spiel. Eine CDU-Minderheitsregierung? Im Vergleich zu Ramelow das kleinere Übel, sagt Höcke. Daraus nun könnten sich schon wieder neue Konjunktive ergeben. Also, haben wir's? Nein, wir haben's noch nicht.

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