Behindertensport:Rammen erlaubt

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Die "Rugbears" des TSV Milbertshofen sind deutsche Meister im Rollstuhl-Rugby. Die Idee dazu entstand 1996 aus einer Bierlaune. Der sportliche Erfolg bedeutet für die Aktiven aber nicht nur Erleichterung

Von Michael Fischer, München

Auf den ersten Blick ist der Abend in der Gebrüder-Apfelbeck-Sporthalle in Milbertshofen ein Abend wie jeder andere. Die Luft ist stickig, der Geruch von Schweiß setzt sich in der Nase fest. Menschen rennen umher, Bälle prallen auf den Boden und landen in Körben. Hinter dem Vorhang kracht es dagegen beinahe im Sekundentakt. Dort prallen Rollstühle gegeneinander, mit einer Wucht, die einen erschaudern lässt. Gerade hat sich Thorsten Altmann in seinem schwarzen Modell aus der Umklammerung zweier Kontrahenten gelöst, passt den Ball zu seinem Mitspieler, der die acht Meter lange Ziellinie überrollt. Punkt für Team Thorsten. Pause.

"Weißt Du, warum ich das mache?", fragt der 24-Jährige, als er sich das Gesicht mit einer Sprühflasche Wasser befeuchtet. Zehn Wochen nach seiner Geburt erkrankte der Oberpfälzer an einer schweren Gehirnentzündung, fortan war er querschnittgelähmt. "Seitdem sind auch meine Schweißdrüsen nicht mehr funktionsfähig", erzählt er. Sein Körper heizt sich beim Sport zwar auf, kann sich aber nicht durch Schwitzen wieder abkühlen.

Altmann ist ein sogenannter Tetraplegiker, er lebt mit Einschränkungen an allen vier Gliedmaßen, kann sich vom siebten Halswirbel abwärts nicht mehr bewegen. Seine Beine sind komplett gelähmt, die rechte Hand kann er nur ähnlich einer Kralle nutzen. Bereits während der Schulzeit in München beginnt er mit Rollstuhl-Basketball. "Da war ich aber immer nur ein kleines Licht", erzählt Altmann. Die meisten Basketballer sind lediglich an den Beinen gelähmt und können besser werfen und fangen. Genau aus diesem Grund entstand in den späten siebziger Jahren in Kanada das Rollstuhl-Rugby, zu dem auch Altmann vor sechs Jahren fand.

Die Abteilung des TSV Milbertshofen gibt es seit 1996. "Munich Rugbears" nennen sich die 14 Spieler zwischen 19 und 66 Jahren. Bärenstark als Attitüde für behinderte Menschen? "Aus einer Bierlaune heraus wollten wir uns anfangs Rugbeers nennen, wegen des Biers", ist aus der Gruppe zu erfahren. Den Spaß am Leben haben sie jedenfalls nicht verloren.

Erfolgreich sind sie außerdem: In der abgelaufenen Saison wurden die Rugbears deutscher Meister. Drei Männer sind in der Nationalmannschaft aktiv, auch Altmann. Das große Angebot an Sportarten für Behinderte macht dem Verein aber immer mehr zu schaffen, in der kommenden Spielzeit geht nur noch eine statt wie früher drei Mannschaften an den Start. Zudem fehlt ein Trainer. "Viele Menschen schrecken die Entfernungen in der Bundesliga ab", sagt Abteilungsleiter Franz Hund, 69. Unter anderem geht es für die Rugby-Bären nach Berlin, Greifswald und Karlsruhe.

Kampf um den Ball: Auch im Training geht es bei den Munich Rugbears (re. Thorsten Altmann) hart zur Sache. (Foto: R. Haas)

Hund, grauer Bart, graues Haar, kam über die Behinderung seines Sohnes zur Sportart. Nach dem Renteneintritt suchte er nach einer "sinnvollen Beschäftigung", wie er sagt. Er hat viel zu erzählen; vom breiten Regelwerk, von den Unfällen der Sportler, vom Leben mit einem Querschnittgelähmten. Und davon, welche Vorteile es hat, trotz der radikalen Veränderungen weiter Sport zu treiben. Nicht nur die Beweglichkeit werde gefördert. "Die Leute finden hier Gleichgesinnte, mit denen sie sich auch über den Alltag austauschen können." Für viele Menschen breche nach der Diagnose eine Welt zusammen, es gelte, ihnen wieder Selbstbewusstsein und Lebensfreude zu vermitteln.

Die maßgefertigten Rollstühle aus Aluminium kosten bis zu 7000 Euro. Wenn der Krankenkasse der medizinische Nutzen des Sports verdeutlicht werden könne, übernehme sie einen Teil der Anschaffungskosten, sagt Hund. Die meisten, auch die Rollstuhl-Basketballer, könnten sich den Sport sonst nicht leisten.

Auf dem 15 mal 28 Meter großen Feld - es entspricht dem der Basketballer - befinden sich je vier Spieler einer Mannschaft. Jeder von ihnen ist von einem Arzt begutachtet und mit Punkten bewertet worden: von 0,5 für besonders starke Beeinträchtigungen, bis 3,5. Jedes Team darf während der viermal acht Minuten stets höchstens sieben Punkte auf dem Parkett haben. Während die weniger Eingeschränkten vor allem im Angriff eingesetzt werden, sind die "Lowpointer" mit niedriger Punktzahl für die Verteidigung zuständig. Durch geschickte Manöver sollen sie die Angreifer aufhalten, ihnen den Weg versperren. Dabei ist Körperkontakt verboten. Den Gegner zu rammen, auch frontal, ist erlaubt.

Thorsten Altmann sprüht sich ein letztes Mal Wasser ins Gesicht, zieht die Gurte um den Oberkörper fest und fährt los. Mit einer Bewegung zieht er den Ball am Rad seines Rollstuhls hoch, findet eine Lücke in der Verteidigung, schaltet blitzschnell und überquert die Torlinie. Er lächelt, das Wasser läuft ihm über das Gesicht.

© SZ vom 22.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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