Regierungen im Zwiespalt über Lösegeld:Wer darf leben, wer muss sterben?

Regierungen im Zwiespalt über Lösegeld: Erinnerung an James Foley. Laut US-Finanzministerium wurden seit 2004 von Regierungen 120 Millionen Dollar für die Freilassung von Geiseln gezahlt.

Erinnerung an James Foley. Laut US-Finanzministerium wurden seit 2004 von Regierungen 120 Millionen Dollar für die Freilassung von Geiseln gezahlt.

(Foto: Marko Drobnjakovic/AP)

Das Thema Lösegeld gewinnt durch die Terroristen des "Islamischen Staats" wieder an Brisanz. Deren Macht wächst auch aus den Erlösen des Kidnapping-Geschäfts. Regierungen warnen davor - und gehen sehr unterschiedlich damit um: Die USA lehnen Zahlungen an Terroristen strikt ab. Deutschland ist nicht so kompromisslos.

Von Georg Mascolo und Hans Leyendecker

Im Juni vergangenen Jahres verabschiedeten die Staatschefs der G 8 in einem Golfhotel in Nordirland eine gemeinsame Erklärung: Künftig werde die Zahlung von Lösegeld an Terroristen strikt abgelehnt. Kein Geld dürfe in solche Kanäle fließen. Das US-Finanzministerium erklärte, seit 2004 seien von Regierungen angeblich 120 Millionen Dollar für die Freilassung von Geiseln gezahlt worden - Lösegelderpressung sei eine der wichtigsten Finanzierungsquellen radikaler Islamisten.

Der britische Premierminister David Cameron, Gastgeber des Gipfels, sagte im Anschluss, man sei sich "sehr einig" gewesen, aber nicht nur Diplomaten wussten, dass das nicht stimmte: Im Notfall beenden bis heute Staaten wie Spanien, Italien, Frankreich und auch Deutschland Geiselnahmen mithilfe des Geldkoffers. Die USA und Großbritannien lehnen das ab.

Beide Lager nehmen für sich in Anspruch, das jeweils Richtige zu tun, aber was ist in einem solchen Fall richtig und was ist falsch? Staatsräson oder Menschlichkeit? Härte oder Nachgiebigkeit?

Wer am Ende doch zahlt, begründet dies gewöhnlich mit der Schutzpflicht für seine Bürger. Aber hat der Staat wirklich die Pflicht, weltweit seinen Bürgern, die mitunter blind sind für Gefahren und alle Reisewarnungen ignoriert haben, unter allen Umständen das Leben zu retten? Absolute Unnachgiebigkeit, argumentiert ein Mitglied der Bundesregierung, "kommt einem Todesurteil gleich".

Am 16. Oktober kamen der 71-jährige deutsche Arzt Stefan O. und seine 55 Jahre alte Lebensgefährtin Henrike D. auf der philippinischen Insel Jolo frei. Die beiden Segler waren im April von Abu-Sayyaf-Terroristen gekidnappt worden. Nach Angaben eines der Terroristen soll ein Lösegeld von 4,4 Millionen Euro geflossen sein. Berlin schweigt dazu.

Diejenigen, die eisern Zahlungen ablehnen, verweisen auf die Folgen der Erpressung: immer mehr Entführungen, immer mehr Lösegeld-Zahlungen, und am Ende würden Staaten, die den Terrorismus bekämpfen wollten, diesen mitfinanzieren. So ähnlich stand es 2013 im Kommuniqué.

Stille Mahnung der USA

"Was zählt, ist nicht Ihre Unterschrift unter eine Erklärung, sondern dass Sie nicht zulassen, dass Geld an terroristische Kidnapper gezahlt wird", soll Cameron vor ein paar Wochen bei einem Treffen in Wales einige Nato-Partner gerüffelt haben. Auch Barack Obama wurde sehr deutlich. Die New York Times berichtete über Kritik des US-Präsidenten an seinem französischen Kollegen François Hollande. Vor Journalisten habe Obama gesagt, Hollande beteuere zwar, Frankreich zahle keine Lösegelder, dabei zahle Frankreich doch.

Eher im Stillen mahnen die Amerikaner seit Jahren auch die Bundesregierung, endlich mit dem Zahlen aufzuhören. Das Thema gewinnt durch die Terroristen des "Islamischen Staats" (IS) jetzt noch einmal an Brisanz. Deren Macht wächst auch aus den Erlösen des Kidnapping-Geschäfts. Davor warnen Regierungen. Die Schlächter vom IS haben aber auch den Hang zur Barbarei. Die Bilder von der Enthauptung des amerikanischen Journalisten James Foley lösten in den USA eine Debatte über den richtigen Weg beim Umgang mit terroristischen Kidnappern aus.

Ist Deutschland erpressbar?

"Ich glaube, alles in allem wäre ich froh, wenn ich kein Amerikaner wäre", hat Foley vor seiner Hinrichtung gesagt. Sein Kollege David Rohde, der mal von den Taliban gekidnappt wurde und entkommen konnte, erinnerte daran, dass kurz zuvor vier französische und zwei spanische Journalisten vom Islamischen Staat freigelassen wurden, weil ihre Regierungen angeblich Lösegelder gezahlt hätten.

Warum dürfen die einen leben, warum muss der andere sterben? Das unterschiedliche Vorgehen der Amerikaner und der Europäer sei ungeeignet, Geiselnehmer abzuschrecken und Opfer zu schützen, schrieb Rohde.

Darf es also angesichts des IS und all der anderen terroristischen Gruppen, die von Geschäfts wegen Geiseln nehmen, zwei unterschiedliche Wege geben? Die Antwort auf eine ohnehin schwierige Frage ist noch schwieriger geworden.

In Berlin wird die jüngste Entwicklung mit Sorge beobachtet. Am Werderschen Markt, dem Sitz des Außenministeriums, tagt der deutsche Krisenstab. Inzwischen ist er eine permanente Einrichtung, denn die Bundesregierung kann schon froh sein, wenn sich nur zwei oder drei Deutsche zugleich in Geiselhaft befinden. Meist sind es mehr. Zumindest in den Händen des IS befindet sich derzeit keiner.

Zu der Freilassung der beiden Segler in Jolo gibt es kaum Erklärungen. Und die wenigen Worte, die gesagt wurden, sind nicht immer zutreffend. Deutschland sei "nicht erpressbar", erklärte jüngst der Sprecher des Auswärtigen Amts.

"Nicht erpressbar" - das war früher. 1977 hatte die RAF Hanns-Martin Schleyer entführt, sie forderte die Freilassung elf inhaftierter Komplizen. Der damalige Kanzler Helmut Schmidt lehnte ab. Schleyer wurde ermordet. Das Bundesverfassungsgericht machte danach klar, die "zuständigen staatlichen Organe" müssten die Freiheit haben, auf "die jeweiligen Umstände des Einzelfalls angemessen zu reagieren". Also: so oder so.

Dass die Erpressung mittlerweile üblich geworden ist, bestätigen sowohl frühere als auch heute aktive Mitglieder des Krisenstabs. Niemand hat mehr Erfahrungen mit diesen Dingen als Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Als Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder und Außenminister in zwei Merkel-Regierungen war er mit Dutzenden Fällen befasst.

Heimliche Zahlungen über Mittelsmänner

Es begann schon einmal auf Jolo, vor 14 Jahren. Steinmeier fand mit Hilfe des BND einen eleganten Weg. Der damalige Diktator Muammar al-Gaddafi zahlte einen Großteil der Summe. Dann wurde es noch komplizierter, selbst gesteckte Grenzen wurden überschritten. Um eine Geiselnahme in der Sahara zu lösen, brachte 2003 der damalige Staatssekretär Jürgen Chrobog fünf Millionen Euro in die Wüste, offiziell war es Entwicklungshilfe. Später musste sich die Bundesregierung vom Kommandanten einer al-Qaida-nahen Gruppe verhöhnen lassen: Man habe davon auch Waffen gekauft.

Über Mittelsmänner und über Mittlerstaaten wurde immer wieder heimlich gezahlt. Afghanistan, Jemen und der Irak standen im Mittelpunkt. Mal reichten fünfstellige Dollarbeträge. Mal wurden in der Bundesbank in Frankfurt Millionenbeträge bereitgestellt. Chrobog, der einst auch Leiter des Krisenstabs war, wurde 2005 in Jemen entführt und kam, wohl ohne Lösegeld, wieder frei. Eine Ausnahme.

Manchmal hat die Bundesregierung über eine Befreiung von Geiseln mit Hilfe deutscher Spezialeinheiten nachgedacht. Aber zu solch einem Einsatz, einem zweiten Mogadischu, kam es nie.

Nicht die Zahlung von Lösegeld sei das Problem, hat Steinmeier einmal gesagt, sondern die Berichterstattung darüber. Diese erst provoziere Nachahmer. Nach Einschätzung von Insidern wollen Steinmeier und die Kanzlerin trotz des IS ihre bisherige Linie für den Umgang mit Geiselnahmen beibehalten: Politische Forderungen werden abgelehnt, Zahlungen aber sind möglich. Schließlich garantiere das Grundgesetz in Artikel 2 das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Und das verpflichte die Bundesregierung zum Handeln.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: