Preußler-Ausstellung:Die Kraft der Fantasie

Im Bezirksmuseum Dachau eröffnet die Ausstellung "Otfried Preußler - Der Mensch braucht Geschichten". Zu sehen gibt es Original-Illustrationen aus berühmten Werken wie "Die kleine Hexe", "Der kleine Wassermann" oder "Der Räuber Hotzenplotz"

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

"Es war einmal eine kleine Hexe, die war erst einhundertsiebenundzwanzig Jahre alt, und das ist für eine Hexe ja noch gar kein Alter". Wer kennt ihn nicht, diesen ersten Satz aus Otfried Preußlers "Die kleine Hexe". Kaum ein Kind ist ohne Preußlers Werke aufgewachsen. Viele Erwachsene werden sich noch heute gut daran erinnern können, wie sie als Kinder gebannt vor dem Kassettenrecorder oder sogar dem Schallplattenspieler saßen und den Hörspielen zum kleinen Wassermann, dem kleinen Gespenst und dem Räuber Hotzenplotz gelauscht haben. Wie sie wieder und wieder die Illustrationen in den Büchern betrachtet haben und sich in die Welt von Preußlers Figuren geträumt haben, bis die Seiten ganz grau und zerfleddert waren. "Der Mensch braucht Geschichten wie er sein tägliches Brot braucht", hat Otfried Preußler einmal gesagt. Im Bezirksmuseum Dachau eröffnet am morgigen Freitag eine Ausstellung, die sein Lebenswerk zeigt. Besonderes Augenmerk liegt auf Original-Illustrationen. Außerdem gibt es Hörstationen, die Besucher können Filmausschnitte und Interviews anschauen, außerdem gibt es eine Theaterbühne und Marionetten.

Räuber Hotzenplotz

Hotzenplotz hat Großmutters Kaffeemühle gestohlen und wird gejagt. Franz Josef Tripp (1915-1978), Illustration zu Der Räuber Hotzenplotz, 1969.

(Foto: Thienemann-Esslinger Verlags GmbH)

"Ich bin ein Geschichtenerzähler. Als Geschichtenerzähler repräsentiere ich seit Adams und Evas Zeiten das älteste Medium der Unterhaltung, der Belehrung, der Nachrichtenübermittlung schlechthin", sagte Preußler über sich. Die Inspiration für seine Geschichten hat ihren Ursprung in den Kindheitsjahren des Schriftstellers. 1923 im nordböhmischen Reichenberg geboren, dem heutigen Liberec, schöpfte der Bub aus den Dichtungen, Sagensammlungen und Erzählungen in den 6000 Bänden der Bibliothek seines Vaters. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer war Preußlers Vater Heimatforscher. Er sammelte die althergebrachten Sagen des nahe gelegenen böhmischen Isergebirges von Hexen und Zaubermeistern, Nachtjägern und Geistern. Wenn der Bub ihn auf Wanderungen begleitete, erzählte der Vater dem Sohn die alten Weisen. Gemeinsam lauschten sie in den alten Wirtshäusern Nordböhmens den Geschichten der Leute.

Die kleine Hexe

Die kleine Hexe ist nie ohne ihren Raben Abraxas unterwegs, er ist immer dabei. Illustration von Winnie Gebhardt-Gayler zu Die kleine Hexe, 1957.

(Foto: Thienemann-Esslinger Verlags GmbH)

Die entscheidenden Impulse und Grundlagen seiner Psychologie des Erzählens, insbesondere des Erzählens für Kinder, verdankte Preußler jedoch seiner tschechischen Großmutter Dora, so heißt es in einer Broschüre zur Ausstellung im Bezirksmuseum. Von der Großmutter, die als Kind in der Herberge ihres Vaters den Geschichten von Fuhrleuten auf dem Weg nach Prag zugehört hatte, hörte Preußler Geschichten "voll unerwarteter Wendungen, häufig an überlieferte Stoffe und Episoden anknüpfend - und doch frei dahinfabuliert, nach Laune und Gutdünken der Erzählerin sich fortspinnend, bis sie nach mancherlei kühnen Schleifen und listig herbeigeführten Verwirrungen doch noch zu einem guten Ende kamen". Die Großmutter brachte ihm auch bei, Geschichten in der realen Welt geschehen zu lassen, so dass Kinder die beschriebenen Orte mit eigener Vorstellungskraft in ihrer Umwelt entdecken können. "Das Geschichtenbuch meiner Großmutter, das es in Wirklichkeit überhaupt nicht gegeben hat, ist das wichtigste aller Bücher für mich, mit denen ich je im Leben Bekanntschaft gemacht habe", beschrieb Preußler später den Einfluss seiner Großmutter auf sein Werk.

Informationen zur Ausstellung

Öffnungszeiten: 24. Oktober bis 1. März, Dienstag bis Freitag 11 bis 17 Uhr, Samstag, Sonntag, Feiertag 13 bis 17 Uhr.

Eintritt: Erwachsene 5 Euro, ermäßigt 3 Euro, Kinder bis sechs Jahre und Schulklassen frei, Kinder ab sechs Jahren 3 Euro, Familienkarte (zwei Erwachsene und drei Kinder unter 15 Jahren) 10 Euro.

Öffentliche Führungen: 9. November, 7. Dezember, 26. Dezember, 6. Januar, 8. Februar und 1. März. Anschließende Bastelstunde am 9. November, 7. Dezember und 8. Februar, 15 bis 16 Uhr, 5 Euro pro Person inklusive Material. Anschließende Lesung am 26. Dezember, 6. Januar, 1. März, 15 bis 15.30 Uhr, Eintritt frei. Anmeldung ist nicht erforderlich.

Sonntagnachmittag bei Kasperls Großmutter zu Tisch, 30. November und 11. Januar, 12.30 bis 14.30 Uhr. Mittagessen mit anschließender Führung. Erwachsene 12 Euro, Kinder 8 Euro. Kulinarische Abendführung à la Otfried Preußler, 15. Januar, 19 bis 21.30 Uhr. Menü mit anschließender Führung. Teilnehmer zahlen 20 Euro.

Besuch der Ausstellung mit anschließender Lesung "Die kleine Hexe" und "Der kleine Wassermann", 8. Januar, 15.30 bis 17.30 Uhr. Erwachsene mit maximal zwei Kindern 12 Euro, jede weitere Person 5 Euro.

Kindergeburtstag für Kinder ab fünf Jahren mit Besuch der Ausstellung und anschließendem Verkleiden als Preußlers Figuren.

Anmeldung für alle Veranstaltungen erforderlich unter Telefon 08131/567513 oder verwaltung@dachauer-galerien-museen.de.

Weitere Infos und Beratung zu privaten Führungen, zu Veranstaltungen und Preisen unter www.dachauer-galerien-museen.de, Tel. 08131/5675 13. asl

1944 gerät Preußler in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Während seiner fünfjährigen Haft erzählt er sich und den Mithäftlingen Geschichten, gegen das Heimweh, gegen Hunger und Verzweiflung. Dort, so Preußler später, habe er "erfahren, welche Kraft von Geschichten ausgehen kann, welche Lebenskraft".

Bei seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft war seine gesamte Familie aus der nordböhmischen Heimat vertrieben worden. Im bayerischen Rosenheim findet er zu seinem großen Glück Teile seiner Familie und seine Verlobte wieder. Preußler wird Volksschullehrer - und reift erst so zum fertigen Geschichtenerzähler heran: "Es sind Jahre gewesen, in denen auch ich - und zwar unter anderem als Geschichtenerzähler - zur Schule gegangen bin."

Erst mit der Zeit, "allmählich und unter Mühsal", lernte Preußler, Geschichten in Geschriebenes umzusetzen. Heute umfasst sein Werk mehr als 40 Kinder- und Jugendbücher, Erzählungen, Bilderbücher, Theaterstücke und Übersetzungen. Seine Geschichten über die kleine Hexe, den kleinen Wassermann, das kleine Gespenst und den Räuber Hotzenplotz wurden in mehr als 55 Sprachen übersetzt. Als sein bedeutendstes Werk gilt "Krabat", ein Roman, der die Geschichte eines Menschen erzählt, der sich in den Verlockungen der Macht verstrickt - und deshalb nie an Aktualität verliert. Preußlers Geschichten sind also nicht nur für Kinder geschrieben - wenngleich er über die sagt: "Ich habe die Überzeugung gewonnen, dass Kinder das beste und klügste Publikum sind, das man sich als Geschichtenerzähler nur wünschen kann. Kinder sind strenge, unbestechliche Kritiker."

Preußler fasziniert Kinder aus aller Welt. Mehr als 10 000 Briefe aus Brasilien bis Japan, aus Kanada bis Südafrika hat er in seinen Archiven aufgehoben. "Alle Kinder haben eine magische Phase, in der sie sich sehr ähnlich sind, ganz egal, wo sie leben. Noch sind sie im Vollbesitz jener magischen Kräfte der Phantasie, der zauberischen Durchdringung der Welt und ihrer Geheimnisse", erklärt der Schriftsteller sich die kulturübergreifende Begeisterung. Eben jenes Anregen der Kräfte der Fantasie ist Preußlers Ziel. Gerade bei Kindern: sich von einer Geschichte verzaubern zu lassen, durch sie einen Blick auf "die verborgenen Triebkräfte" der Welt zu werfen, ist eine prägende Erfahrung. Geschichten vermitteln Erfahrungen und Werte - und sind deshalb ein Mittel zur Lebensorientierung. Wie gesagt: Jeder Mensch braucht Geschichten.

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