"The Leftovers" auf Sky:Leben mit der Lücke

"The Leftovers"

Einer der Übriggebliebenen: Polizeichef Kevin Garvey (Justin Theroux).

(Foto: HBO)

Was passiert, wenn plötzlich 140 Millionen Menschen spurlos verschwinden? Die packende HBO-Serie "The Leftovers" erzählt von den Konsequenzen eines solchen monströsen Ereignisses für die Hinterbliebenen.

Von Karoline Meta Beisel

Das Baby auf dem Rücksitz brüllt und brüllt und brüllt. Die Mutter steht mit dem Auto auf einem Parkplatz und telefoniert mit ihrem Mann. Er soll das Fläschchen schon einmal warmmachen, Hauptsache, das Baby hört auf zu schreien. Die Mutter dreht sich um, will das Kind beruhigen - da ist es weg. Genau wie der Fahrer eines Autos, das in den Gegenverkehr rast. Und wie ein Vater, nach dem ein Junge so herzzerreißend ruft. Die Menschen sind weg, einfach so, 140 Millionen, zwei Prozent der Weltbevölkerung.

Das muss man sich erst einmal trauen: eine Serie, deren Handlung von einem biblischen Ereignis in Gang gesetzt wird. Im Alten Testament steht die Geschichte von der "Entrückung" Enochs: Er starb nicht, aber war irgendwann nicht mehr da, weil Gott ihn aufgenommen hatte. Ist den Menschen hier dasselbe passiert? Das fragt sich der Zuschauer, aber vor allem fragen sich das die Zurückgelassenen, The Leftovers.

Grundlage ist das gleichnamige Buch von Tom Perrotta, der auch die Serienfassung entwickelte, gemeinsam mit dem als Verwirrungsstifter bekannten Damon Lindelof. Für Lost ersann er Eisbären im Urwald, eine wandernde Insel und ein Wesen, das sich mal als Mensch und mal als Rauchmonster materialisiert. Ganz so verrätselt ist The Leftovers nicht, aber das Loch, das die 140 Millionen reißen und die Frage nach ihrem Verbleib bieten doch genug Stoff für zehn packende Fernsehfolgen.

Eine lange Therapiesitzung

Die eigentliche Handlung beginnt drei Jahre nach dem Prolog auf dem Parkplatz. Polizist Kevin Garvey (Justin Theroux aus Mulholland Drive und Zoolander) bereitet das Örtchen Mapleton auf die Gedenkveranstaltung vor. Und auch sich ganz privat - mit Schnaps und Pillen. Das Ereignis hat seine Familie zerstört: Kevins Frau hat sich einem obskuren Kult angeschlossen. Die halbwüchsige Tochter (Neuentdeckung Margaret Qualley) bearbeitet also gleich mehrere Traumata mit üblen Fouls gegen ihre Hockey-Mitspielerinnen. Und der ältere Sohn verdingt sich für einen Wunderheiler, der mit einer festen Umarmung Menschen um ihren Schmerz und größere Geldsummen erleichtern kann.

Natürlich muss dieser 14. Oktober auch in Akten und Formularen erfasst werden. Mit ihrer Kinorolle in Gone Girl empfiehlt sich Carrie Coon derzeit als Oscar-Kandidatin. In The Leftovers ist sie Nora, die in staatlichem Auftrag durchs Land reist, um die Zurückgelassenen nach Leumund und Sünden der Verschwundenen auszufragen und gegebenenfalls eine Entschädigung anzuweisen. Am Tag ist Nora mitfühlend, hat sie doch selbst Mann und Kinder verloren. Am Abend zahlt sie Prostituierte dafür, ihre Erschießung zu simulieren.

Wenn man so will, ist The Leftovers also eine einzige lange Therapiesitzung. Es geht um Trauer, machtlosen Zorn und Wunden ohne Heilungschancen. Alle sind betroffen, Lichtblicke gibt es quasi nicht. Ein deprimierendes Fernsehereignis, müsste man denken, wer will sich so etwas ansehen? In den USA immerhin acht Millionen Zuschauer pro Folge, eine zweite Staffel ist bestellt. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, sie wird eben auch im Fernsehen verhandelt.

The Leftovers, Sky Atlantic HD, freitags, 22 Uhr.

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