Stigmatisierung von Westafrikanern:"Ich bin kein Virus"

Bloß nicht anfassen? Menschen aus Liberia oder Sierra Leone stehen unter dem Generalverdacht, mit Ebola infiziert zu sein. Jetzt wehren sie sich - mit einer Kampagne in sozialen Netzwerken.

Von Felix Hütten

Shoana Solomon ist traurig und verletzt. Am Nachmittag kommt ihre neunjährige Tochter von der Schule nach Hause und erzählt, was sie sich von Mitschülern anhören musste: "Du bist aus Liberia, du hast Ebola." Shoana Solomon und ihre Familie stammen aus Liberia, sie leben heute in den USA.

Am nächsten Tag klingelt das Telefon, es ist Solomons Schwester, auch sie lebt in den USA. Die Schwester erzählt, wie ihre Tochter am Morgen in der Schule niesen musste. Daraufhin messen Lehrer Fieber, die Schülerin wird in einen abgeschotteten Raum gebracht. Die Schulleitung bittet Solomons Schwester, ihre Tochter erst einmal nicht mehr in die Schule zu bringen - aus Angst vor Ebola. Dabei war das Mädchen noch nie in Liberia und hatte auch keinen Kontakt zu Menschen, die jüngst aus Westafrika in die USA gekommen sind.

"Wir haben das Virus nicht selbst zu uns gebracht"

Die TV-Moderatorin und Fotografin Shoana Solomon weiß sofort: Irgendwas muss passieren. Sie postet auf Facebook: "Get ready" und startet das Hashtag #IAmALiberianNotAVirus. In einem Youtube-Video klagt sie an, dass es falsch sei, die westafrikanische Bevölkerung zu stigmatisieren, weil in ihren Ländern das tödliche Ebola-Virus grassiert. "Wir haben das Virus nicht selbst zu uns gebracht", heißt es im Abspann.

Die Nachricht verbreitet sich in den sozialen Netzwerken, User posten Selfies mit dem Slogan und machen deutlich: Solomons Familie ist kein Einzelfall. Viele Menschen aus Westafrika sind seit Wochen Opfer von Anfeindungen. Wer aus Liberia oder Sierra Leone stammt, trägt das Ebola-Virus in sich: So absurd diese These ist, sie ist im Moment weit verbreitet.

Die Menschen sollten sich die Zeit nehmen, die Fakten über Ebola zu studieren, fordert Solomon im Onlinemagazin The Root. Denn die Stigmatisierung entstehe durch einen Mangel an Informationen. "Radio und Fernsehen bombardieren uns jede Minute mit Nachrichten über Ebola, unterlegt mit dramatischer Musik und angsteinflößenden Bildern. Die Menschen hören die Zahlen der Tausenden Toten, aber nicht, wie man sich mit dem Virus wirklich infizieren kann."

Lutz Mükke vom European Institute for Journalism and Communication Research forscht seit Jahren zur Afrika-Berichterstattung in den Medien. Er kritisiert, dass das Stereotyp des "schwarzen Kontinents", der Hilfsbedürftigkeit Afrikas durch die aktuelle Ebola-Berichterstattung verfestigt werde. "Ebola ist ein sehr emotionales Thema", sagt Mükke zu SZ.de. "Mit dem Einfliegen von Ebola-Opfern nach Europa und in die USA entsteht Angst bei einem Teil der Leser. Angst erzeugt Unsicherheit und alle sind bemüht, Unsicherheiten abzubauen - auch die Medien." Doch leider reihe sich die Ebola-Berichterstattung ein in medial rhythmisch auftauchende Krankheits-Hysterien, ähnlich wie bei der Vogelgrippe, BSE oder Ehec.

"Die Opferrolle in Afrika ist klar zugewiesen"

Auch beim Thema Ebola werde das koloniale Berichterstattungsmuster fortgeführt, weil es das eigene Überlegenheitsgefühl bediene, so Mükke. "Die Opferrolle in Afrika ist klar zugewiesen. Einzelne afrikanische Ärzte werden in den europäischen Medien zu Helden stilisiert, ansonsten werden die Länder als hilflos dargestellt."

Ähnlich äußert sich Annette Lohmann, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung im Senegal im Deutschlandfunk. "Die Passivität, die in den Medien gespiegelt wird, entspricht nicht der Realität." Es gebe sehr viele afrikanische Ärzte, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um Menschen zu retten.

"Bitte hört auf, mich oder mein Kind zu beschimpfen"

Shoana Solomon, die Erfinderin des Hashtags #IAmALiberianNotAVirus, will mit ihrer Aktion der Berichterstattung etwas entgegensetzen. Ihre Nachricht: Westafrika ist mehr als Seuche und Tod.

Doch trotz ihrer Kritik bemüht sich Solomon auch um versöhnliche Töne gegenüber den Medien. Die Berichterstattung bringe die dringend benötigte Aufmerksamkeit für Liberia und andere Staaten, sagt sie. "Ohne Presse wäre die Situation noch schlimmer."

Solomon geht es mit ihrer Aktion nicht darum, die Ängste der Menschen kleinzureden. Im Gegenteil: "Auch wir haben Angst und passen auf. Und wenn ihr mir nicht die Hand geben wollt, weil ich aus Liberia komme, ist das in Ordnung", sagt sie. "Aber bitte hört auf, mich oder mein Kind zu beschimpfen!"

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