Gefährliche Reiseziele:Die Welt wird kleiner

A boy rides a horse in front of the Great Pyramids of Giza on the outskirts of Cairo

An den Pyramiden von Gizeh bei Kairo, Ägypten

(Foto: Archivfoto: Reuters)

Selten hat es so viele Warnungen des Auswärtigen Amts gegeben wie derzeit. Und selten wurde von so vielen Urlaubszielen abgeraten. Als Gradmesser für die Angst der Touristen gilt ein gebeuteltes Land: Ägypten.

Von Jochen Temsch

René alias Bambo71 sucht Hilfe. "Ich bin ein großer Marokko-Fan und war bereits fünf Mal da", schreibt er in einem Reise-Forum im Internet. Eigentlich wollte er jetzt zum Surfen nach Agadir, doch: "Ich bin mir zum ersten Mal nicht sicher ob dies ein guter Zeitpunkt für eine Reise in ein muslimisches Land ist." Andere Besucher des Forums machen sich über ihn lustig. "Überleg es dir besser nochmal", antwortet einer, "Surfen ist sehr gefährlich! Kann man nass werden bei oder ertrinken. Dann wirst du wahrscheinlich auch noch von einem muslimischen Hai gefressen." Doch René ist nicht allein. An Küchentischen, in Kneipen und im Internet - überall, wo derzeit über Reisepläne geredet wird, fällt garantiert der Satz: Wohin kann man eigentlich noch fahren? Ein Besucher des Marokko-Forums fasst treffend zusammen: "Die Angst geht mächtig um."

Viele sonnige Länder in mittlerer Flugentfernung, die jetzt im Herbst besonders einladend zum Baden wären, erscheinen vielen Urlaubern als zu gefährlich. Grund dafür ist eine Spirale von Drohungen und Warnungen seit Ende September. Die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) hatte dazu aufgerufen, wahllos Bürger jener Staaten zu töten, die sich an der internationalen Koalition gegen die Dschihadisten beteiligen.

Daraufhin aktualisierte das Auswärtige Amt in Berlin seine Sicherheitshinweise, die auf der Website auswaertiges-amt.de abrufbar sind. Klickte man einen von rund 40 ausgewählten Staaten in Nahost, Afrika oder Asien an, erhielt man wochenlang die jeweils gleich lautende Information, es bestünde dort ein erhöhtes Risiko, Opfer von Anschlägen und Entführungen zu werden. Das galt nicht nur für Länder, in denen es in jüngster Zeit Entführungen gab und die sowieso von Urlaubern gemieden werden wie etwa Niger, Mali und Mauretanien - sondern auch für beliebte Reiseziele wie Ägypten, Marokko, Thailand, Indonesien, Jordanien oder Kenia.

Sprachliche Feinheit mit rechtlichen Konsequenzen

Inzwischen wurde der regionale Sicherheitshinweis ersetzt durch einen weltweiten. Das Auswärtige Amt hat mittlerweile offenbar noch größere Bedenken. Vorsicht geboten sei vor allem "in Ländern und Regionen, in denen bereits wiederholt Terrororganisationen aktiv waren, in denen Terroristen über Rückhalt in der lokalen Bevölkerung verfügen oder in denen Anschläge mangels effektiver lokaler Sicherheitsvorkehrungen vergleichsweise leicht verübt werden können".

Sicherheitshinweise sind in der offiziellen Terminologie keine Reisewarnungen - eine sprachliche Feinheit mit rechtlichen Konsequenzen. Reisewarnungen stellen dringende Appelle des Außenministeriums dar, Reisen in ein Land oder Teile davon zu unterlassen, weil "akute Gefahr für Leib und Leben" droht. Sie haben juristische Folgen, wie etwa die Möglichkeit, Reisen kostenlos zu stornieren. Deshalb hält sich das Ministerium damit zurück.

Lediglich 24 Länder (plus der Gaza-Streifen, der ja Teil des Palästinensischen Autonomiegebiets ist) stehen zurzeit auf der schwarzen Liste. Sicherheitshinweise dagegen machen auf Risiken aufmerksam und enthalten höchstens die Empfehlung, auf Reisen zu verzichten. Das heißt: Es bleibt jedem selbst überlassen - aber wenn es schiefgeht, soll hinterher niemand sagen, man habe ihn nicht aufgeklärt! Das macht die Entscheidung für viele Urlauber momentan nicht einfacher. Das Ministerium stellt klar, dass der Grad der terroristischen Bedrohung von Land zu Land unterschiedlich ist. Außerdem sei die Gefahr eines Anschlags im Vergleich zu anderen Reise-Risiken wie Unfälle oder Kriminalität gering - aber so differenziert werden Urlaubsziele oft nicht wahrgenommen.

"Viele Leute nehmen Afrika als ein Land wahr"

"Das Image eines Landes spielt eine sehr, sehr große Rolle", sagt Edwin Doldi, der bei Studiosus, Deutschlands größtem Anbieter von Studienreisen, für die Sicherheit der Gäste zuständig ist. Das hat sich zum Beispiel in Indien gezeigt. Seit den Meldungen über Vergewaltigungen sind die Reisen dorthin massiv zurückgegangen. Und im Fall von Ebola entwickelt sich die Sorge vor der Seuche aktuell zur Angst vor ganz Afrika. Die Urlaubsländer im Osten und Süden - etwa Namibia, Kenia, Südafrika, Botswana, Tansania -, liegen so weit von den betroffenen Regionen entfernt wie Berlin oder Paris. Trotzdem meldet jeder zweite Reiseveranstalter, der auf dem größten Safari-Portal Safari Bookings vertreten ist, einen Schwund von Kunden.

Dahinter steckt viel Psychologie. "Viele Leute nehmen Afrika als ein Land wahr, nicht als einen riesigen, in sich sehr unterschiedlichen Kontinent", sagt Thomas Mach vom Veranstalter Diamir Reisen. Ähnlich einseitig könnte nun auch die Betrachtung jener Länder ausfallen, die oft pauschal als "arabischer Raum" bezeichnet werden, wobei man gerne übersieht, dass die meisten Muslime in Asien leben.

Dennoch gibt es zurzeit keine generelle Abkehr von islamischen Urlaubsländern. "Das Interesse unserer Gäste an diesem Kulturkreis ist nach wie vor sehr groß", sagt Sicherheitsmanager Doldi, "die muslimischen Länder, die man besuchen kann, werden auch besucht." Auch die Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR), die das Ferienverhalten der Deutschen seit mehr als 40 Jahren untersucht, kann keine Abwendung feststellen. Marokko und die Vereinigten Arabischen Emirate haben sogar zugelegt.

Gefährliche Reiseziele: In den Straßen von Marrakesch.

In den Straßen von Marrakesch.

(Foto: Simon Martelli/AFP)

Selbst Kulturreisen in den Iran, in den zu reisen lange als höchst gefährlich galt, werden heute als sicher empfunden. Nur Studienreisen nach Ägypten laufen nicht. Das Land gilt als Gradmesser für die Angst der Touristen. Im Gegensatz etwa zu Marokko oder Tunesien ist Ägypten ein Reiseziel fürs ganze Jahr, vor allem für den Winter. Während der Kulturtourismus in Städten wie Kairo oder Luxor "tot" ist, wie selbst der ägyptische Tourismusminister Hisham Zaazou einräumte, geht es an den Stränden am Roten Meer aufwärts.

Die Forscher der FUR haben herausgefunden, "dass politische Unruhen und die Warnung vor Terroranschlägen meist nicht dazu führen, dass auf Reisen allgemein verzichtet wird". Bei aller Verunsicherung scheint zumindest dies sicher zu sein: Zu Hause bleiben die Deutschen nicht.

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