Krippenplätze:Am Ende der Warteliste

Die Stadt Freising koppelt die Vergabe von Krippenplätzen an eine Arbeitsbescheinigung. Wer keine vorlegen kann, muss sich gedulden. Anwalt Thomas Färbinger hält diese Regelung für unzulässig

Von Eva Zimmerhof, Freising

Ihr Leben lang Hausfrau zu bleiben, kommt für Nicole Grothe (Name von der Redaktion geändert) nicht infrage, auch weil ihre Familie finanziell auf das zweite Einkommen angewiesen ist. Doch als die Sozialpädagogin - die nach der Elternzeit keinen Anspruch mehr auf den alten Job hatte - ihren Sohn im Frühjahr in einer städtischen Krippe anmelden wollte, musste sie feststellen, dass sie keine Chance auf einen Platz hatte. Solange sie keine Arbeitsbescheinigung vorlege, bleibe sie "am Ende der Warteliste", eröffnete ihr Brigitte Ott vom Amt für Kindertagesstätten, Schulen und Sport. Außerdem seien sowieso alle Plätze vergeben.

Um sich Arbeit suchen zu können, hatte Grothe zunächst die Betreuung ihres Sohnes organisieren wollen. Bei der Arbeitsagentur stand sie vor dem nächsten Dilemma: Sie könne sich nicht arbeitslos melden, wenn die Betreuung des Kindes nicht sichergestellt sei, da sie für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen müsse, erfuhr Grothe dort. "Wir haben hier keine Großeltern und einen Krippenplatz hatte ich auch nicht", erzählt die verzweifelte Mutter. "Die Aussicht auf einen Krippenplatz würde uns schon ausreichen", sagt indes Christine Schöps von der Freisinger Arbeitsagentur. Dennoch blieb die Situation für Grothe aussichtslos: Sie bekam keinen Krippenplatz, weil sie keine Arbeitsstelle hatte, und kein Arbeitslosengeld, weil ihr der Krippenplatz verwehrt blieb.

Sich von der Stadt ebenfalls in die - in diesem Fall - Hausmannsrolle gedrängt fühlte sich ein Vater, als er nach der Elternzeit wieder als freiberuflicher Künstler arbeiten wollte: Ott, zuständig für die Vergabe von städtischen Krippenplätzen, habe ihm keinen Krippenplatz geben wollen, weil er Künstler sei und damit zu wenig verdiene, erzählt Daniel Triebe, "als Künstler könne ich doch nachts oder in der Mittagspause arbeiten, hieß es". Der Vater blieb hartnäckig: Dreimal sei er "zu Frau Ott gestiefelt", bis er plötzlich einen Krippenplatz für seinen Sohn bekam.

Tatsächlich hat die Stadt in ihrer Kindertagesstättensatzung von 2012 festgelegt, dass die Aufnahme von Kindern in einer städtische Kindertagesstätte "bis zur Schaffung eines bedarfsgerechten Angebotes" nach bestimmten Kriterien erfolgen soll: Bevorzugt aufgenommen werden unter anderem "Kinder, deren Wohl nicht gesichert ist" und "Kinder, bei denen beide Personensorgeberechtigte oder der alleinerziehende Elternteil nachweislich erwerbstätig sind". Letztere Regelung kollidiert jedoch mit dem seit August 2013 geltenden Rechtsanspruch für Kinder zwischen einem und dem vollendeten dritten Lebensjahr auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. "Dass ein Amt Krippenplätze nur gegen Vorlage von Arbeitsbescheinigungen gewährt, ist nicht rechtmäßig", sagt Rechtsanwalt Thomas Färbinger. Der Rechtsanspruch bestehe "unabhängig davon, ob die Eltern arbeiten".

Kinderkrippen

42,28 Prozent der Kinder bekommen in Freising einen Krippenplatz.

(Foto: dpa)

"Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts hat das Landratsamt nach einer Krippenanmeldung drei Monate Zeit, einen solchen Platz bereitzustellen", so der Fachanwalt für Familienrecht. "Erhält das Kind dann keinen Platz und ist es außerdem mindestens elf Monate alt, können die Eltern den Anspruch einklagen."

Eine solche Klage habe es bisher nicht gegeben, sagt Helga Schöffmann, Leiterin des Amts für Kindertagesstätten, Schule, und Sport, das in Freising die Betreuungsplätze organisiert. "Anscheinend reichen die Plätze auf den ganzen Landkreis bezogen aus." 91 Betreuungsplätze gebe es in städtischen Einrichtungen, 186 bei freien Trägern und 127 Plätze in der Tagespflege und Großtagespflege, so Schöffmann. Dabei handele es sich um die "nach Bedarf anerkannten Plätze".

Insgesamt 404 Plätze gibt es demnach - theoretisch. 367 Betreuungsplätze sind es in der Realität, vorausgesetzt die freien Träger bieten tatsächlich die anerkannten Plätze an, wie Schöffmann angibt. Die Zahl von 127 Plätzen bei Tagesmüttern dementiert hingegen Susanne Müller vom Tageselternzentrum Freising. Es gebe noch maximal 90 Plätze und die seien sämtlich belegt. "In den letzten Jahren haben viele Tagesmütter aufgehört zu arbeiten und es rücken kaum welche nach", erklärt sie den Notstand. 42,28 Prozent der Kinder bekommen in Freising einen Krippenplatz; damit bietet die Stadt eine relativ hohe Betreuungsquote, die sich aber mit der Zahl der Tagesmütter verändern wird. Von Bund und Ländern ist eine Quote von 35 Prozent vorgesehen.

Eine weitere Diskriminierung sieht Nicole Grothe in der "Käuflichkeit" von Krippenplätzen: "Wer Geld hat, kriegt in Freising eher einen Krippenplatz. Viele Eltern buchen einen Vollzeitplatz, auch wenn sie ihn gar nicht brauchen, um bessere Chancen zu haben." Dies ist auch der Kindertagesstättensatzung zu entnehmen: Demnach wird bei der Platzvergabe eine "täglich höhere Nutzungszeit gegenüber geringerer Nutzungszeit" bevorzugt. Grothe hat für ihren Sohn zuletzt einen Betreuungsplatz gefunden: im Kindergarten.

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