Parlamentswahl in der Ukraine:Was vom Maidan-Traum übrig bleibt

Crimean crisis reactions in Kiev

Blick in Richtung EU: Graffiti nahe des Maidan-Platzes in Kiew, augenommen im März 2014.

(Foto: dpa)
  • Der "Block Petro Poroschenko" liegt in den Umfragen zur Wahl vorne.
  • Die Wahlen sollten zwar ein Einschnitt sein, aber in vielen Gruppierungen versammeln sich Vertreter der alten Macht.
  • Die Krim wird keine Abgeordneten nach Kiew schicken.
  • In den von Separatisten besetzten Teilen der Ostukraine werden die Wahllokale geschlossen bleiben.

Von Cathrin Kahlweit, Kiew

Vitali Klitschko lässt sich in einen Stuhl fallen, er ist müde, es ist spät, und er sucht angestrengt nach einer Metapher, um seinen neuen Job als Kiewer Bürgermeister zu beschreiben. Ein Fels? Zu unbeweglich. Sisyphos? Zu negativ. Dann hat er es: Kiew - oder am besten gleich das ganze Land - von Korruption und Misswirtschaft zu befreien, das sei wie das Ausmisten des Augiasstalls.

Die Hauptstadt ist derzeit nur eine Sorge des Ex-Boxers: Er ist zugleich Spitzenkandidat des "Block Petro Poroschenko", des Parteienbündnisses des Präsidenten. Dass er bei der Parlamentswahl am Sonntag kandidiert, hat ihm Kritik eingetragen, schließlich will er sein Mandat nicht annehmen. Auch sonst ist das Image des Medienlieblings angeschlagen; im Netz kursieren Beispiele für ungelenke Äußerungen und kompromittierende Fotos.

Viele Ukrainer sehnen sich nach Ruhe und Stabilität

Egal, für Präsident Poroschenko, im Mai mit breiter Mehrheit gewählt, ist Klitschko ein zuverlässiger Partner gewesen, der seine Udar-Partei den Interessen des Oligarchen unterordnet. Poroschenko ist unangefochtene Nummer eins in der ukrainischen Politik - trotz der wachsenden Frustration wegen schleppender Reformen nach dem Maidan-Aufstand, trotz der militärischen und politischen Niederlagen im Krieg um die Ostukraine. Vielleicht ist es ohnehin andersherum: Viele Ukrainer sind des permanenten Ausnahmezustandes müde - und sehnen sich nach Ruhe und Stabilität. Der Präsident gilt als Hoffnungsträger dafür, dass das zerrüttete Verhältnis zu Moskau irgendwann gekittet werden kann.

Derzeit liegt der Block Poroschenko in Umfragen bei 30 Prozent, und er steht nicht unbedingt für einen Neuanfang: Auch reiche Unternehmer und Alt-Politiker sind auf der Liste, die schon unter dem Ex-Staatschef die Strippen gezogen haben. Rückversicherung nach allen Seiten ist angesagt nach dem Maidan-Winter, der Flucht von Viktor Janukowitsch, der existenziellen Krise und der Angst vor einer Radikalisierung der Straße.

"Wir wollen eine proeuropäische Koalition formen"

Auch ein alter Bekannter, und zugleich ein Hoffnungsträger, ist Premier Arsenij Jazenjuk mit seiner "Volksfront"; die neue Partei kommt in Umfragen auf bis zu zehn Prozent. Jazenjuk hatte sich früh dem Volksaufstand angeschlossen und sich zu einem ihrer Wortführer gemausert. Im Umgang mit Russland geriert er sich als Hardliner, in Reformfragen zieht er mit Poroschenko an einem Strang. Dass das Antikorruptionsgesetz und das Lustrationsgesetz, mit dem die Vergangenheit von einer Million Beamten und Politikern durchleuchtet werden soll, zustande kam, ist zum einen dem Druck des Westens und des Internationalen Währungsfonds zu verdanken, zum anderen aber auch Premier und Präsident.

Jazenjuk spielte früher in der Partei von Ex-Premierministerin Julia Timoschenko eine führende Rolle. Timoschenko, optische Ikone des Maidan und moralische Waffe des Westens im Ringen um das Assoziierungsabkommen mit der EU, war aber im Land längst nicht mehr so populär, wie ihre mediale Omnipräsenz vermuten ließ. Zwar gibt sie sich als radikale Patriotin und hat die in Russland festgehaltene Pilotin Nadija Sawtschenko demonstrativ als Spitzenkandidatin nominiert. Aber mittlerweile gilt ihre Vaterlandspartei als so schwach, dass sie an einem Einzug ins Parlament scheitern könnte.

Starker Zweiter ist ein gnadenloser Populist

Starker Zweiter hinter dem Block Poroschenko ist stattdessen - zum Erschrecken der neuen Elite - Oleh Ljaschko. Er gilt als unberechenbarer Selbstdarsteller, im Sommer kidnappte er in der Ostukraine Separatisten, die er vor laufender Kamera vorführte. Ljaschko redet davon, das Land wieder mit Atomwaffen aufzurüsten. Was der gnadenlose Populist, dessen "Radikale Partei" mit mindestens zehn Prozent der Stimmen rechnen kann, tatsächlich will, bleibt vorerst im Ungefähren. Als sein Förderer gilt ein Vertrauter von Janukowitsch. Vielleicht deshalb hatte Ljaschko zuletzt seine öffentlichen Auftritte eingestellt; er fürchte, ließ er wissen, nach mehreren Drohungen um sein Leben. Das mag wahr sein oder nicht - doch ein Anstieg politisch motivierter Gewalt ist zuletzt tatsächlich zu verzeichnen gewesen. Mehrere Kandidaten waren überfallen und schwer verletzt worden.

Die Parlamentswahlen waren - knapp ein Jahr nach Beginn der Demonstrationen in der Hauptstadt - als symbolischer Einschnitt gedacht. Aber noch ist das Wahlgesetz das alte, noch gibt es keine staatliche Parteienfinanzierung, mit der die Korruption in der Politik bekämpft werden könnte, noch dominieren Oligarchen Wirtschaft und Politik - obwohl ihre Partei, die Partei der Regionen, nicht mehr als solche antritt. Stattdessen versammeln sich in mehreren Gruppierungen Vertreter der alten Macht, die sich vor allem als Sprachrohr des Ostens sehen.

Eigentlich hatte Poroschenko vorzeitige Neuwahlen ausgerufen, um eine stabilere Mehrheit in der Rada zu bekommen. Aber von den 450 Sitzen, die zur Hälfte über Listen, zur Hälfte von (zum Teil unabhängigen, aber traditionell von einer Partei gekauften) Wahlkreiskandidaten besetzt werden, wird eine Reihe leer bleiben. Die Krim entsendet nach der russischen Annexion keine Abgeordneten mehr nach Kiew. Und in den von Separatisten besetzten Teilen des Donbass werden die Wahllokale nicht öffnen. Die "autonomen Volksrepubliken" wollen eine Woche später selbst wählen lassen; von einem Wahlkampf dort ist aber nach Auskunft von Bewohnern der Ostukraine nichts zu sehen.

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