Missbrauchsvorwürfe gegen Arzt:Ein schrecklicher Verdacht

Kollegen beschreiben den Kinderarzt Harry S. als intelligent, beliebt und hoch engagiert. Doch er soll in Augsburg, München und Hannover vier Buben sexuell missbraucht haben.

Von Stefan Mayr, Augsburg

Michael Gebler atmet tief durch, dann spricht er von "tiefster Betroffenheit und Sprachlosigkeit". Doch wenig später sprudelt es aus dem Geschäftsführer des Rotkreuz-Kreisverbands Augsburg-Stadt nur so heraus. "Der Harry, das war einer von den Guten", sagt Gebler. "Das macht das alles ja so unfassbar." Vergangene Woche hat die Polizei den Augsburger Kinderarzt Harry S. festgenommen, ihm wird schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen. Er soll in Augsburg, München und Hannover mit mindestens vier Buben im Alter von vier bis sieben Jahren Sexspiele gemacht haben.

Harry S. war beim Roten Kreuz in Augsburg Vorstandsmitglied und arbeitete am Augsburger Klinikum und danach an der Medizinischen Hochschule Hannover als Kinderarzt. Nach bisherigen Erkenntnissen fanden in den Krankenhäusern aber keine Missbrauchshandlungen statt. Die Staatsanwaltschaft macht dazu zwar keine Angaben, aber eine Sprecherin des Klinikums Augsburg schließt ihr Haus als Tatort aus: "Er war als Mitglied eines Teams auf der Intensivstation tätig, insofern bestand keinerlei Möglichkeit, dass er über einen längeren Zeitraum mit einem Patienten alleine war."

Für seine Rot-Kreuz-Kollegen ist das alles "eigentlich unvorstellbar"

Wenn Michael Gebler über den mutmaßlichen Straftäter spricht, sagt er stets: "der Harry". Sie haben jahrelang vertrauensvoll zusammengearbeitet. Harry S. war stellvertretender Bereitschaftsleiter, 2009 wurde er zum Chefarzt gewählt. Der Mediziner brachte sich bei Fortbildungen ein und in der Administration. Stets ehrenamtlich. "Er war intelligent, beliebt und hoch engagiert", sagt Gebler. "Sie können alle positiven Adjektive nehmen, sie würden alle passen." Dass ausgerechnet "der Harry" ein Sexualstraftäter, oder schlimmer noch, ein Kinderschänder sei, das ist für Gebler "eigentlich unvorstellbar".

Noch gilt die Unschuldsvermutung, doch die Staatsanwaltschaft wirft dem Kinderarzt gleich mehrere Taten vor, die sich in Augsburg, München und Hannover ereignet haben sollen. Vier Taten zwischen 2012 und 2014 sind bislang aktenkundig: Im Juni 2012 soll er im Münchner Stadtteil Moosach einen vierjährigen Buben in eine Tiefgarage gelockt und missbraucht haben. Im Juli und August 2014 soll der 39-Jährige in Augsburg übergriffig geworden sein.

Die gravierendste Tat ereignete sich am 18. August 2014 in Garbsen bei Hannover. Ein Fünfjähriger wurde betäubt, missbraucht und dann gewaschen. Eine Passantin sah, wie ein Mann aus einem cremefarbenen Geländewagen stieg und ein verstörtes Kind vor einer Hausmauer absetzte.

Mit Handy-Daten kam die Polizei ihm auf die Spur

Harry S. fuhr einen cremefarbenen Geländewagen, der auf das Rote Kreuz zugelassen war. Trotz der weit auseinanderliegenden Tatorte kam die Polizei dem Verdächtigen auf die Schliche. Die heiße Spur legte Harry S. wohl selbst - durch sein Handy. Ein Abgleich der Funkzellen-Daten führte die Fahnder in seine Augsburger Wohnung. Dort ließ sich der Junggeselle widerstandslos festnehmen.

Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft, bislang hat er sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Bei der Kriminalpolizei Augsburg prüft nun eine sechsköpfige Arbeitsgruppe, ob der 39-Jährige noch für weitere ungeklärte Missbrauchs-Fälle verantwortlich ist. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft ergab ein DNA-Test bei den bisher überprüften Fällen einen "Treffer". Es wird eng für den hoch engagierten Kinderarzt.

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