Umstrittene Milliardenklage:Eon und Vattenfall machen gemeinsame Sache bei Atomklage

Lesezeit: 2 min

Das Verfahren vor einem Schiedsgericht könnte auch für Deutschlands größten Energiekonzern Eon einen Geldsegen bedeuten. Dort klagt bereits Vattenfall.

Von Markus Balser, Berlin

Die Adresse, die Berlins Spitzenpolitiker zittern lässt, liegt nicht weit entfernt vom Weißen Haus. Granit, Glas, Marmor - in einem riesigen Gebäude der Weltbank hat eines der verschwiegensten und zugleich mächtigsten Schiedsgerichte der Welt seinen Sitz: das Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, kurz ICSID in Washington. Es ist der Ort, an dem der Streit zwischen Staaten und Konzernen eskaliert.

Etwa 185 Verfahren laufen derzeit vor dem ICSID. Mal klagen Bergbaukonzerne gegen das Frackingverbot Kanadas, mal fordert der US-Ölkonzern Exxon Geld von Venezuela. Der in Deutschland bekannteste Fall aber trägt die Nummer ARB/12/12: Vattenfall versus Federal Republic of Germany, so steht es in den ICSID-Akten. Streitpunkt: die finanziellen Folgen des deutschen Atomausstiegs. Exakt 4 675 903 975,32 Euro fordern die Schweden von der Bundesregierung zurück - zuzüglich vier Prozent Zinsen - weil der Bund nach der Katastrophe von Fukushima die Pannenkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel wegen Sicherheitsbedenken aus dem Verkehr zog. Die Schweden. So dachte es bislang jedenfalls die deutsche Öffentlichkeit - und so dachten auch weite Teile der deutschen Politik. Denn für die Details der Klage von Vattenfall gilt in Deutschland höchste Geheimhaltungsstufe. Nicht mal Parlamentarier bekommen die Unterlagen zu Gesicht. Außer Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und einigen Beamten seines Ministeriums kennt kaum jemand die ganzen Ausmaße des Rechtsstreits.

Nun aber sickern neue Details durch, die klarmachen: Vattenfall ist nicht allein. Auch Deutschlands größtem Energiekonzern Eon würde bei einem Erfolg in Washington wohl eine hübsche Summe zufließen. Über Zwischenfirmen ist den Informationen zufolge auch der Düsseldorfer Konzern an der höchst umstrittenen Schiedsgerichtsklage beteiligt. Denn Kläger sind nach Angaben aus Branchenkreisen nicht nur die Vattenfall-Mutter in Schweden und deren deutsche Tochter, sondern auch die beiden Betreibergesellschaften der betroffenen Atomkraftwerke. Sowohl an dem Betreiber von Krümmel (50 Prozent) als auch an dem von Brunsbüttel (33 Prozent) ist Eon beteiligt. Bei einem Erfolg vor Gericht profitiere Eon wohl anteilig, heißt es. Möglich sei eine Beteiligung in Höhe der Besitzanteile. Experten zufolge könnte Eon dann mit mindestens 1,5 Milliarden Euro rechnen.

Derweil wächst in der deutschen Politik der Ärger über das Verfahren - und über die Kontrahenten. Schon der umstrittene Prozess kommt die deutschen Steuerzahler teuer. Erstmals nennt die Bundesregierung nach SZ-Informationen nun Zahlen: Seit Beginn des Verfahrens 2012 fielen bis Mitte Oktober mehr als 3,2 Millionen Euro allein an Ausgaben für Rechtsanwälte, Gutachter und Dienstleistungen wie Übersetzungen an, teilt Staatssekretär Matthias Machnig (SPD) aus dem Bundeswirtschaftsministerium in einer Antwort an die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl mit. Davon entfielen 200 000 Dollar auf Gerichtskosten, heißt es weiter. Die Bundesregierung gehe auf Basis derzeitiger Annahmen von möglichen Gesamtkosten in der Größenordnung von neun Millionen Euro aus.

Damit bekommt auch die Debatte um die Rolle von Schiedsgerichten neue Nahrung. Die Vattenfall-Klage in den USA hatte Bedenken Gabriels gegen die Verankerung eines Investorenschutzes im geplanten europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP verstärkt. "Ich glaube, dass eine Menge an Spekulationen über Freihandelsabkommen unterwegs sind, die unberechtigt sind", sagte Gabriel mit Blick auf das geplante Abkommen. Der Fall Vattenfall zeige aber, dass es "eine Sorge gibt, über die man ernsthaft reden muss". Er mache die Fragwürdigkeit von Regeln zum Schutz von Investoren außerhalb nationaler Gerichtsbarkeit deutlich. In Berlin machte angesichts der neuen Details Entrüstung die Runde. "Die Konzernspitze hat mit dem Betrieb der wohl berüchtigtsten Pannenreaktoren Deutschlands von Anfang auf Sand gebaut", sagt Kotting-Uhl, die atompolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. "Krümmel und Brunsbüttel standen jahrelang still und waren ein Verlustgeschäft. Sich nun die klammen Konzernkassen mit deutschem Steuergeld füllen zu wollen, ist schlicht inakzeptabel und wird dem Image von Vattenfall in Deutschland schweren Schaden zufügen." Als "vollkommen legitim" bezeichnete Ende vergangener Woche dagegen die schwedische Regierung die Vattenfall-Forderung. Schwedens Regierung hat Eon in den Neunzigerjahren bei eigenen Ausstiegsplänen entschädigt.

© SZ vom 25.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: