Guardiola vs. Müller-Wohlfahrt beim FC Bayern:"Frag' den Doktor"

Bayern Munich's coach Pep Guardiola attends a news conference on the eve of their Champions League match against AS Roma at the Olympic stadium in Rome

Aufrichtige Nicht-Verhältnis zum Doc: Pep Guardiola.

(Foto: REUTERS)

Das angespannte Nicht-Verhältnis zwischen Coach Pep Guardiola und Arzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt belastet den FC Bayern. Die Frage ist auch: Wie weit müssen sich Klub und Trainer einander anpassen?

Von Christof Kneer

Am Donnerstag kam die erste Meldung, am Freitag die zweite. Es waren keine große Meldungen, recht beiläufig kamen sie daher, die erste meldete einen Vollzug, die zweite kündigte einen Vollzug an. "Thiago-Operation in Barcelona ohne Komplikationen verlaufen", hieß die erste Meldung; die zweite trug den Titel "Rummenigge: Verlängerung mit Sammer überhaupt keine Problematik".

Solche Meldungen haben kein leichtes Leben zurzeit, sie müssen darum kämpfen, wahrgenommen zu werden. Für Meldungen, die mit dem FC Bayern zu tun haben, ist diese Art von Existenzkampf eher neu, normalerweise reicht ihr Herstellungsort "München", um von den Nachrichtenagenturen mit Prioritätenstufe eins oder zwei verschickt zu werden. Aber Thiagos operiertes Knie schaffte es nur zu prio 3, Sammers anstehende Vertragsverlängerung trug sogar nur prio 4 im Titel.

Im Moment sind solche Meldungen viel zu klein. Sie sind kaum zu erkennen hinter den riesenhaften Zahlen, die gerade von allen Anzeigentafeln blinken. FC Bayern "6", Bremen "0". Oder: Rom "1", FC Bayern "7". Und dann gibt es noch eine Zahl, die mehr Nullen besitzt als auf eine Anzeigentafel passen. Mehr als eine halbe Milliarde wird der Klub demnächst an Umsatz verkünden. Rekord. Prioritätenstufe 1.

Dem FC Bayern geht es gut, besser, am besten, so sieht das aus der Ferne aus, und natürlich stimmt das auch. Aber im Verein wissen sie, dass hinter den Zahlen das Kleingedruckte lauert, und die Macht des Kleingedruckten unterschätzt niemand in diesem Verein. Die Prioritätenstufen 3 und 4 sind nicht voneinander zu trennen: Der Kniefall Thiago ist dermaßen heikel, dass die Verantwortlichen Rummenigge und Sammer hinter den Kulissen eine Menge diskrete Arbeit zu leisten haben.

Schon bei Klinsmann und van Gaal ging es darum: bremsen oder entgegenkommen?

Die Grundzüge des Falles zählen inzwischen zum öffentlichen Basiswissen: Thiagos Innenbandriss im März, seine von der spanischen Fraktion im Klub unterstützte und von den Verantwortlichen allenfalls geduldete Behandlung in Barcelona; Thiagos frühe Rückkehr ins Training; die erneute Verletzung; die erste Operation, die nächste Rückkehr; der dritte Riss des Innenbandes und die Diskussionen über den Operationsort.

Es wurde dann Barcelona statt des angeblich vorgesehenen Vail, wobei sich Klubchef Rummenigge leidenschaftlich Mühe gab, die aufflammende Debatte zu ersticken. Es sei von Anfang an Barcelona geplant gewesen, sagte Rummenigge etwa, und der spanische Arzt Rámon Cugat habe bei der Behandlung ebenso wenig Fehler gemacht wie die medizinische Abteilung der Bayern.

Auch Guardiola hatte vorübergehend zur Deeskalation beigetragen, es sei "vielleicht ein großer Fehler" gewesen, Thiago zur ersten Behandlung nach Barcelona zu schicken, sagte er. Das klang edel, wurde aber konterkariert durch den störenden Fakt, dass Thiago zur anschließenden Operation wieder nach Barcelona flog.

Das aufrichtige Nicht-Verhältnis zwischen Guardiola und der Doktoren-Ikone Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, genannt Mull, belastet zurzeit den Alltag dieses großen Vereins. Guardiola missfällt es, dass der Arzt - anders als beim FC Barcelona - keine Praxis auf dem Klubgelände unterhält und dass er autonom Diagnosen erstellt, die nicht automatisch mit den Wünschen des Trainers übereinstimmen.

"Frag' den Doktor", hat Guardiola zuletzt gern geantwortet, wenn jemand nach den verletzten Spielern fragte. Manchmal klang das so, als enthalte ihm der Doktor die Spieler mutwillig vor.

"Mia san Mull", heißt es beim FC Bayern

Jenseits aller Details steht dieser komplexe Fall für einen Prozess, der den Bayern bekannt vorkommen dürfte. Schon bei den unterschiedlich eigenwilligen Trainer Jürgen Klinsmann und Louis van Gaal ging es im Kern immer wieder darum, wie weit ein Klub einem Trainer entgegenkommen kann, ohne seine Seele einzubüßen; oder, umgekehrt, wie sehr man einen Trainer einbremsen darf, ohne ihn zu verlieren.

Bei van Gaal sind sie im Klub vom Glauben abgefallen, als er mit bockigem Beharren auf dem Torwart Kraft den ohnehin verzwickten Transfer von Manuel Neuer gefährdete. So ein lustvoller Rumpelkopf wie van Gaal ist Guardiola nicht, aber naturgemäß gerät auch der emotionale Katalane mitunter in Konflikt mit den ehernen Ritualen und Reflexen des Klubs.

Der Doktor Müller-Wohlfahrt ist so ein ehernes Ritual. Mia san Mull, auch das gehört zum Selbstverständnis des FCB.

Er müsse sich "anpassen", hat Guardiola im Juni 2013 in seiner ersten Pressekonferenz gesagt, es ist bis heute eine seiner Lieblingsvokabeln geblieben, an-pàssen, mit Betonung auf der zweiten Silbe. Guardiola heuchelt das nicht, es ist ihm ernst damit, und zumindest auf dem Rasen gelingt der Anpassungsprozess oft meisterhaft. Guardiola hat die Spielweise im "Konterland", wie er seine neue Heimat amüsiert nennt, schnell in sein Weltbild eingepasst, er tüftelt voller Hingabe an einem Fußball, der zwar ein Guardiola-Fußball bleiben soll, aber dennoch den Regeln der neuen Liga nicht widerspricht.

Mit Verblüffung und auch Bewunderung sehen die Verantwortlichen, wie dieser Trainer arbeitet, und so sind sie durchaus zu Zugeständnissen bereit. Nach dem Verkauf von Toni Kroos haben sie ihrem Trainer auch Sami Khedira als Ersatz angeboten, aber sie haben akzeptiert, dass die Begeisterung recht schmal ausfiel. Sie haben darauf verzichtet, den Transfer durchzusetzen. Pep war ihnen wichtiger.

Rummenigge und Sammer haben anspruchsvolle Monate vor sich. Sie müssen einerseits dafür sorgen, dass das System Bayern erhalten bleibt, dass also - zum Beispiel - verletzte Spieler weiter den Regeln des klubeigenen Medizinstabes (Müller-Wohlfahrt und die Fitnesstrainer) folgen und erst ins Pep-System (mit Fitnesscoach Lorenzo Buenaventura) wechseln, wenn das Bayern-System sie überstellt. Andererseits wollen Rummenigge und Sammer dem Trainer ihre Kompromissbereitschaft zeigen; ein Modell könnte sein, dass der beim DFB auf Tagesbasis honorierte Müller-Wohlfahrt nicht mehr jede Nationalmannschafts-Reise mitmacht.

Ende März, wenn die Nationalelf in Georgien spielt, werde Müller-Wohlfahrt wohl nicht mitfliegen, heißt es beim DFB. Das hat mit Bayern ursächlich nichts zu tun, aber Guardiola müsste es zu schätzen wissen, wenn in der heißen Champions-League-Phase der Arzt in der Stadt ist.

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