Magazine "mindart" und "my harmony":Journalismus zum Kuscheln

Mindart/My Harmony

Verbindet die neue Eso-Szene mit der aus den 80ern: mind-art lässt einen Sterbeforscher und einen Neurologen über Nahtoderfahrungen debattieren. "my harmony" attestiert unserer Gesellschaft mangelndes Wir-Gefühl.

(Foto: PR)

Zwei neue Magazine richten sich an die weibliche und vor allem harmoniebedürftige Leserschaft: "mindart" versucht es auf spirituell-politische Weise, "my harmony" will "gute Ideen und schöne Gedanken".

Von Ruth Schneeberger

Zwei Magazine sind in diesem Monat neu auf dem Markt, die am Kiosk nebeneinanderliegen und mit ähnlichen Titeln um Leserinnen buhlen. Und doch Unterschiedliches mit ihnen vorhaben. Beide sagen in ihrer ausgestellten Kuscheligkeit einiges über die Zeit aus, in der wir leben.

"Kreativ und glücklich in 12 Wochen" ruft es in Rot vom Titel der ersten Ausgabe von mindart (6,90 Euro), "Der große Herbst-Glücks-Guide" wird auf dem Cover von my harmony (5,50 Euro) versprochen. Fröhlich bunte Illustrationen zieren die Titel: Frau im Yogasitz vor Baum im ersten Fall; Tee und Gebäck, Briefe und Bücher im zweiten.

Wohlfühlen ist das Geschäft der neuen Konkurrenten. Das Burda-Magazin my harmony, von dem zunächst einmalig 100 000 Exemplare erscheinen, zeigt das schon im Titel und liefert die üblichen Rezepte: Es wird dem Herbstspaziergang gehuldigt und dem Briefeschreiben von Hand; Buchempfehlungen werden ausgesprochen, dazu Kochrezepte, etwa für Schweinebacken mit Pastinaken.

Letzteres wird man in mindart nicht finden, wo ausgiebig der vegane Lebensstil gepriesen wird, durch den "Ganzheitsmediziner" Rüdiger Dahlke. Dazu gibt es vieles aus der Welt der Esoterik, aus Astrologie und Psychologie, hinzu kommen Interviews und ein bisschen Politisches (etwa ein - eher seichtes - Gespräch mit dem Musiker Peter Fox über "mutigere" Politik).

Zur Podiumsdiskussion bei der Launch-Party in Berlin hat Chefredakteur Nicolas Flessa Jens Spahn (CDU) und Christine Kaufmann eingeladen. Der Gesundheitspolitiker soll dem Blatt Seriosität verleihen, die Schauspielerin (die im Interview geduzt wird) vorbildliche Prominenz verkörpern, frei von Jugend- oder Diätwahn und offen für spirituelle Denkweisen. Chefredakteur Flessa, 36, verortet sein Heft, am 15. Oktober in einer Auflage von 60 000 Exemplaren erschienen, "zwischen Cicero und Happinez" - setzt also künftig zweimonatlich auf eine Mischung aus Esoterik und politischer Debatte.

Der Tagesspiegel hat das Heft schwer verrissen: Fleischkonsum werde mit Hexenverbrennung verglichen, stört sich das Berliner Blatt an den Texten über Veganismus, das komme einer Gehirnwäsche gleich. Außerdem stecke hinter dem Erzeugnis die Adviquo AG, die auch Astro TV betreibe, was wohl auf Abzocke hinauslaufe.

Ganz so schlimm ist es aber nicht: Dahlke mag in schulmedizinischen Kreisen anecken, aber hier soll es eben um den geöffneten Blick gehen, über die rein naturwissenschaftliche Betrachtung hinaus. Die Hexenverbrennung erwähnt er nur als eines von vielen Lastern der Geschichte, welche die Menschheit überwunden habe. Er wünscht sich das auch für den Fleischverzehr und ist damit nicht alleine. Vegan ist ein großer Trend - und vereint jene, die aus gesundheitlichen oder moralischen Gründen neue Wege gehen wollen, auch in anderen Bereichen.

mindart ist angetreten, diese neue Eso-Szene mit der alten aus den 80er-Jahren zu verbinden. Und macht das gar nicht so schlecht. Ein Theologe erläutert Grenzbereiche zwischen Alltagswissen und Schulwissenschaft; in der Rubrik "Blickwinkel" kommen ein Sterbeforscher und ein Neurologe beim Thema Nahtoderfahrungen zu gegensätzlichen Ergebnissen. Von Gehirnwäsche kann also keine Rede sein.

Nur optisch und anzeigentechnisch ist das Heft noch so gar nicht ausgereift. Da wird ganzseitig - ohne Werbehinweis - "mindart-Coaching" diverser Therapeuten zu 60 Euro pro halbe Stunde empfohlen. Die ersten Seiten prägen Werbung für ein Wellness-Hotel im 80er-Jahre-Look. Kein besonders schicker Start. Dafür, dass das Magazin nur zwei Angestellte hat und ein paar freie Mitarbeiter, gibt es allerdings aufwendige Extras: Lesezeichen zum Herausdrücken mit Sinnsprüchen drauf, ein Astrokalender zum Aufklappen. Nur wozu im Himmel braucht jemand eine selbst zu bastelnde Pyramidenlandschaft?

Das kann der am 21. Oktober erschienene Freundin-Ableger my harmony besser: Das sogenannte "Mindstyle"-Heft ist ein optischer Genuss, wenn man es so betont niedlich mag: das Cover rosa, Seiten mit Blüten bedruckt, Porträts mit Goldrahmen verziert, herausnehmbare Postkarten und Notizzettel hübsch gestaltet, trotz allem nicht kitschig. Klamotten werden nicht beworben, sondern Teekannen, für 18 bis 90 Euro, aber sogar die sind richtig originell.

Fehlenden Geschmack kann man my harmony also nicht vorwerfen, eher Inhaltsleere. Die größeren Lesestücke handeln davon, dass es in der Arbeit jetzt wieder weniger an Engagement sein dürfe, in der Gesellschaft dafür mehr an Wir-Gefühl. Hat man alles schon mal gelesen.

In diesem Punkt treffen sich beide Neuerscheinungen wieder inhaltlich und zeigen: Es ist bei Medienmachern angekommen, dass nach den Ego-80ern, den kühlen 90ern und dem digitalen Wandel im neuen Jahrtausend eine neue Sehnsucht nach Werten entstanden ist, die mit Erdung, Sinnsuche und Weltverbesserungsgedanken zu tun haben. Nach der Wellness-Welle für den Körper sind Geist und Gefühle dran. Gar so kuschelig wie in diesen Magazinen muss der Eskapismus aber nicht verpackt sein.

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