"Zwei Tage, eine Nacht" im Kino:Geld oder Solidarität?

Marion Cotillard in "Zwei Tage, eine Nacht"

Die Dardenne-Brüder aus Belgien machen sozialrealistisches Kino, können dabei aber auf große französischen Stars bauen - wie Marion Cotillard.

(Foto: Alamode)

In "Zwei Tage, eine Nacht" stehen sechzehn Arbeitskollegen vor der Entscheidung: Alle bekommen einen Bonus oder eine junge Mutter darf bleiben. Der neue Film der Brüder Dardenne schildert eine einfache Geschichte - mit einer sensationell berührenden Marion Cotillard in der Hauptrolle.

Von Martina Knoben

Am Ende sind die großen Themen verhandelt worden, die Entsolidarisierung unserer Gesellschaft, die Verwandlung der Welt in ein einziges großes Gewerbegebiet - und doch wird es sich wie eine einfache Geschichte anfühlen. A straight story: Die junge Mutter Sandra (Marion Cotillard) ist entlassen worden; der Chef hatte ihre sechzehn Kollegen vor die Wahl gestellt: eine Prämie von 1000 Euro für jeden - oder Sandra darf bleiben. Bis auf zwei haben alle das Geld gewählt, aber Sandra erwirkt eine neue Abstimmung. Nun bleiben ihr zwei Tage und eine Nacht, um für ihren Job zu kämpfen.

Eine schöne Schlichtheit zeichnet die Filme der belgischen Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne aus. An eine unüberschaubar scheinende Wirklichkeit stellen die beiden die entscheidenden Fragen, die manchmal eben doch ganz einfach sind - Geld oder Solidarität zum Beispiel.

Diese simple Plotkonstruktion öffnet ein weites Feld des Menschlichen: Sandra sucht jeden ihrer Kollegen persönlich auf, bittet sehr zurückhaltend, das Votum zu überdenken, überredet kaum. Und erlebt aggressive Zurückweisung, feiges Sich-verleugnen-lassen, aber auch Gewissensbisse und eine tränenreiche Entschuldigung. Ihr Fall wird zum Lackmustest für die Menschlichkeit dieser Belegschaft - und eines Wirtschafts- und Wertesystems, das seinen Mitgliedern eine solche Wahl aufzwingt.

Das Kino der Dardenne-Brüder weiß um die zweifelhafte Natur des Menschen, gibt ihm als Spezies aber immer wieder eine Chance. Daraus erwächst eine Freiheit des Handelns, die die Filmemacher ihren Figuren trotz schwieriger Umstände und Biografien immer wieder zutrauen, und zumuten. Wie in "Das Kind", 2005, in dem ein junger Vater sein neugeborenes Baby verkauft, so wie er alles zu Geld macht, was sich verkaufen lässt - sich dann aber anders besinnt und alles tut, um das Kind zurückzugewinnen. Oder in "Der Junge mit dem Fahrrad", 2011, in dem ein Junge, der eigentlich schon keine Zukunft mehr hat, eine Pflegemutter findet wie eine gute Fee.

Wie bei einem Adventskalender öffnen sich in "Zwei Tage, eine Nacht" die Türen von Sandras Arbeitskollegen. Dahinter liegen präzise gezeichnete Miniaturen kleinbürgerlicher Existenz. Das sind alles keine Gewinner, das sieht man den Häuschen und Mietwohnungen an, in denen sie leben. Eine Familie will mit der Prämie das Studium der Tochter finanzieren; eine Frau, die sich von ihrem Mann getrennt hat, braucht neue Möbel und einen Kühlschrank. Bequeme Lösungen gibt es in ihren Filmen nicht.

Einmal wird die Konkurrenz aus China erwähnt. Mehr muss gar nicht gesagt werden

Aber es gibt eine klare Haltung und eine Perspektive - in "Zwei Tage, eine Nacht" ist es die von Sandra. Sie wird von einer berührend verletzlichen Marion Cotillard gespielt, die sich zurücknimmt, klein macht, um die unter Depressionen und Angstanfällen leidende Arbeiterin in einer Solarfabrik zu spielen. Da ist nichts von der Schicksalswucht, die das Spiel der Oscarpreisträgerin in "La vie en rose" (2007) oder "Der Geschmack von Rost und Knochen" (2012) prägte. Sandra war eine Weile krankgeschrieben und kommt gerade wieder auf die Beine, als sie die Nachricht von ihrer Entlassung trifft.

Wie Marion Cotillard diese Gefühle spielt, ist eine Sensation - aber eine leise. Sie sackt in sich zusammen, schrumpft vor unseren Augen, als sie am Telefon von der Abstimmung erfährt. Und dann wächst sie wieder, über sich hinaus, als sie sich überwindet, um ihren Job zu kämpfen.

Ausbeutung im Globalen

Zu den einfachen Fragen, die der Film stellt, gehört auch die nach den Verlierern der Wirtschaftskrise. Es sind immer die Schwächsten, Menschen wie Sandra oder solche, die noch schwächer sind. "Zwei Tage, eine Nacht" denkt die Ausbeutungs- und Verdrängungskette weiter, ins Globale. Sandra arbeitet in einer Solarzellenfabrik, mit der es nicht zum Besten steht; ihr Chef erwähnt die Konkurrenz aus China. Mehr muss dazu gar nicht gesagt werden, man weiß, wie es um diese Branche steht und auch, unter welchen Bedingungen in Asien produziert wird.

So erdrückend kann die Wirklichkeit sein, dass es am einfachsten zu sein scheint zu resignieren. Sandra sinkt irgendwann in ihre Depression zurück, man sieht förmlich, wie sie die Gewalt über ihr Leben abgibt, das Steuer loslässt und zur Beifahrerin wird. In diesem Moment des Aufgebens sitzt sie tatsächlich im Auto; und wie die Dardenne-Brüder das inszenieren, zeigt ihre ganze Klasse.

Voller künstlerischer Details

"Zwei Tage, eine Nacht" mag wie improvisiert wirken, tatsächlich ist jedes Detail kunstvoll gestaltet. Manchmal ist Sandra so gekleidet, dass sie vor den grau-braunen Häusern, die sie besucht, fast verschwindet. Ein anderes Mal unterstreicht ein lachsfarbenes Hemd erst ihre Zartheit, um später ihre Stärke umso deutlicher hervorzuheben.

Und immer wieder wird im Film gekauft und konsumiert - Eis, Wasser, Fast Food. Ein weiteres vielsagendes Detail, wie es typisch ist für den Minimalismus der Dardenne-Brüder: Dafür also geben die Leute ihr Geld aus. . . Dazu passt die herzlose Architektur, die wir sehen: die Wohnklötze für Arme oder das Gewerbegebiet, in der die Solarfabrik steht.

Sandras Fahrt wird zwischendurch zur Odyssee, zur Nachtfahrt, in der die Hoffnung und das Ziel leicht verloren gehen können. Die Kraft, trotzdem weiterzukämpfen, verdankt sie ihrer Familie. Beziehungszank spielt in diesem Film einmal keine Rolle, weil es um Wichtigeres geht - und das ist schön. Es muss nie ausgesprochen werden, aber Sandras Mann (Fabrizio Rongione) hält zu ihr, wie nur Liebende es können. Er und ihre zwei Kinder bilden die erste Ebene einer Gemeinschaft, dazu kommen dann die Arbeitskollegen, die auf Sandras Seite sind; und schließlich kann Sandra auch selbst Hilfe weitergeben, als eine Kollegin sich von ihrem Mann trennt.

Solidarität hilft in der Krise, sie ist überlebenswichtig, lautet die - vielleicht etwas überdeutlich formulierte - Botschaft des Films. Wenn Sandras Handy klingelt, und es klingelt ziemlich oft, ist das zwar manchmal störend und setzt sie unter Druck. Es ist aber auch die Verbindung zu ihren Freunden: ein Netz gegenseitiger Hilfe. Es ist die Antwort der Dardenne-Brüder auf das globale Netz von Waren und Wettbewerb, in dem wir alle verstrickt sind.

Deux jours, une nuit, B/F/IT 2014 - Regie, Buch: Jean-Pierre, Luc Dardenne. Kamera: Alain Marcoen. Schnitt: Marie-Hélène Dozo. Mit: Marion Cotillard, Fabrizio Rongione. Verleih: Alamode, 95 Minuten.

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