Taxi-Therapie:Mit dem Psychologen auf dem Autorücksitz

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Ein Taxi in Stockholm, in dem man eine Therapie-Sitzung absolvieren kann. (Foto: dpa)

Im Taxi haben die Menschen schon immer gerne ihren Kummer abgeladen. In Stockholm können sie das künftig sogar bei Profis tun: Psychologen bieten eine Art mobile Beratung an - auf der Rückbank.

Von Silke Bigalke

Jetzt beginnt die dunkle Zeit in Schweden, bald wird es gar nicht mehr richtig hell zwischen den Nächten. Viele Stockholmer verkriechen sich zu Hause, kämpfen mit Tageslichtlampen und Vitamin B gegen den Blues. Wer doch raus muss, kann in ein Taxi steigen und sich neben Mia Fahlén auf die warme Rückbank setzen. Sie lächelt dann auffordernd und fragt: "Wo möchtest du hin, wie viel Zeit haben wir, und wie möchtest du diese Zeit nutzen?"

Wer nicht vor Schreck gleich wieder aussteigt, der schüttet ihr vielleicht sein Herz aus. Fahlén ist Psychologin, kommende Woche verlegt sie ihre Praxis in das Taxi von Fahrer Haci Demirol. "Wir haben nur begrenzt Zeit, und ich sage nicht, dass ich jemanden in dieser Zeit heilen kann", erklärt sie. "Aber ich kann den Leuten Ideen geben, wie sie ihr Leben ändern und wo sie Hilfe finden können." Es ist ein Versuch, für den Taxi Stockholm drei Psychologen engagiert hat, die man ohne Aufpreis zur Fahrt dazu buchen kann.

"20 bis 30 Patienten am Tag"

In der Laien-Variante gibt es Taxi-Therapien wahrscheinlich, seit es Taxen gibt. Fahrer und Fahrgast reden über das Leben und werden dabei schon mal privat. So wie in Jim Jarmuschs "Night on Earth", in dem ein Fahrer den Gast mit seinen Schilderungen in den Herzinfarkt treibt. Auch andere Geschichten mit Taxifahrern in den Hauptrollen, "Taxi Driver" oder "Collateral", wären womöglich anders ausgegangen, hätte ein Psychologe mit im Wagen gesessen.

Der Stockholmer Fahrer Haci Demirol jedenfalls ist dankbar für die professionelle Hilfe. Seit 24 Jahren fährt er Taxi. Mit seinen "20 bis 30 Patienten am Tag" spreche er über alles, tagsüber oft über Jobprobleme, nachts über Liebeskummer. Die meisten Geschichten vergisst er schnell. Andere nie. Wie die Geschichte des Geschäftsmannes, der auf dem Weg zum Flughafen in Tränen ausbrach, weil er zwar viel Geld, aber nie Zeit für seine Kinder hat. Ihm konnte Demirol ebenso wenig helfen wie all den anderen.

Kritik des schwedischen Psychologenverbundes

Psychologin Fahlén hofft, dass sie es kann. Sie hofft, im Taxi Menschen zu treffen, die sich sonst nicht trauen, psychologische Hilfe zu suchen. "Das ist ein großer Schritt. Viele mit Angststörungen brauchen Jahre, bevor sie zu uns kommen." In Demirols Auto müssen sie nicht einmal ihren Namen nennen.

Genau das mache Taxifahrer ja zu Seelsorgern, sagt Anders Wahlberg. Der Vorsitzende des schwedischen Psychologenverbundes hält nicht viel vom Therapie-Taxi. Dem Fahrer schütte man sein Herz aus, weil man zu ihm keine Verbindung habe, weil es anonym sei und vor allem: spontan. "Man plant doch nicht, einen Psychologen im Taxi zu treffen", so Wahlberg. Schaden könne die Beratung allerdings auch nicht.

Was den Leuten schade, so Wahlberg, sei der allgemeine Stress. Für den sei das kompakte Therapieangebot der Taxigesellschaft nur ein weiteres Zeichen. Psychologin Fahlén sieht das ähnlich. In der Single-Stadt Stockholm komme noch die Einsamkeit dazu, vor allem in der dunklen Jahreszeit. "Man hat einfach zu wenig natürlichen Kontakt zu anderen Menschen", sagt sie. Dann mal gute, sorgenvolle Fahrt.

© SZ vom 30.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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