Urteil im Autobahnschützen-Prozess:Roulette auf der Autobahn

Autobahnschützen-Prozess

Im Autobahnschützen-Prozess wird am Donnerstag das Urteil gegen den angeklagten Fernfahrer Michael K. (Mitte) verkündet.

(Foto: dpa)

Jahrelang soll Lkw-Fahrer Michael K. auf deutschen Autobahnen auf andere Fahrzeuge geschossen haben. Nun fällt das Urteil. Im Prozess ging es um Frust im Straßenverkehr, die Leidenschaft des Angeklagten für Waffen - und Erich Honecker.

Von Anna Fischhaber

Die Tat

"Ich möchte sagen, dass ich kein Mörder bin", sagt Michael K. am letzten Verhandlungstag vor der Urteilsverkündung. Nie habe er jemanden umbringen wollen, er habe immer auf die Ladung gezielt. Der 58-Jährige habe "Roulette mit dem Leben anderer Verkehrsteilnehmer" gespielt, sagt dagegen der Staatsanwalt. Insgesamt 762 Mal soll der Fernfahrer zwischen 2009 und 2013 auf andere Fahrzeuge geschossen haben - am liebsten auf Autotransporter. Angeklagt sind allerdings nur noch 125 Fälle. Die meisten Kugeln richteten nur Sachschäden an, viele Fahrer bemerkten die Einschusslöcher erst, als sie am Ziel ankamen. Dass tödliche Zufallstreffer möglich waren, zeigt jedoch der Fall von Petra B.

2009 will die Frau auf der A 3 bei Würzburg einen Lkw überholen, als sie einen Knall hört. Die Kugel zerschmettert die Scheibe der Fahrertür und ihre Brille, sie kann kaum noch sehen. Es gelingt ihr dennoch, das Auto an der Mittelleitplanke zum Stehen zu bringen. Ihr Nacken blutet, die Ärzte operieren später Bruchstücke eines Projektils heraus. Ein Zentimeter weiter und sie wäre wohl querschnittsgelähmt gewesen. "Die Frau", sagt Michael K. vor Gericht, "die muss mir genau in den Schuss hineingefahren sein."

Der Angeklagte

Zuverlässig, hilfsbereit und auch ein bisschen eigenbrötlerisch. So beschreiben den Angeklagten viele seiner Kollegen im Prozess. Kaum einer ahnte, zu welchen ungeheuerlichen Taten der Mann fähig war. Psychiater Henning Saß stuft Michael K. - geboren in Halle an der Saale, 130 Kilo schwer, verheiratet, kinderlos - als schuldfähig ein. Der 58-Jährige habe eine schwierige, wechselvolle Biografie, aber keine Persönlichkeitsstörung. Nur Ressentiments gegen Staat und Gesellschaft. Saß nennt das: "Ein Gefühl, dass man sich über Regeln hinwegsetzt und ein eigenes Rechtfertigungssystem entwickelt."

Michael K. habe nicht ein halbes Leben auf einen Trabbi warten wollen und so klaut er erst Fahrräder, dann Autos mit seiner Clique. Mit 22, im Jahr 1978 war das, wird er dafür in der DDR zu einer drastischen Strafe verurteilt. Als er zehn Jahre später wieder frei kommt, flieht er über Ungarn in den Westen, baut ein Häuschen in der Eifel, heiratet, heuert als Fernfahrer an. "Das war einer der Guten", sagt sein Chef. Dass ausgerechnet sein unauffälliger Mitarbeiter der Mann ist, der jahrelang Angst und Schrecken unter Kollegen verbreitet? Er wäre wohl nicht darauf gekommen.

Links lenken, rechts schießen

Das Motiv

Hunderte Kilometer und mehrere Arbeitstage dauerte es manchmal, bis Michael K. wieder der Drang überkommt, zu schießen. An anderen soll er mehrmals hintereinander abgedrückt haben. Seitenscheibe runter, links lenken, rechts schießen. Von einem "Krieg" spricht der Angeklagte im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr, von zu langen Fahrzeiten und Strafen, von vollgestopften Parkplätzen. Auch auf Ausländer ist er nicht gut zu sprechen. Vor Gericht sagt er: "Als anständiger Fahrer ist man immer der Dumme. Die Deutschen stehen rechts im Stau, die anderen ziehen vorbei. Überholverbote scheren die einen Dreck." Also bewaffnet er sich. Erst mit einem Kleinkaliber 5,6 Millimeter, später mit einer Waffe Kaliber neun Millimeter.

Frust im Straßenverkehr - ein erschreckend profanes Motiv. Der Staatsanwalt glaubt: Mit dem Wechsel auf eine Waffe größeren Kalibers sei die "Lust des Schießens" hinzugekommen. Die Kleinkaliberwaffe will Michael K. selbst gebaut haben, genau wie die Schalldämpfer. Gelernt habe er das in einer Souvenirwerkstatt im Gefängnis, in der auch Waffen für Staatsgäste von Erich Honecker verziert worden seien. Als er gefragt wird, ob er stolz auf seine Tüftelei sei, blüht der Mann auf der Anklagebank auf. Auch die Munition habe er selbst gemacht, erzählt er. In seine Werkstatt habe er niemanden gelassen.

Die Ermittlungen

"Wir haben die berühmte Nadel im Heuhaufen gefunden", sagt Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), als er im Juni 2013 endlich einen Fahndungserfolg vermelden kann. Doch wie kommt man einem "Phantom" auf die Spur, das jahrelang auf Autobahnen in ganz Deutschland, manchmal auch im benachbarten Ausland, zuschlägt? Die Fahndung nach dem Autobahnschützen ist eine der aufwendigsten Ermittlungen in der Geschichte des BKA. Eine Weile lang fahren die Ermittler sogar mit einem speziell präparierten Lkw als Köder die betroffenen Strecken ab.

Schließlich installieren sie an Autobahnabschnitten Lesegeräte, die die Kennzeichen der vorbeifahrenden Fahrzeuge erfassen. Als im April 2013 sechs Schüsse in fünf Tagen gemeldet werden, können sie aus der Masse der Kennzeichen schließlich das von Michael K. herausfiltern. Ein Vorgehen, das bei Datenschützern Bedenken hervorruft. Ihr Mandant müsse freigesprochen werden, weil es für das umfassende Sammeln von Daten keine Rechtsgrundlage gebe, sagt der Wahlverteidiger. Das Gericht erklärt dagegen, das sei angesichts der Schwere der Vorwürfe richtig gewesen. Vor wenigen Tagen hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ähnlich entschieden: Bayern darf demnach weiterhin Millionen Autokennzeichen erfassen und die Daten zur Verbrechensbekämpfung einsetzen.

"Die Spitze des Eisbergs"

Der Prozess

Für den Fall, dass die Richter der Einschätzung zur fehlenden Rechtsgrundlage nicht folgen sollte, plädiert die Verteidigung am letzten Verhandlungstag hilfsweise auf eine Strafe von sechs Jahren - für fahrlässige Körperverletzung und Sachbeschädigung, nicht für versuchten Mord. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. In dem Prozess, der seit Anfang August läuft, wurden nur die 171 Fälle angeklagt, bei denen ein Projektil gefunden wurde. Zuletzt stellte das Gericht 46 geringfügigere Fälle ein. Der Staatsanwalt sagt, es bleibe nur "die Spitze des Eisbergs", für das Strafmaß spiele das keine Rolle.

In seinem Plädoyer addiert der Ankläger die noch angeklagten Attacken - unter ihnen vierfachen versuchten Mord: "Würde ich alles zusammenzählen, käme ich auf 141 Jahre und sechs Monate Haft", sagt er. Dem Angeklagten seien sein frühes Geständnis und seine Kooperation bei der Suche nach den Tatwaffen strafmildernd anzurechnen, dennoch seien alle Schüsse in "hohem Maße von eigensüchtigem Verhalten" bestimmt gewesen. Am Ende fordert er zwölf Jahre Haft.

Folgen die Richter am Landgericht Würzburg der Staatsanwaltschaft und verurteilen den Autobahnschützen Michael K. an diesem Donnerstag wegen versuchten Mordes, dürfte er für viele Jahre ins Gefängnis gehen. Und danach? Mit einer Einschätzung der Gefährlichkeit des Mannes für die Zeit nach einer erwarteten Haftstrafe tut sich der Gerichtspsychiater schwer. Saß sagt: "Wenn es zu ungünstigen sozialen Bedingungen kommt, halte ich aufgrund der Persönlichkeit auch erneute Delinquenz für möglich."

(Mit Material der dpa)

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