Cannabis in Colorado:Angst vor bekifften Halloween-Kindern

Lesezeit: 5 min

Harmlose Süßigkeit oder gefährliches Naschzeug? Äußerlich sind diese Fruchtgummi-Ringe nicht zu unterscheiden. (Foto: Denver Police Department)

Seit Januar ist Cannabis in Colorado für alle über 21 Jahre legal. Zu Halloween warnt die Polizei nun, dass Kinder mit Drogen versetzte Süßigkeiten essen könnten. Die Hersteller sprechen von "Lügen" und "Angstmacherei".

Ein Report von Matthias Kolb, Denver

Unter den Polizisten in Denver gibt es echte Medienprofis. Die Behörde verbreitet ihre Informationen nicht nur über Twitter und Facebook, sondern bespielt auch einen eigenen Youtube-Kanal. Dort präsentieren die Ordnungshüter ein Video, das Eltern dazu auffordert, beim diesjährigen Halloween besonders aufmerksam zu sein.

Denn seit Colorado Anfang 2014 als erster US-Bundesstaat den Konsum von Marihuana für alle Über-21-Jährigen erlaubt hat, ist der Markt für Cannabis-Süßigkeiten explodiert. Selbst Profis falle es schwer, "normale" Schokoriegel und Gummibärchen von mit Marihuana versetzten Produkten zu unterscheiden, wie mehrere Beispiele in dem Polizeivideo zeigen.

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Zumindest eine Firma macht es sich bei der Fertigung ihrer Produkte sehr einfach: Sie kauft in großen Mengen normalen Süßkram, bestreicht diese mit Cannabis/Haschisch-Öl und verpackt sie neu. Es wäre sicher übertrieben, wie das Magazin Vice einen "Bürgerkrieg rund um die Marihuana-Süßigkeiten" auszurufen. Aber die aktuelle Debatte ist ein neues Kapitel in dem Kulturkampf, der sich gerade zu den Füßen der Rocky Mountains abspielt. Nach und nach wird allen Bürgern bewusst, wie viele Bereiche ihres Alltags die Marihuana-Legalisierung berührt. "Die Halloween-Diskussion ist ein großes Thema in Colorado", sagt Ricardo Baca, der für Cannabis-Themen zuständige Redakteur der Denver Post, zu Süddeutsche.de. Gegner und Befürworter nutzten jede Gelegenheit, um ihre Position zu verbreiten.

Folgerichtig warnt Rachel O'Bryan von "Smart Colorado": "Die Marihuana-Süßigkeiten bereiten uns große Sorgen." Ihre Organisation verfolgt das Ziel, Kinder vor der gefährlichen Droge zu schützen - das große Angebot an essbaren Produkten diene nur dazu, Minderjährige zu verführen. Medienwirksam bedient "Smart Colorado" mit einem Online-Quiz und einer Plakatkampagne die Ängste besorgter Eltern.

"Finden Sie das Gras?" - Mit diesen Plakaten warnt die Organisation "Smart Colorado" vor Hasch-Süßigkeiten. (Foto: AFP)

Von "Lügen" und Panikmache spricht hingegen Dan Anglin, der Vertreter der Marihuana-Hersteller Colorado Cannabis Chamber of Commerce. Zwischen 2005 und 2013 wurden acht Kinder in Krankenhäusern behandelt, weil sie versehentlich Cannabis gegessen hatten; 2014 wurden bisher neun Fälle verzeichnet.

Viele amerikanische Eltern machen sich an Halloween Sorgen

Eltern, die auf Nummer sicher gehen möchten, erlauben ihren Kindern an Halloween nur Kürbisse, keine Süßigkeiten. (Foto: REUTERS)

Die generelle Furcht, dass ihre Kinder durch präparierte Süßigkeiten vergiftet werden, wenn sie beim alljährlichen "trick or treat" ("Süßes, sonst gibt's Saures!") an die Türen von Nachbarn oder Fremden klopfen, ist bei Vätern und Müttern in den USA weit verbreitet. 2011 äußerten 24 Prozent der zu Halloween befragten Eltern diese Sorge. Das Misstrauen gegenüber Fremden, die Rasierklingen in Kekse verstecken könnten, sitzt tief - auch, wenn Wissenschaftler keine Belege für "Halloween-Sadismus" finden. "Alles nur erfunden und Gerüchte", schreibt Samira Kawash in "Candy", einer Kulturgeschichte über Süßigkeiten.

Es gebe keinen Grund zur Sorge, findet auch Ricardo Baca von der Denver Post. Eine Kollegin schreibe für den Post-Ableger The Cannabist eine Ratgeber-Kolumne für Eltern, in der sie Fragen rund um Marihuana beantwortet. Baca fasst das Ergebnis ihrer Recherchen zusammen: "Das Risiko ist minimal und Eltern sollen sich normal verhalten. Sie sollten die Süßigkeiten anschauen, die ihre Kinder an Halloween gesammelt haben, und alles wegwerfen, was abgelaufen ist beziehungsweise komisch aussieht oder riecht." Doch dies täten viele der übervorsichtigen amerikanischen Eltern ohnehin, so Baca.

Welche Bärchen sind für Kinder ungeeignet? Die linken vier enthalten Marihuana. (Foto: REUTERS)

Ganz ähnlich argumentiert Bob Eschino, der Mitgründer von "Incredibles" (die "Unglaublichen") einem der größten Hersteller von essbaren Cannabis-Produkten, sogenannte edibles, in Colorado: Jeden Monat werden mehr als 60 000 Produkte verkauft. Wer sehen will, wie drei Mitarbeiter in der Küche die Schokoriegel in Handarbeit herstellen, muss sich in eine Besucherliste eintragen, ein Haarnetz überstülpen und einen Besucherausweis gut sichtbar vor der Brust tragen. "Egal ob es um Hygiene, Verpackung oder Besucher geht: Die Auflagen des Staates sind streng, aber wir halten sie ein", sagt der 46-Jährige zu Süddeutsche.de.

Die aktuelle Diskussion ärgert den Geschäftsmann: "Ich kenne keinen einzigen Fall, in dem ein Kind einen Cannabis-Riegel in seinem Halloween-Sack gefunden hat. Medizinisches Marihuana gibt es seit den Neunzigern in Kalifornien, seit 2000 in Colorado und so etwas ist noch nie passiert." Er sei zu jeder konstruktiven Diskussion bereit, sagt Eschino, aber er unterstellt den Gegnern eine andere Agenda: "'Smart Colorado' geht es nicht um den Schutz von Kindern. Diese Leute wollen die Legalisierung rückgängig machen und schüren deswegen Ängste."

Dass in dem Videoclip von "Smart Colorado" vor allem eingeschüchterte Kinder zu sehen sind und nur wenige Informationen verbreitet werden, passt zum Vorwurf von Bob Eschino.

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Teil einer große Debatte über Cannabis-Snacks

Das Argument der Hersteller ist simpel: Der Schwarzmarkt für Cannabis habe immer existiert, weshalb es am besten sei, den Verkauf an lizenzierte Händler zu übertragen. Der Staat kassiere Steuern ( monatlich 30 Millionen Dollar) und die Händler würden genau auf die Einhaltung der Auflagen achten. "Wir würden niemals an Minderjährige verkaufen, denn wir haben seit 2010 mehr als eine Million Dollar in 'Incredibles' investiert. 35 Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt mit dieser Firma, so etwas setzt man nicht aufs Spiel", sagt der Edibles-Fabrikant.

Manche Investoren nennen das Geschäft mit Marihuana schon die "nächste Billionen-Dollar-Industrie" und pumpen viel Geld in Unternehmen in Colorado und Washington. Wenn etwa Kalifornien nach 2016 ebenfalls recreational marijuana (also Marihuana als Genussmittel) erlaubt, entsteht ein riesiger Markt. In Colorado boomt nicht nur das Geschäft mit dem Tourismus (Denver wird auch das "Amsterdam of America" genannt); auch mit edibles, die etwa 45 Prozent des Markts ausmachen, lässt sich viel verdienen. Längst muss der interessierte Kunde nicht mehr einen Joint rollen, sondern kann auch Gummibärchen, Müsliriegel, Lutschbonbons oder Cannabis-Drinks genießen - wenn er mindestens 21 Jahre alt ist.

Eschino betont, dass "Incredibles" eng mit anderen Herstellern kooperiere, um Bürger und Touristen aufzuklären. Sie haben eine eigene Website ins Netz gestellt und eine Broschüre mit dem Motto "Start low and go slow" ("Fang mit wenig an und mach langsam") drucken lassen, die nun in den Marihuana-Läden ausliegt. "Wir wollen den Leuten helfen, Spaß zu haben. Es dauert bei Schokoriegeln zwei Stunden, bis die Wirkung eintritt - und viele knabbern einfach immer weiter, weil sie nichts spüren", berichtet Eschino.

Genau das passierte der New York Times-Autorin Maureen Dowd: Sie aß zu schnell zu viel von ihrem Marihuana-Schokoriegel und verbrachte eine schreckliche Nacht voller Paranoia in ihrem Hotelzimmer. Ihre Kolumne sorgte landesweit für Aufsehen - und die Hersteller konterten mit einem Plakat, das auf dieses Erlebnis anspielt.

Behörden reagieren sehr flexibel

Vergangene Woche wurde der Vorschlag der Gesundheitsbehörde von Colorado zurückgezogen, die meisten Cannabis-Snacks zu verbieten - stattdessen wird der Cannabis-Gehalt von maximal 100 auf 10 Milligramm aktives THC pro Packung gesenkt ( Details hier). Dies soll es den Konsumenten erleichtern, die Wirkung des Marihuanas einzuschätzen. Zudem wird über ein eigenes Design für Cannabis-Snacks diskutiert.

Auch wenn Geschäftsleute wie Bob Eschino leise darüber klagen, dass sich die Auflagen der Behörden dauernd ändern, lobt Ricardo Baca von der Denver Post diesen Ansatz: "Es gibt vieles, was die Politiker und Beamte gar nicht vorhersehen konnten, als sie die ersten Regeln schrieben. Aber sie reagieren sehr flexibel auf Kritik und neue Entwicklungen und das klappt ziemlich gut."

Für die angebliche Gefahr durch Cannabis-Kekse an Halloween wurde aber keine neuen Regeln erlassen. Eltern, die sich nicht an den altbewährte Tipp "Alle Süßigkeiten wegwerfen, die verdächtig erscheinen" halten wollen, haben aber auch eine Alternative. Ein Gerät der Firma CB Scientific aus Denver macht es angeblich möglich, Süßigkeiten auf mögliche Cannabis-Spuren zu überprüfen.

Dies ist allerdings eine kostspielige Sache: Mit dem ersten "THC-Test für Zuhause" lassen sich nur drei Süßwaren testen - und das Gerät kostet 15 Dollar. Wenn CB Scientific trotzdem viele Exemplare verkauft, dann können sich die Firmengründer bei den vielen Angstmachern bedanken. Und bei den Medienprofis von der Polizei in Denver.

Linktipps:

  • Die Washington Post entlarvt in diesem Text "fünf Mythen" über Halloween.
  • "Das Risiko ist minimal": Die Eltern-Ratgeber-Kolumne der Denver Post zum diesjährigen Halloween ist hier nachzulesen.
  • Am 4. November wird in Alaska, Oregon und Washington DC über die Legalisierung von Marihuana abgestimmt - über den Stand der Debatte informiert dieser Artikel der New York Times.
  • Dieser SZ-Artikel beschreibt, wie Halloween auch in Deutschland zu einem riesigen Geschäft wurde.
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