Tempelberg in Jerusalem:Konflikt am Allerheiligsten

Jerusalems Altstadt mit dem Felsendom auf dem Tempelberg

Jerusalems Altstadt mit dem Felsendom, unweit dessen die Al-Aksa-Moschee steht-

(Foto: Abir Sultan/dpa)

Am Tempelberg in Jerusalem können Religionskriege beginnen. Für Juden und Muslime ist er gleichermaßen wichtig. Das Attentat auf den Rabbiner Jehuda Glick hat den Konflikt nun befeuert.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es ist eine dieser Konferenzen gewesen, auf der Jehuda Glick nicht fehlen durfte: "Israels Rückkehr auf den Tempelberg", lautete der Titel, und diesem Thema hat der Rabbiner Glick schließlich sein ganzes Leben gewidmet. Auch ein paar rechte Knesset-Abgeordnete waren am Mittwochabend ins Jerusalemer "Menachem Begin Heritage Center" gekommen und lauschten seinen Ausführungen darüber, wie die Juden wieder Fuß fassen könnten auf dem hochheiligen Areal in der Altstadt. Drinnen waren sich alle einig - doch draußen wartete der Attentäter, der Glick mit vier Schüssen aus nächster Nähe niederstreckte. "Entschuldigung, ich muss das tun", soll er einem Augenzeugen zufolge noch gesagt haben, bevor er feuerte und dann auf einem Motorrad davonbrauste. Seitdem ist Jerusalem, wo immerzu die Flammen lodern, einer Explosion noch einmal ein ganzes Stück näher gekommen.

Jehuda Glick hat die Schüsse schwer verletzt überlebt. Sein Attentäter wurde nach Polizeiangaben noch in der Nacht gestellt und erschossen. Es ist ein 32-jähriger Palästinenser aus Ostjerusalem, der als Mitglied des Islamischen Dschihad schon im Gefängnis saß - und jetzt im Restaurant des Begin-Centers arbeitete. Aus Angst vor Gewalt ordneten Israels Sicherheitskräfte am Donnerstag zunächst die komplette Schließung des Tempelbergs an. Das ließ die Wogen noch höher schlagen. Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas sprach von einer "Kriegserklärung". Israel wolle den Muslimen das Beten verbieten.

Am Abend teilte die Polizei dann mit, die Anlage sei wieder geöffnet.

Am Tempelberg können sich Religionskriege entzünden

Dieses Attentat zielt auf den empfindlichsten Nerv des nahöstlichen Konflikts: Am Tempelberg, der Muslimen und Juden gleichermaßen heilig ist, können sich Religionskriege entzünden. Schon einmal, im Jahr 2000, hat hier eine verheerende palästinensische Intifada ihren Ausgang genommen, nachdem der damalige israelische Oppositionsführer Ariel Scharon mitsamt einer Hundertschaft an Sicherheitskräften das Gelände zwischen Felsendom und Al-Aksa-Moschee durchstreift hatte. Er wollte den jüdischen Anspruch auf das von den Muslimen Haram al-Scharif, Edles Heiligtum, genannte Areal unterstreichen - und genau von einer solchen Mission ist auch der Rabbi Jehuda Glick beseelt.

Seit Jahren schon kämpft der 50-Jährige mit dem roten Vollbart dagegen an, dass heute nur noch Muslime an dem Ort beten dürfen, an dem einstmals die jüdischen Tempel standen. Festgelegt ist dies in einer komplizierten Übereinkunft, die trotz israelischer Souveränität über ganz Jerusalem die Zuständigkeit für den Tempelberg den Jordaniern und der muslimischen Waqf-Stiftung überlässt. Nicht-Muslime dürfen lediglich zu bestimmten Zeiten als Besucher auf den Tempelberg.

Glick hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Status quo zu durchbrechen. Erst amtierte er als Direktor einer Stiftung, die sich den Wiederaufbau des Tempels auf die Fahnen geschrieben hat. Heute bringt er als "Fremdenführer" jüdische Gruppen auf das Areal. Die Gruppen werden stets von starken Polizeikräften begleitet.

Selbst vielen Israelis gilt Glick als Brandstifter

Von den Muslimen wird dies als Provokation gewertet - und selbst vielen Israelis gilt Glick damit als Brandstifter, zumal das Oberrabbinat verfügt hat, dass Juden den Tempelberg nicht betreten sollen, damit sie nicht versehentlich das Allerheiligste entweihen. Doch im Laufe der Jahre hat Glick immer mehr Mitstreiter gewonnen, nicht zuletzt im Likud, dem rechten Parteibündnis von Premierminister Benjamin Netanjahu.

Seine Freunde in der Knesset arbeiten gerade wieder an einem Gesetzentwurf, der Juden den ungehinderten Zugang zum Tempelberg erlauben soll. Die Hamas, und in deren Gefolge auch Präsident Abbas, haben daraufhin von einer drohenden Übernahme der Al-Aksa-Moschee durch jüdische Siedler gesprochen und ihr Volk aufgefordert, dies "mit allen Mitteln" zu verhindern. Der Weg zu neuer Gewalt wird damit von beiden Seiten vorgezeichnet.

Das Attentat auf Rabbi Glick droht die Lage noch einmal dramatisch zu verschärfen. Jerusalem kommt ohnehin seit Monaten nicht zur Ruhe. Kein Tag vergeht ohne Krawall, ohne Steinwürfe und Straßenschlachten. Nun spricht Wirtschaftsminister Naftali Bennett von einer "roten Line von Blut", die überschritten worden sei. Befürchtet wird eine Spirale von Racheakten, Hunderte zusätzliche Polizisten sind bereits in der Stadt im Einsatz.

Am Donnerstagmorgen machte sich der Likud-Abgeordnete Mosche Feiglin medienwirksam auf zum Tempelberg. Er hatte beim Attentat direkt neben Jehuda Glick gestanden, nun wollte er zeigen, dass der Kampf um den heiligen Bezirk auch nach diesen Schüssen weitergehe. Als er von der Polizei am Eintritt gehindert wurde, hielt er eine improvisierte Pressekonferenz ab. Die einzig angemessene Antwort auf den Anschlag sei die Öffnung des Tempelbergs für Juden.

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