Abhöraffäre im Regierungsviertel:Berlin, Dorf der Spione

Abhöraffäre im Regierungsviertel: Abgeordnetenbüros und Sitzungssäle des Bundestags; SZ-Grafik

Abgeordnetenbüros und Sitzungssäle des Bundestags; SZ-Grafik

(Foto: Google Earth Pro)
  • Deutsche Sicherheitsbehörden haben untersucht, ob und wie Botschaften in Berlin als Horchposten ausländischer Geheimdienste dienen können.
  • Das Fazit: Sie können, wenn sie wollen - und sie wollen offenbar.
  • Wegen der Abhöraffäre des Kanzlerinnenhandys macht sich unter Parlamentariern eine gewisse Paranoia breit.

Von Hans Leyendecker und Georg Mascolo

Als im vergangenen Jahrzehnt die Briten und die Amerikaner ihre Botschaften in Berlin bezogen, feierten Kommentatoren die Lage der Neubauten: Filetstücke, ganz nahe am Regierungsviertel. Gestritten wurde über Fassaden und, bei den Briten, über Geschmacksfragen. Seriöser, graublauer Treppenaufgang, rote Decke - geht das? "Es gibt Regeln, und es gibt die Möglichkeit, Regeln zu interpretieren", erklärte dazu der Architekt.

Immer geht es um Regeln. Vor allem darum, wer sie macht und wer sie wie auslegt.

Einen neuen Blick auf die beiden Residenturen vermitteln vertrauliche Unterlagen deutscher Sicherheitsbehörden mit entsprechenden Titeln: "Bedrohungsanalyse Berlin-Mitte" oder: "Angriffsvektoren Kanzlerin-Handy".

Die Bundespolizei, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) haben nach Informationen von SZ, NDR und WDR aufwendig untersucht, ob und wie die Botschaften in Berlin als Horchposten dienen könnten. Das Fazit ist relativ einfach: Sie können, wenn sie wollen - und sie wollen offenbar.

"Mobiltelefone im Bereich Berlin-Mitte akut abhörgefährdet"

Im Kalten Krieg hatte West-Berlin den Rang einer "ewigen Stadt der Spione", wie John le Carré schrieb. Mit den Mitteln der alten Zeit wurde reichlich Beute gemacht.

Die Glienicker Brücke, über die einst Gefangene ausgetauscht wurden, ist Geschichte, und sicherheitstechnisch betrachtet ist die Weltstadt Berlin ein Dorf. Es gibt nicht, wie andernorts, ein Botschaftsviertel weit weg von der Regierungszentrale und weit weg vom Parlament. Man hockt direkt in Mitte eng beieinander. Die "räumliche Nähe der Machtapparate Deutschlands (Reichstag, Bundestagsbüros und Kanzleramt) zu den Residenturen verschiedenster Staaten in Berlin" betrage "teilweise nur wenige Hundert Meter", heißt es in einem der vertraulichen Schriftstücke.

Auf Fotos in 3-D-Perspektive wird die Nähe der britischen und der amerikanischen Botschaft zu Standorten der Regierung und des Parlaments dokumentiert. 836 Meter Distanz liegen zwischen US-Botschaft und Kanzleramt, bei den Briten sind es etwa hundert Meter mehr. Das ist für Abhörer ein Klacks. "Sofern keine besondere Verschlüsselung eingesetzt wird, sind Mobiltelefone im Bereich Berlin-Mitte akut abhörgefährdet", heißt es in einem der Berichte.

Aufgeschreckt durch die Snowden-Enthüllungen

Fürs Abhören stellten "die Botschaftsgebäude im Zentrum Berlins aufgrund ihrer günstigen örtlichen Lage und ihres exterritorialen Status besonders geeignete Standorte dar", das hat BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen vor einem knappen Jahr dem Generalbundesanwalt Harald Range mitgeteilt. Maaßen wies auch auf "die Antennen und Aufbauten auf den Dächern ausländischer Botschaften" hin.

Abhöraffäre im Regierungsviertel: *Abgeordnetenbüros und Sitzungssäle des Bundestags; SZ-Grafik.

*Abgeordnetenbüros und Sitzungssäle des Bundestags; SZ-Grafik.

(Foto: Google Earth Pro)

Die für Spionageabwehr im BfV zuständige Abteilung 4 hat sich früher traditionell vorwiegend mit den Spionen Chinas, Russlands, Irans und Nordkoreas beschäftigt. Die Aktivitäten von Partnerdiensten wie NSA, CIA oder britischen Diensten hatte niemand auf dem Radar. Aufgeschreckt durch die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden haben die zuständigen Institutionen nun ihren Blick auf die auffälligen Gefahren erweitert. Zu diesem Zweck wurden beispielsweise Luftaufnahmen der Dächer der britischen und der US-Vertretung gefertigt.

Ein Foto mit der Zeile "Perspektive vom Dach der amerikanischen Botschaft" stammt aus der Sammlung der Bundespolizei. Bereits im Mai 2001 hatte die Behörde angesichts der engen Lage in Berlin und der raschen Entwicklung der Digitaltechnik eine neue Bedrohungsanalyse gefordert, die nicht kam. 2007 machte das Bundesinnenministerium eine "dramatisch verschärfte Bedrohungslage" bei der Cybersicherheit aus. Gemeint waren vor allem chinesische und russische Hacker und Spione. Nicht die anderen.

Das hat sich geändert. Der Rauswurf des Deutschland-Chefs der CIA vor ein paar Monaten und die Enttarnung eines BND-Mitarbeiters als angeblicher Agent der US-Dienste stehen für die neue Zeit.

Seit Jahren sei "bekannt", heißt es in einer neuen Analyse, dass auf den Dächern der britischen Botschaft sogenannte Radome stünden, die zur Tarnung hochempfindlicher Antennen taugten. Diese Aufbauten "ließen bereits frühzeitig Überwachungsmaßnahmen vermuten". Warum war das früher nie Thema?

Unterschiedliche Meinungen zum Handygate der Kanzlerin

Bei Neubauten werde die modernste Antennentechnik "unauffällig im Gebäude integriert", steht da weiter. Sicherheitsfachleute haben keinen Zweifel, dass in der US-Botschaft auf höchstem Niveau abgehört wurde. Vermutlich wurde auch das Handy der Kanzlerin aus der Berliner US-Botschaft überwacht.

Über das Handygate der Kanzlerin gibt es unter Verfassungsschützern sehr unterschiedliche Meinungen. Dass die Regierungschefin ein offenes Handy benutzte, finden manche schlimmer als das Abhören. "Das kommt mir vor, als ob jemand, der die Haustür offen lässt, den Wachhund anleint und sich dann beklagt, dass er bestohlen worden ist", sagt ein Agentenjäger. "Der technische Nachweis" für das Abhören sei "nur sehr eingeschränkt möglich", teilte Maaßen dem Generalbundesanwalt zum Fall Merkel mit. Die neue "Empfangstechnik" sende "keine eigenen erfassbaren Funksignale aus".

Was tun? Ein Umzug der Botschaften geht nicht. Berlin bleibt ein Dorf. Es gab jetzt Messungen mit in Rucksäcken verbauten Monitoring-Systemen auf Android-Basis. Sie brachten keine Spur, die zu Abhörern führten. Die Bundesverwaltung hat in den vergangenen Monaten 3000 Krypto-Handys beschafft. Sie gelten als abhörsicher, sind aber schwer zu bedienen und machen nur Sinn, wenn auch der Gesprächspartner über ein solches Gerät verfügt. Die alte Sorglosigkeit ist indes einer gewissen Paranoia gewichen. Parlamentarier schalten vor sensiblen Gespräche ihre Telefone aus oder lagern sie in Keksdosen. Wenn ein Politiker argwöhnt, sein Handy sei manipuliert worden, muss wochenlang das Gerät untersucht werden. Das ist mühsam. Experten raten, das Gerät lieber wegzuwerfen und ein neues zu kaufen.

In einem Brief an die Beschäftigten des Auswärtigen Amtes wies Staatssekretär Harald Braun vor Monaten darauf hin, dass sich "weit mehr als die Hälfte aller Angriffe auf E-Mail-Adressen der Regierung" gegen das Auswärtige Amt richteten. Er wolle "nicht einer Sicherheitsphobie das Wort reden". Aber "Sicherheit vor Schnelligkeit" müsse jetzt schon Grundsatz sein. Daheim in Berlin - und auch sonstwo.

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