Ebersberg:"Trauer findet im Privaten statt"

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Die Hospizhelferinnen Maria Sommer und Sylvia Wammetsberger beobachten einen veränderten Umgang mit dem Tod. Sie plädieren dafür, sich frühzeitig mit dem Thema zu befassen.

Von Sophie Burfeind

Niemand spricht gern darüber, dass er traurig ist. Doch Verlust und Trauer gehören zum Leben dazu. Wie man damit umgehen kann, erzählen Maria Sommer, Mitglied im Vorstand des Christophorus-Hospizvereins, und Hospiz- und Trauerbegleiterin Sylvia Wammetsberger anlässlich von Allerheiligen.

SZ: Heutzutage soll man leistungsbereit und stark sein. Offene Trauer ist ein Zeichen von Schwäche. Ist Trauern schwieriger geworden?

Sylvia Wammetsberger: Ja. Es entspricht nicht unserem gesellschaftlichen Ideal und es passt nicht in unser Selbstbild, Schwäche und Traurigsein zu zeigen. Man behält es eher bei sich und nimmt es mit nach Hause.

Maria Sommer: Früher gab es feste Rituale bei einem Todesfall - die schwarze Kleidung, die Beerdigung, Rosenkränze oder ein Jahresgottesdienst. Es gab bestimmte öffentliche Formen, die anerkannt waren. Heute ist alles offen und die Trauer findet eher im Privaten statt. Deswegen ist es für Trauernde schwierig zuzugeben, wenn sie nach vier Wochen noch nicht die alte Person sind.

Trauer ist also privater geworden. Überfordert das die Menschen?

Sommer: Ich würde nicht sagen: "überfordert". Sie sind stärker gefordert, weil sie eine persönliche Antwort auf einen Verlust finden müssen, ohne äußere Stützen zu haben.

Es lassen sich verschiedene Trauerphasen unterscheiden. Wie sehen die aus?

Sommer: Trauer ist ein Teil des Lebens, und unser Leben ist nie schwarz-weiß-kariert, sondern fließt. So ist es mit der Trauer auch. Man kann nicht immer sagen: "Aha, jetzt ist er in der depressiven Phase, danach wird er aggressiv und dann kommt er langsam zum Akzeptieren."

Wammetsberger: Früher hat man klare Trauerphasen benannt. Aber das ist Theorie, Trauer läuft nicht ab wie auf einem Zeitstrahl, sie springt und verändert sich.

Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass Menschen sehr unterschiedlich trauern, oder gibt es viele Ähnlichkeiten?

Sommer: Trauer ist sehr individuell. Manche Leute brauchen ein Vierteljahr oder länger, bis sie sich dem Thema überhaupt zuwenden können, weil es vorher zu schmerzlich ist. Es hängt ja von der Situation ab, mit der ich fertig werden muss, von der Beziehung zur Person und von früheren Erfahrungen. Es ist ein Unterschied, ob jemand bei einem Unfall ums Leben kommt und ich mich nicht verabschieden kann oder ob ich eine demenzkranke Angehörige schon jahrelang begleitet habe.

Mit welchen Belangen kommen die Leute zu Ihnen?

Sommer: Viele kommen, wenn sie unsicher sind, ob ihr Verhalten noch "normal" ist. Ein Beispiel: Ein Mann erzählt, dass er das Bild seiner nach 50 Jahren Ehe verstorbenen Frau aufgestellt hat, mit ihr spricht und sich fragt, ob er jetzt komisch wird. Einige können nicht mit ihren Gefühlen umgehen und sagen: "Manchmal habe ich so eine Wut auf meinen Mann, dass er so früh gestorben ist, dann stehe ich am Friedhof und schimpfe mit ihm." Das ist für sie schwer auszuhalten. Aber das ist ein Gefühl, das man nicht einfach wegdiskutieren kann.

Wammetsberger: Man muss klären, dass das nichts Krankes ist, dass es normal ist und dass die Phase wieder vergehen wird.

Wie helfen Sie den Menschen noch, ihre Trauer zu verarbeiten?

Sommer: Trauerarbeit kann verschiedene Facetten haben. Für die einen gehört dazu, sich zu erinnern, für die anderen, alte Kontakte wiederzubeleben. Wieder andere finden individuelle Abschiedsrituale. Es geht auf der einen Seite um die Auseinandersetzung mit dem, was mich mit dem Menschen verbunden hat, und auf der anderen Seite darum, was von diesem Leben ich mit in mein neues nehme.

Wammetsberger: Trauer ist eine Erfahrung, die hört nicht auf. Der Mensch, der war da, der hat eine Lücke hinterlassen und diese Lücke lässt sich nie hundertprozentig schließen. Aber man lernt, mit dieser Lücke zu leben.

Haben Sie den Eindruck, dass Kinder anders trauern als Erwachsene?

Wammetsberger: Kinder sind vorbehaltloser und direkter. Sie sprechen aus, was sie denken. Wie sie auf Trauerfälle reagieren, ist aber sehr abhängig vom Alter. Kleine Kinder haben noch gar keine Vorstellung davon, wie endgültig der Tod ist. Es ist wichtig, dass man ehrlich zu ihnen ist und nichts sagt wie: "Wir haben den Opa verloren." Und dann wartet das Kind vergeblich darauf, dass man ihn wiederfindet.

Sommer: Wenn Kinder nicht mit einbezogen werden, kommen sie manchmal auf merkwürdige Ideen. Es gibt ein dänisches Kinderbuch, da bringen zwei kleine Kinder, die nicht mit zur Beerdigung durften, der Oma Lebensmittel auf den Friedhof und vergraben sie dort. Sie dachten, die helfen ihr, dass sie wieder leben kann.

Fällt es gläubigen Menschen leichter, ihre Trauer zu überwinden?

Sommer: Das kann ich nicht verallgemeinern. Erst einmal ist es ein Verlust, und der ist ganz persönlich. Vielleicht finden gläubige Menschen einen Trost im Glauben oder eine Stütze in gewissen Ritualen. Aber es kann genauso sein, dass die Schuldgefühle schlimmer sind bei jemandem, der gläubig ist und denkt, er hätte mehr machen müssen.

Wammetsberger: Am hilfreichsten ist es, wenn man sich mit dem Thema Tod schon im Vorfeld auseinander gesetzt hat - dass man sich bewusst macht, dass wir alle sterben werden. Dass es jeden jederzeit treffen kann.

Aber man wird doch traurig, wenn man ständig über den Tod nachdenkt.

Wammetsberger: Nein. Für mich bedeutet das eher, dass man manche Dinge nicht so wichtig nimmt.

Sommer: Es geht ja auch um andere Dinge, die man für sich klären soll: Was will ich festhalten? Was lasse ich vorbeigehen? Es geht darum, das Leben jetzt zu leben, nicht das der vergangenen 20 Jahre oder der kommenden 15 Jahre.

Sie sind Expertinnen dafür, Wege aus der Trauer zu finden. Können Sie dadurch auch im Privaten besser mit Trauerfällen umgehen?

Wammetsberger: Innenperspektive und Außenperspektive, das sind zwei Sachen. Man kann ganz viel wissen und es trotzdem nicht auf das eigene Leben anwenden, wenn ein konkreter Fall eintritt.

Sommer: Wir sind nicht Münchhausen, der sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann. Da brauchen wir schon die anderen. Gute Gesprächspartner sind wichtig.

Warum haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, trauernden Menschen beizustehen? Ging dem ein persönlicher Verlust voraus?

Wammetsberger: Nicht direkt. Mein Vater ist 2002 ganz plötzlich an einem Herzversagen gestorben, da habe ich ein bisschen dran geknabbert. Als ich mich stabilisiert hatte, habe ich mit der Arbeit im Hospizverein begonnen. Es ist für mich einfach ein spannendes Thema: Was mache ich mit der Trauer in meinem Leben? Wenn man sich intensiver mit dem Thema befasst, merkt man, wie sehr Tod und Trauer das Leben bereichern können.

Das klingt paradox.

Wammetsberger: Trauer ist ein schmerzlicher Bestandteil des Lebens, aber er gehört dazu. Ich mag es nicht, wenn man die Augen verschließt vor Dingen, die einen sowieso treffen. Ich beschäftige mich lieber in dem Moment damit, wo ich kann, und nicht, wenn ich dazu gezwungen bin. Das erweitert den Horizont und bereichert das Leben.

Durch Ihre berufliche Tätigkeit sind Sie beide von viel Leid und Traurigkeit umgeben. Wie schaffen Sie es, sich davon nicht anstecken zu lassen?

Sommer: Es ist schon manchmal traurig, aber nicht nur. Der Umgang mit Sterbenskranken und ihren Angehörigen beinhaltet auch sehr beglückende Momente der Begegnung. Da gibt es auch Gelächter, weil man ja gerade etwas tut, was Freude macht. Man trägt dazu bei, dass das Leben bunter und reicher wird, auch unter sehr begrenzten Möglichkeiten.

Ich wehre mich gegen die Vorstellung, dass das nur zehrt.

Wammetsberger: Viele Sterbende haben einen sehr klaren Blick und stellen mir Fragen, die mir sonst niemand stellen würde. Ich habe kürzlich mit einem Sterbenden die Frage diskutiert, was Lebensqualität ist. Das war sehr bereichernd, denn ich habe auf einmal Sachen entdeckt, die sonst selbstverständlich waren. Da gibt trotz aller Traurigkeit etwas Leichtes.

© SZ vom 31.10.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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