Giants-Triumph in der MLB:Aus einer anderen Zeit

Giants-Triumph in der MLB: Ein Vielwerfer: Dank Madison Bumgarner gewinnen die San Francisco Giants erneut die Finalserie.

Ein Vielwerfer: Dank Madison Bumgarner gewinnen die San Francisco Giants erneut die Finalserie.

(Foto: AP)

Der dritte Titel in fünf Jahren: Die San Francisco Giants gewinnen dank eines Kunstwerks von Madison Bumgarner die Finalserie gegen die Kansas City Royals. Seine Leistung zeigt, dass sich Baseball stark verändert hat.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es soll ja Menschen geben, die Baseball so interessant finden wie drei Stunden lang mit diesem Ding zu spielen, bei dem ein Tischtennisball mit einer Schnur am Schläger befestigt ist. Selbst diese Menschen dürften zugeben, dass dieser Moment am Ende der entscheidenden Partie zwischen den Kansas City Royals und den San Francisco Giants so dramatisch war wie zuvor nur wenige in der Sportgeschichte.

Aufgrund der Struktur dieser Disziplin lässt sich eine Partie in etwa 300 Abschnitte aufteilen, weshalb beide Vereine in dieser Spielzeit insgesamt knapp 90 000 Situationen absolviert hatten - nur damit nun dieser eine Augenblick darüber entscheiden sollte, wer den Titel in der nordamerikanischen Liga MLB gewinnen würde.

Madison Bumgarner stand für die mit 3:2 in Führung liegenden Giants auf dem Wurfhügel, Salvador Perez wartete am Schlagmal, die Situation vor diesem einen Wurf war so: Sollte Perez kein guter Schlag gelingen, dann würde San Francisco Meister sein. Sollte er einen ordentlichen Versuch hinlegen, dürfte sein Kollege am dritten Mal für den Ausgleich sorgen. Sollte er den Ball jedoch auf die Tribüne prügeln, würde Kansas City den Titel gewinnen. Bumgarner warf, Perez schlug, der Ball flog nach oben - jedoch nicht aus dem Stadion oder ins Spielfeld, sondern in den Handschuh von Pablo Sandoval. Es war vorbei: das Spiel, die Finalserie, die Saison. Die Giants sicherten sich zum dritten Mal in den vergangenen fünf Jahren die Trophäe.

"Setz' dich einfach drauf und reite"

"Ich bin jetzt doch ein bisschen müde", sagte Bumgarner nach der Partie. Er stand einst nicht in der Schlange, in der Emotionen verteilt wurden; wahrscheinlich war er gerade damit beschäftigt, sich eine zweite Portion jener Fähigkeit abzuholen, einen Baseball möglichst schnell und möglichst genau werfen zu können. Was Bumgarner in der Ausscheidungsrunde - er stand mehr als 50 Innings auf dem Feld - und vor allem während der World Series präsentierte, war nichts weniger als ein sportliches Kunstwerk. Er schaffte in dieser best-of-seven-Serie als Werfer drei Siege, im fünften Duell gelang ihm ein komplettes Spiel ohne Punkte für den Gegner.

Während der entscheidenden siebten Partie wurde er nach nur zwei Tagen Pause im fünften Inning eingewechselt und gestattete den Royals gerade einmal zwei Hits, jedoch erneut keinen Punkt. Sein Trainer Bruce Bochy hatte ihn eigentlich nicht so lange einsetzen wollen: "Aber wenn der so wirft, kann ich ihn doch nicht auswechseln. Er wie ein Pferd: Setz' dich einfach drauf und reite." Er habe während der Partie nicht mit Bumgarner über Erschöpfung gesprochen, er wusste: Papst Julius II. hätte Michelangelo auch nicht in der Sixtinischen Kapelle gefragt, ob er denn müde sei.

"Er ist einfach ein anderer Mensch"

"Ich habe ihm gestern gesagt, dass er heute gefälligst abliefern soll - er hat nur geantwortet: 'Schau' mir einfach zu!'", sagte Michael Morse, der mit einem erfolgreichen Hit im vierten Inning den letztlich entscheidenden Run nach Hause geschlagen hatte: "Er ist unglaublich, er ist einfach ein anderer Mensch." Bumgarners World-Series-Wert in der für Werfer bedeutsamen Statistik Earned Run Average liegt nun bei 0,28. Das bedeutet: Hätte er stets ein komplettes Spiel bestritten, dann hätte die gegnerische Mannschaft in Partien der Finalserie gerade einmal 0,28 Punkte pro Spiel geschafft. Das ist der beste Wert in der Geschichte der Liga, hinter ihm folgen Harry Breechen (0,83), Babe Ruth (0,87) und Sherry Smith (0,89).

Bumgarner ist erst 25 Jahre alt - und doch ist er ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Überhaupt stand diese Finalserie und dieses letzte Spiel sinnbildlich für den Wandel in dieser Sportart. Die Zeit der massigen Ballprügler, die ihre gewaltigen Muskeln nicht nur mit Hanteltraining haben wachsen lassen, sie scheint endgültig vorbei zu sein. Aufgrund der immer formidabler agierenden Werfer versuchen die Vereine in der Offensive mittlerweile, irgendwie Läufer auf eines der Male zu befördern und dann behutsam nach Hause zu bringen. Das Warten auf Ungenauigkeiten der gegnerischen Verteidigung und das Erzwingen von Fehlern ist dabei Teil der Taktik.

"Ich wusste, dass wir gewinnen würden"

Wunderbar veranschaulicht wurde das im zweiten Abschnitt dieser entscheidenden Partie: Zunächst wurde Sandoval von einem Fehlwurf getroffen, danach gab es zwei erfolgreiche Schlagversuche - zu ihren beiden Punkten kam die Giants indes, weil sich zwei Schlagmänner mit hohen Bällen opferten, um jeweils einen Kollegen ins Ziel zu bringen. Die Royals profitierten direkt danach ebenfalls von einem Fehlwurf, später von einem Missverständnis der Giants - danach wählten sie einen Opferschlag, um die Partie auszugleichen.

Das ist nicht immer spektakulär, strategisch jedoch höchst interessant. Bedingt wird dieses Vorgehen durch die defensive Ausrichtung vieler Vereine, nicht mehr einen Werfer möglichst lange auf dem Hügel zu lassen, sondern bereits früh zu tauschen. Ein Pitcher muss heutzutage den Ball nicht mehr zuverlässig mit 150 Kilometern pro Stunde servieren. Er sollte eine Geschwindigkeit von 160 km/h erreichen, dafür aber nicht so oft. Dann übernimmt der Kollege, der ebenso schnell wirft. Die Giants etwa wechselten bereits im zweiten Abschnitt zum ersten Mal den Werfer, die Royals im vierten.

"Ich erinnere mich, dass ich 1963 mal einen Monat lang bei jedem Einsatz die komplette Partie absolvieren musste. Wenn du ein Spiel begonnen hast, dann hast du es auch beendet", sagt Juan Marichal, einer der besten Werfer in der Geschichte der MLB. Er saß bei diesem siebten Spiel übrigens auf der Tribüne. Er sah, wie Bumgarner, einer der letzten Vielwerfer dieser Liga, zu Beginn des fünften Abschnitts aufs Feld kam: "Ich wusste, dass wir gewinnen würden, so lange dieser Mann auf dem Hügel steht." Bumganer stand auf dem Hügel, bis zum Schluss. Bis zu diesem Moment, in dem er seinem Verein die Meisterschaft sicherte.

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