Rot-Rot-Grün in Thüringen:Die Schande, die Linke und ein kleiner Junge aus dem Westen

Es sind oft im Westen aufgewachsene Politiker, die besonders laut schreien, wenn es um die Bewertung der DDR und der Partei Die Linke geht. Dann geht es schnell um Moral, nicht mehr um Politik. Über die Grenzen politischer Argumentation.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Es muss im Winter 1978 gewesen sein. Die Grenze zur DDR kommt immer näher, irgendwo hoch oben im Norden. Wir steuern in unserem alten Mercedes 200D den Grenzübergang an, es muss Herrnburg oder Lauenburg gewesen sein. Wir Kinder im Fonds, drei nebeneinander. Verwandte besuchen in der Zone.

Es ist uns bewusst, dass das etwas anderes ist, als von Westfalen aus nach Holland an den Strand zu fahren. Wir brauchten Visa für die Einreise in die DDR. Und da waren diese seltsamen Telefonanrufe in den Wochen vorher. Erst eine Voranmeldung für ein Gespräch mit meinem Onkel in Cronskamp, einem kleinen Kaff nahe Schwerin. Dann warten.

Das einzige Telefon in dem Ort stand im Gasthaus. Unser Onkel musste erst geholt werden. Der Wirt, hörten wir später, soll bei der Stasi gewesen sein. Und mein Onkel galt als leicht renitent. Meine Eltern brüllten ins Telefon, als führten sie intergalaktische Ferngespräche. Am anderen Ende der Leitung flüsterte mein Onkel.

Kurz vor der Grenze wird es still im Auto. Einige Kilometer vorher haben wir auf einem Rastplatz unsere Comics entsorgt. "Schaut da", sagt meine Mutter, die das Auto fährt. Sie zeigt auf einen langen Zaun, der erst in der Unendlichkeit langsam verschwindet. "Selbstschussanlagen", sagt meine Mutter. Die Zigarette in ihrer Hand zittert.

Ich erinnere noch den scharfen Blick des Grenzbeamten der DDR. Wie er mich anstarrt, dann meinen Kinderausweis, dann wieder mich. Als suche er die kleinste Ungereimtheit zwischen dem Bild in dem Ausweis und meinem Gesicht. Wir machen keinen Mucks. Von Politik haben wir keine Ahnung. Aber dass das so nicht richtig war, erkennen wir.

Es fühlte sich an wie ein Unrechtsstaat

Ein Unrechtsstaat soll die DDR gewesen sein. Totale Unterdrückung. Heute im Jahr 2014 wird in Thüringen darüber verhandelt, ob einer Ministerpräsident des Landes werden darf, der in einer Partei ist, die die Rechtsnachfolge der SED angetreten hat. Der Begriff Unrechtsstaat soll in die Präambel des Koalitionsvertrages mit SPD und Grünen aufgenommen werden.

Ich habe dort nicht gelebt. Ich habe nur die wenigen Eindrücke von den Besuchen dort. Ich kann nicht sagen, ob das stimmt mit dem Unrechtsstaat. Angefühlt hat es sich so.

Da drüben, da ist alles grau, sagte meine Oma immer, wenn sie über die alte Heimat sprach. Ich habe mir das gemerkt. Und war überrascht, dass dort im Sommer die Blumen blühen. Wie zuhause, dachte ich. Nur in Schwerin war es anders. Da war wirklich alles grau. Nirgends Werbung und Geschäfte, in denen es nichts zu kaufen gab. Jedenfalls nichts, was einen Jungen aus dem Westen hätte reizen können.

Ist ein linker Ministerpräsident eine Schande?

Ist es eine Schande, dass jetzt Bodo Ramelow in einem ostdeutschen Bundesland Ministerpräsident werden soll? Das Wort von der Schande hat ein CDU-Politiker in den Mund genommen. Kai Wegner, Generalsekretär der Berliner CDU. Er hat gesagt: Rot-Rot-Grün in Thüringen, das sei eine "Schande für Deutschland". Also auch für mich.

Wegner ist Jahrgang 1972, ein Jahr jünger als ich. Zur Wende war er 17 Jahre alt. Er ist in West-Berlin geboren. Er dürfte in seinem persönlichen Umfeld keinen Kontakt mit der Stasi gehabt haben. Er durfte reisen, wohin er wollte. Er war bestimmt näher dran am Leben in der DDR, als einer wie ich, aufgewachsen nahe der holländischen Grenze.

Aber warum sagt er Schande?

Es geht um den Verlust von Ehre, wenn es um Schande geht. Den Verlust von Anstand und Würde. "Alles, was nach Schande kommt, ist ein Fall für die Unterlassungsklage oder gleich den Straftatbestand der Volksverhetzung", schreibt die Zeit-Online-Kolumnistin Mely Kiyak. Schande, ein schwieriger Begriff.

Es ist bezeichnend, dass vornehmlich in Westdeutschland sozialisierte Politiker mit solchen Begriffen hantieren, wenn es darum geht, die Linke zu kritisieren. Oder SPD und Grüne dafür, dass sie mit der Linken zusammen regieren wollen. So, als wollten sie unbedingt katholischer sein als der Papst.

Respekt vor jedem ostdeutschen SPD-Mitglied, das selbst Opfer von Bespitzelung war und nun gegen einen linken Ministerpräsidenten protestiert. Dieses SPD-Mitglied weiß, auf welcher Seite es stand, als das DDR-System ihm noch das Leben zur Hölle gemacht hat. Doch das Wort Schande ist von denen nicht zu hören.

Aber weiß ein Kai Wegner auf welcher Seite er gestanden hätte? Mitläufer, Mittäter, Täter. Die Unterschiede verwischen manchmal in repressiven Staaten. Ich weiß nicht, ob ich den Mut gehabt hätte, mich dem System entgegenzustellen. Oder ober ich so opportunistisch geworden wäre, dass ich bei der Stasi gelandet wäre. Ich hatte Glück. Ich stand nie vor so einer Entscheidung.

Kai Wegner vermutlich auch nicht.

Ob es eine Schande ist, wenn ein Mitglied der heutigen Partei Die Linke Ministerpräsident in Thüringen wird - ein solches Urteil überlasse ich lieber denen, die dort aufgewachsen sind. Die unter der DDR gelitten haben. Ich maße mir dieses Urteil nicht an.

Es war gut, dass Berlin auch von der Linken mitregiert wurde

Schon deshalb nicht, weil ich all jene schmähen würde, die Mitglied der Linken sind oder diese Partei wählen. Wo fängt da die Schande an? Oder ist schon die pure Existenz dieser Partei eine Schande? Was ist dann mit den Tausenden Menschen, denen sie eine politische Heimat bietet?

Es war gut, dass Berlin fast zehn Jahre lang auch von der Linken mitregiert wurde. Die Stadt konnte zusammenwachsen. Nicht die West-SPD und West-CDU haben sich die Macht geteilt wie in den Jahren davor.

Es mag schmerzlich für die CDU sein, wenn links von ihr Bündnisse möglich werden. Aber das ist ein politisches Problem. Kein moralisches. Keines, dem mit Begriffen wie Schande begegnet werden könnte. Schon gar nicht, wenn sich West-Politiker zu moralischen Instanzen erheben.

Kein Raum für Diskussionen

Mein Onkel in Cronskamp hat mir in jenem Winter eine alte Trompete geschenkt. Ich war sehr stolz. An der Grenze zur BRD haben die DDR-Beamten uns rausgewunken. Totalkontrolle. Das einzige, was sie gefunden haben, war die alte Trompete. Sie haben sie behalten. Das sei DDR-Kulturgut. Keine Ahnung, ob die DDR-Gesetze das hergaben. Aber an der innerdeutschen Grenze war kein Raum für Diskussionen über Recht und Unrecht.

Es gab viele an meiner Schule, die mit der DDR gar keine Berührung hatten. Keine Verwandten, keine Pakete, keine seltsamen Telefonate. Das waren meist auch die, die am lautesten geschimpft haben auf die DDR. Vielleicht tue ich ihm Unrecht. Aber Kai Wegner und sein Satz von der Schande erinnern mich stark an diese Mitschüler.

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