Kongresswahl in den USA:Das steht auf dem Spiel

Ohrfeige für Obama und Triumph der Republikaner? Oder verzocken die Konservativen erneut die Mehrheit im Senat? Welche Szenarien bei der Kongresswahl möglich sind - und warum die Entscheidung erst 2015 feststehen könnte.

Eine Analyse von Matthias Kolb, Washington

Die Ausgangslage für den heutigen Wahlabend ist ziemlich klar. Die Amerikaner bestimmen alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und außerdem 36 der 100 US-Senatoren. Deren Amtszeit dauert sechs Jahre, weshalb alle zwei Jahre etwa ein Drittel des Senats neu gewählt wird.

Bei dieser Kongresswahl können die Republikaner nur gegen sich selbst verlieren. Alle Experten sind sich einig, dass die Konservativen ihre Mehrheit im House of Representatives (derzeit 233 von 435 Sitzen) ausbauen werden und dass sie beste Chancen haben, künftig den Senat zu kontrollieren (derzeit haben sie 45 von 100 Sitzen). Die Wahrscheinlichkeit für einen Republikaner-Sieg im Senat liegt in den Statistik-Modellen diverser US-Medien zwischen 75 Prozent (New York Times), 76 Prozent (Five Thirty Eight von Nate Silver) und stolzen 98 Prozent (Washington Post).

Auch wenn viele Amerikaner im Jahr sechs seiner Präsidentschaft ihren Frust über Barack Obama deutlich zeigen, sind Überraschungen möglich; die Demokraten tun alles, um möglichst viele ihrer Anhänger zum Wählen zu bewegen. Bislang waren sie darin erfolgreicher als die Republikaner.

US-Kongresswahl auf SZ.de

Süddeutsche.de berichtet über die US-Kongresswahl von Dienstagabend an die ganze Nacht mit einem Liveblog aus Washington und San Francisco und ordnet Entwicklungen und Ergebnisse ein. Am Mittwochmorgen werden die Mehrheitsverhältnisse in Senat und Repräsentantenhaus in Kommentaren und Analysen aufbereitet. Sie als Leser sind eingeladen, die Entwicklungen und Resultate zu diskutieren - der Community-Bereich wird die ganze Nacht betreut.

Süddeutsche.de gibt einen Überblick über die vier möglichen Ergebnisse dieser Kongresswahl.

Szenario 1: Republikaner erobern Mehrheit im Senat

2008 waren die US-Wähler begeistert von Obama und belohnten seine Partei mit guten Wahlergebnissen. Deswegen müssen die Demokraten nun 21 der 36 Sitze im Senat verteidigen, über die mit dieser Wahl abgestimmt wird. Damit die Republikaner künftig den Senat dominieren, brauchen sie sechs zusätzliche Mandate. In Montana, West Virginia und South Dakota werden sicherlich Konservative altgediente Demokraten, die ihren Rücktritt angekündigt haben, ablösen.

Insofern braucht die Grand Old Party noch drei weitere Erfolge und ihre Chancen sind in mehreren Staaten sehr gut: Die Wähler in Louisiana, Arkansas, North Carolina und Alaska stimmten 2012 deutlich für den damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney. Doch auch in Staaten wie New Hampshire, Colorado (mehr über den "neuen Konservativen" Cory Gardner) oder Iowa, wo Obama 2012 siegte, könnten Republikaner siegen.

Sollten die Republikaner sechs Sitze dazugewinnen und damit 51 oder mehr Sitze im gesamten Senat für sich beanspruchen, dann steigt Mitch McConnell wohl zum neuen Senate majority leader auf. Der 72-Jährige aus Kentucky würde neben John Boehner, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, zum wichtigsten Gegenspieler von Barack Obama werden. Die beiden Kammern des Kongresses können Gesetze beschließen, die der Präsident unterzeichnen oder blockieren kann. In diversen Berichten sprechen führende Republikaner davon, dass sie zu Kompromissen bereit seien - sie wollen den Bürgern beweisen, dass ihre Partei etwas bewegen kann und sich nicht nur als Anti-Obama-Sammelbecken versteht.

Und noch etwas dürfte Obama Kopfzerbrechen bereiten, wenn die Republikaner den Kongress dominieren: Die Senatoren müssen jeder seiner Personalentscheidungen zustimmen - vom neuen Justizminister über Bundesrichter oder neue Mitglieder des Obersten Gerichtshofs. Der Kongress entscheidet zusätzlich über das Budget und könnte den Spielraum des Präsidenten einengen.

Szenario 2: Demokraten verteidigen ihre Führung im Senat

Wie oben beschrieben: Die Republikaner kommen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf 48 von 100 Senatssitzen. Damit die Demokraten ihre Mehrheit behalten können, muss also nahezu alles optimal laufen und - bis auf einen - alle übrigen umkämpften Sitze gewinnen. Das ist nicht unmöglich - aber eben auch nicht sehr wahrscheinlich.

Auch wenn viele Umfragen die Republikaner leicht vorne sehen, betonen Beobachter: Viele Meinungsforscher rufen noch immer Festnetztelefone an, wodurch sie zu wenige junge Leute, Latinos und Afroamerikaner erreichen. Dies sind aber genau jene Gruppen, die den Demokraten nahestehen (Hintergründe bei The Upshot).

Statistik-Experten wie Nate Cohn werten die ersten Daten der Briefwahl-Ergebnisse als eher positiv für Obamas Partei. Dabei wird untersucht, welcher Partei diese Wähler angehören (Republikaner, Demokraten oder Unabhängige) und ob diese auch bei den letzten Mid-Terms 2010 gewählt haben (Details hier). Die größte Herausforderung für die Demokraten besteht darin, ihre Anhänger überhaupt an die Urnen zu bringen. Üblicherweise liegt die Beteiligung bei unter 50 Prozent, wenn nicht zugleich der Präsident bestimmt wird. Wer wählen gehe, gehöre meistens zu dem Teil der Wahlberechtigten, die George Will in der Washington Post als frail and pale beschreibt - und die "gebrechlichen und bleichen" Amerikaner unterstützen meist die Republikaner.

Szenario 3: Keine Entscheidung und Amerika wartet wochenlang

Im dünn besiedelten Alaska könnte es einige Tage dauern, bis das endgültige Ergebnis feststeht. Auch in zwei Südstaaten dürfte der künftige Senator noch nicht am 4. November gekürt werden: Sowohl in Louisiana als auch in Georgia muss der Sieger mehr als 50 Prozent der Stimmen bekommen (diese Regel wurde eingeführt, um afroamerikanische Politiker zu schwächen). Unabhängige Kandidaten (mehr über dieses Phänomen) dürften Demokraten und Republikanern genug Stimmen stehlen, um eine Stichwahl zu erzwingen. Wenn beide Parteien mit den jeweils für sie tendierenden Unabhängigen zu diesem Zeitpunkt gleichauf liegen oder um zwei Sitze abweichen, dann werden die Bürger wochenlang mit Werbeclips bombardiert werden.

In Louisiana müsste die Demokratin Mary Landrieu am 6. Dezember gegen Bill Cassidy bestehen - und in Georgia würden die Bürger dann erst am 6. Januar entscheiden, ob sie den Republikaner David Perdue oder die Demokratin Mary Nunn besser finden. Strukturell sind die Republikaner im Vorteil, aber die Polit-Novizin Mary Nunn führt einen sehr guten Wahlkampf und ihre Parteikollegin Landrieu aus Louisiana stammt aus einer populären Politiker-Dynastie. John Dickerson, einer der versiertesten Polit-Beobachter, hält es daher nicht für ausgeschlossen, dass Landrieu "ein weiteres Wunder gelingt" (Details in diesem Slate-Artikel).

Szenario 4: Ein Patt und alle Augen auf Joe Biden

Denkbar ist auch ein völliger Gleichstand zwischen den beiden Parteien. Bei einem endgültigen Patt wäre Joe Biden der Mann, der die wichtigsten Entscheidungen trifft: Laut US-Verfassung steht der US-Vizepräsident dem Senat vor und darf seine Stimme abgeben, wenn es keine Mehrheit gibt. Dass Biden, der selbst 36 Jahre Senator war, für die Demokraten votieren würde, ist klar.

Allerdings erscheint dieses unwahrscheinliche Szenario bei genauem Hinsehen noch unwahrscheinlicher: Damit die Republikaner ihre Mehrheit verpassen, müsste der unabhängige Kandidat Greg Orman in Kansas gewinnen. Orman hat aber angekündigt, dass er sich jener Partei anschließen werde, die in der Mehrheit ist, um mehr erreichen zu können. Insofern könnte er als "Mehrheitsbeschaffer" der Republikaner sicher viel einfordern.

Bislang gibt es mit Angus King aus Maine und Bernie Sanders aus Vermont bereits zwei unabhängige Senatoren. Der selbsternannte Sozialist Sanders liebäugelt mit einer Präsidentschaftskandidatur 2016 und wird sicher nicht mit den Konservativen kooperieren. Angus King scheint hingegen zu taktieren: Er hat sich nicht festgelegt, ob er sich von Januar 2015 an wieder den Demokraten anschließen wird. CNN beschrieb King bereits als den "Mann, der über die Mehrheit im Senat entscheiden könnte". Angus King selbst legt sich nicht fest und sagt lediglich, dass er tun werde, was im besten Interesse für seine Heimat Maine sei.

Linktipps:

  • Warum Obama die Amerikaner frustriert, schildert SZ-Korrespondent Nicolas Richter in diesem Text.
  • "Enttäuscht und wütend": William Galston von der Brookings Institution beschreibt die Gefühlslage der Amerikaner im Herbst 2014.
  • Alle Artikel von SZ und SZ.de rund um die US-Kongresswahl am 4. November finden Sie hier.
  • Eindrücke aus Colorado: Wie Republikaner und Demokraten versuchen, den Senatssitz in diesem wichtigen Staat zu gewinnen.
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