Eindrücke:Kneifen wäre undenkbar

Von Schneeregen und Matsch lassen sich die Wallfahrer nicht abhalten

Von Suse Bucher-Pinell, Bad Tölz

So geht das seit halb fünf in der Früh. Junge Frauen und Mädchen geben sich am Donnerstagmorgen im Tölzer Haarstüberl die Klinke in die Hand. Zu Leonhardi heißt es schön sein und dazu gehört nicht nur das traditionelle Gwand, auch die Haartracht muss stimmen. Marie Fischhaber ist zehn Jahre alt und sitzt deswegen in aller Herrgottsfrühe schon beim Friseur. Roswitha Illner hat Mühe, die in filigraner Klosterarbeit gefertigte Krone auf ihrem Kopf zu befestigen. Es fehlen Schlaufen, um die Haarnadeln durchzuschieben. Irgendwie schafft sie es doch. "Wackel mal mit dem Kopf", bittet sie. Und tatsächlich, das Kranl bewegt sich keinen Millimeter. Noch ein paar Asparagus-Zweige drumherum, dann kann's losgehen. Zu Hause wartet schon ihre Mutter, um Marie beim Anziehen der Tracht zu helfen. Allein sei das kaum zu schaffen. "Da muss man so viel einhakeln", erzählt sie.

Derweil hat Schneeregen die Dächer und Vorgärten weiß gefärbt. Es ist jenes Wetter, das sich die Wallfahrer am wenigsten wünschen: Kälte und dazu auch noch Nässe. Deswegen aber zu kneifen ist tabu. "Da macht man sich einen Haufen Arbeit und fährt dann nicht mit?", darüber kann Jakob Reiser, der "Hanslkaspar" aus Hellerschwang, nur den Kopf schütteln. Er spannt seit vielen Jahren bei Kaspar Willibald ein, dem "Aschenloher" aus Lenggries, der bei der Leonhardifahrt in zwei Jahren 50. Teilnahmejubiläum seines Hofs feiern will.

Mit Vierspänner und Tafelwagen stehen sie schon kurz vor acht in der Ludwigstraße im Regen und warten auf den Beginn der Fahrt zum Glockengeläut um 9 Uhr. "Für uns ist das eine Wallfahrt", sagt Reiser. Nachdem Willibalds Großvater vor Jahrzehnten bei einem schweren Arbeitsunfall mit Pferden im Wald ein Gelübde abgelegt und versprochen hatte, bei der Tölzer Leonhardifahrt mitzufahren, ist der 6. November für sie ein Pflichttermin. Nur in Tölz fahren sie mit, auch wenn andere noch so sehr um sie werben.

Für diesen Tag ist ihnen die Wagennummer zwölf zugelost worden. Sie kommen also recht früh an am Kalvarienberg, noch ehe die vom Schneeregen durchweichte Wiese, wo die Gespanne während der Messe warten, tief durchfurcht ist. Der Unfall, bei dem Pferde durchgegangen sind, ein Truhenwagen umgekippt ist und zwei Frauen schwer verletzt worden sind, ist da schon passiert. Er ist das dominierende Thema bei dieser Wallfahrt. "Wir sind froh, dass wir gut raufgekommen sind, und sind noch froher, wenn wir wieder unten und daheim sind", sagt Reiser.

Unterdessen predigt Klaus Peter Franzl, Vertreter des Generalvikars beim Erzbischöflichen Ordinariat, darüber, warum Leonhardi auch in der hoch technisierten Welt noch zeitgemäß sei, und macht das am Heiligen Leonhard fest. Er habe Gottes Liebe spürbar gemacht, deshalb werde er immer noch so sehr verehrt.

Die Wiese hat sich mittlerweile in einen braunen Acker verwandelt, die Besucher waten und schlittern durch eine Mischung aus Schneematsch, Gras, Dreck und Blättern. Ein Wunder, dass sie nicht reihenweise ausrutschen. Roswitha Illner, die Friseurin, die am Morgen noch fleißig Haare flocht und steckte, sitzt mit Schaftlacher Schalkfrauen auf Wagen 15. Auch sie hat den Truhenwagen umkippen sehen. "Es wurde momentan still bei uns, wir wurden kreidebleich." Jetzt kann sie wieder lachen und freut sich über all die Bekannten, die zu ihr an den Wagen kommen.

Als es nach der Messe wieder abwärts gehen soll, bleibt keines der Gespanne stecken. Manche müssen angeschoben werden. Die Besucher haben sich in der Marktstraße gesammelt und stehen nun dicht gedrängt, der Regen hat aufgehört. Die Fuhrleute schicken ihre Pferde in schnellem Trab zur Mühlfeldkirche hinauf. Dort löst sich die Wallfahrt auf. Jakob Reiser und Kaspar Willibald fahren weiter nach Gaißach zum Jägerwirt. Dort gibt es Mittagessen, während die Pferde schon wieder im Stall sind.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: