Ebersberger Forst:Schwein gehabt

ebersberg 8.11.

Zeichnung: Korbinian Eisenberger

Die Klimaerwärmung und ein reichliches Futterangebot bescheren dem Schwarzwild beste Bedingungen - zum Leidwesen von Jägern und Landwirten.

Von Rita Baedeker, Hohenlinden

Der Pfad, der durch das an der B 12 gelegene Maisfeld bei Hohenlinden führt, sieht aus, als wären Kettenfahrzeuge durchs Gelände gepflügt. Im Boden sind tiefe Löcher, Erdreich liegt in dicken Klumpen auf dem Weg. An einer Stelle ist ein Panzer offenbar mitten in den Mais gebrettert. Oder war es ein Orkan? Stängel sind geknickt und liegen platt auf dem Boden, die Kolben sind abgerissen.

Rudolf Perfler, Revierleiter im Forstrevier Ebersberg und Jäger im Revier Hohenlinden, lacht und schüttelt den Kopf. "Das war kein Panzer und kein Sturm, das waren die Sauen", sagt er und deutet auf Spuren in der feuchten Erde: die Fährten der Wildschweine. Mit Jagdhund "Reserl", seiner alpenländischen Dachsbracke, inspiziert er die Stelle. Reserl nimmt sofort Witterung auf. Wildschweine sind ihre Spezialität. Jetzt allerdings sind gerade keine da und sie darf auch jetzt nicht jagen, bleibt an der Leine, also springt sie in die Luft und jagt Insekten. In der Not fängt der Teufel Fliegen. "Jetzt sind die Maiskolben milchreif, also noch weich, das mögen die Schweine", sagt Perfler. In der Erde hingegen graben sie nach Würmern und Engerlingen." Was hier nach der Wühlarbeit einer ganzen Nacht aussieht, ist das Werk von höchstens einer Viertelstunde", meint Perfler. "Die kommen überfallartig, in Rotten zu zehn bis 15 Tieren." Wählerisch sind sie anscheinend auch noch. Etliche der Kolben sind nur angenagt, die Körner zerquetscht.

ebersberg 8.11.

Zeichnung: Korbinian Eisenberger

Ein paar Meter weiter ist der Spuk dann auf einmal zu Ende. Wo sich das Gelände öffnet und das freie Feld beginnt, liegt der Weg unberührt da, wie abgeschnitten. Ein paar wenige Spuren noch, die von tierischem Vandalismus zeugen. "Das hier ist die Probegrabung", sagt Perfler. "Die schauen, ob Menschen in der Nähe sind", zum Beispiel auf den Jagdkanzeln, die am Waldrand und an der Grenze zum Maisfeld stehen.

Ansonsten lassen sich die Sauen nicht blicken, sondern versuchen, im Dunkeln zu bleiben und offenes Gelände zu meiden oder schnell zu überwinden. "Die haben einen sehr guten Geruchssinn", sagt Perfler. Tagsüber bekomme man sie sowieso nicht mehr zu Gesicht. Ganz anders als die Sauen im umfriedeten Wildpark im Ebersberger Forst. "Die wissen, dass ihnen die Spaziergänger dort nichts tun, das ist eine andere Welt", sagt der Forstmann. "Aber diesseits des Zauns verstecken sie sich gezielt, sie wissen, wo und wann es für sie brenzlig wird."

Schon aus diesem Grund sei die Wildschweinjagd eine heikle Sache. Soll man sie aus dem Mais scheuchen? "Keine Chance", sagt Perfler. "Hier an der viel befahrenen B 12 wäre das viel zu gefährlich und eine Straßensperrung, denke ich, würden wir nicht genehmigt bekommen". Auch die Einzeljagd auf dem Ansitz habe ihre Tücken. Der Grund: Die Sauen bewegen sich nur im Dunkelbereich, also zwischen den Maisfeldern und am Rand.

Teure Jagd

Das Waldareal der Jagd-Genossenschaft Hohenlinden teilen sich etwa 240 Eigentümer. Das Gebiet, in dem die Schweine unterwegs sind, reicht von Sankt Wolfgang im Landkreis Erding über Isen bis nach St. Christoph sowie in den Großhaager und Ebersberger Forst. Erding ist dabei der an Wald ärmste, aber maisreichste Landkreis. Das Schwarzwild macht sich diese natürlichen Standortvorteile zunutze, die Tiere laufen bis zu 20 Kilometer in einer Nacht. Alles in allem sind jedoch die Schäden im Landkreis bisher noch nicht ausgeufert. "Ich befürchte jedoch, dass das nicht so bleibt", sagt Rudolf Perfler. "Wenn nur fünf Prozent der hundert Hektar Mais im Jagdrevier Hohenlinden vernichtet würden, dann wären das geschätzt 10 000 Euro. Das hohe finanzielle Risiko, das Jagdpächter eingehen, schreckt ab. Grund ist das geltende Jagdrecht. Es schreibt vor, dass Wildschäden zu ersetzen sind. Gesetzlich geregelt ist dies über die Jagdgenossenschaften. Diese verpachten die Jagden an die Jäger, meist mit der Klausel im Vertrag, dass die Wildschäden durch den Jäger übernommen werden müssen.

Im Falle Hohenlindens haben sich die vielen privaten Grundeigentümer zu einer Jagdgenossenschaft zusammengeschlossen, weil keiner für sich genug Grund und Boden für eine Eigenjagd besitzt. Der Vorsteher dieser Genossenschaft schließt dann mit Jägern die mindestens neun Jahre laufenden Pachtverträge. Die Jäger müssen dann für Schäden, wie sie etwa Wildschweine anrichten, aufkommen. "Praktisch gibt die Genossenschaft die gesetzliche Pflicht des Schadensersatzes an die Jäger weiter", sagt Rudolf Perfler. Die Folge ist: Je mehr Schäden entstehen, desto teurer wird es für die Jäger. bae

"Viele Leute gehen am Abend, in der Dämmerung, mit ihren Hunden spazieren. Das ist ja okay. Viele lassen die Hunde dann aber oft frei laufen, und das ist eben nicht okay." Die Sauen blieben dann noch ein bisschen länger in ihrer Deckung, da sie die Hunde witterten und für einen notwendigen gezielten Schuss reiche dann das Licht nicht mehr aus. "Nachtsichttechnik gäbe es. Diese ist allerdings bei uns gesetzlich nicht erlaubt."

Am ehesten funktioniere die gemeinschaftliche, revierübergreifende Drückjagd, die tagsüber im Wald stattfindet. Bei dieser Methode werde das Wild beunruhigt, aber nicht gehetzt. Maximal vier Jäger mit speziell ausgebildeten Hunden setzen sich auf die Spur der Sauen. "Wichtig ist, dass dann an den Stellen, an denen man gute Sicht hat, auch gute und schnelle Schützen sitzen, nur dort erwischt man das Wild."

Anfang November hat eine solche Drückjagd stattgefunden - die Wildschweine ließen sich jedoch nicht blicken. Im laufenden Jagdjahr, das am 1. April begann, wurden bisher vier Sauen erlegt, eine wurde angefahren, im vergangenen Jagdjahr waren es hier in Hohenlinden 13 Sauen. Frischlinge und "Halbwüchsige" (im Fachjargon "Überläufer" genannt) dürfen das ganze Jahr über bejagt werden, Keiler und Bachen nur von Mitte Juni an bis zum 31. Januar. "Mutterschutz", sagt Perfler.

Allerdings könnten Bachen heutzutage aufgrund der tollen Lebensbedingungen zweimal im Jahr "frischen", also Junge bekommen. Das erste Mal im März und noch einmal im Hochsommer. "Im Wildpark synchronisieren die Leit-Bachen die Familienplanung, doch draußen ist eben eine andere Welt." Die Rotten seien hier nicht so stabil und groß und das Nahrungsangebot sei im Sommer sehr gut. Der Mais spiele dabei eine wichtige Rolle. "Er ist ein Energielieferant par excellence - rund die Hälfte der Äcker im Landkreis sind mit Mais bepflanzt."

Milde und schneelose Winter erleichtern nicht nur die Nahrungssuche, sie lassen auch mehr Tiere überleben. "Dazu kommt, dass man in schneelosen Wintern weniger Jagderfolg hat. Das erschwert die Bejagung des Wilds. Im Schnee sieht man die Fährten, man hört und sieht die Tiere besser", sagt Perfler. Kurzum: Das Schwarzwild vermehrt sich rasant. Die Klimaerwärmung sei dafür der ausschlaggebende Faktor. Außerdem sind die Tiere so schlau, dass sie ihr Biotop optimal zu nutzen wissen.

Im Frühjahr machen sie sich über Engerlinge und Insekten her, im Sommer und Herbst fallen sie in die Felder, in Mais und Getreide ein. Dort finden sie sowohl Äsung als auch Deckung. Im Winter bleiben sie im Wald und finden den Tisch reich gedeckt mit Eicheln, Bucheckern, Pilzen. "Wir wollen den Waldumbau", sagt Perfler, "aber in Bezug auf das Schwarzwild ist er nicht unproblematisch. "Gute Deckung in den jungen Waldbeständen und gutes Futter durch die Mast der Bäume im Winter erhöhen die Schwarzwildbestände".

Dennoch ist Perfler optimistisch: "Unser Monitoring funktioniert meistens sehr gut. Wir werden der Sauen schon Herr werden, wenn wir zusammenhelfen." Ein Fortschritt sei auch, dass die Jäger in dauerndem Kontakt stehen. "Wir informieren uns untereinander, wo wir Sauen gespürt haben oder wo wir kirren".

Hier, im Revier Hohenlinden, liegt ein solcher Platz, an dem das Wild mit kleinen Futterportionen angelockt wird, inmitten eines schmalen Wiesenstreifens im Wald, den man von der nahe gelegenen Kanzel aus gut überblicken kann. Pro 100 bis 150 Hektar Wald gibt es einen solchen Platz. Früher hatte jeder Jäger in seinem Revier mehrere Kirrungen, oft nicht weit voneinander entfernt. Die Folge: Die schlauen Schweine liefen zu der Stelle, die unbeaufsichtigt war. Jetzt werde das Kirren untereinander abgestimmt und gejagt werde an diesen Stellen nur, wenn die Felder abgeerntet sind, sonst wäre es kontraproduktiv.

Ein weiteres Problem sind Krankheiten, die das Schwarzwild einschleppen könnte. Neben der Schweinepest, die für landwirtschaftliche Schweinezüchter und Schweinehalter sehr gefährlich sei - da Wildschweine eben weit unterwegs sind und auch mal infiziertes Fleisch oder Abfälle fräßen -, ist das die "Aujeszkysche Krankheit", auch Pseudowut genannt. Wirt des Virus ist das Schwein. "Für uns Menschen völlig ungefährlich, aber für einen Hund ist das absolut tödlich, es gibt keine Impfung", sagt Rudolf Perfler.

Zum Glück habe es noch keinen Fall im Landkreis gegeben, an dem ein Jagdhund gestorben sei, erlegte Sauen aber wiesen mittlerweile Antikörper in ihrem Blut auf, was auf ehemaligen Befall hindeute. Deshalb haben die Jäger verstärkt Bedenken, ihre Hunde auf Nachsuchen zu schicken."

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