Thüringen vor Regierungswechsel:Lichtermeer gegen Ramelows Rot-Rot-Grün

Protest gegen Rot-Rot-Grün

4000 Menschen nahmen am Sonntagabend an einer Protestaktion gegen eine mögliche rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen teil, darunter der noch amtierende Thüringer Innenminister Jörg Geibert (CDU, in der Mitte des Bildes).

(Foto: dpa)
  • Am Sonntagabend haben in Erfurt 4000 Menschen gegen Rot-Rot-Grün in Thüringen demonstriert.
  • Die Protestierenden riefen "Bodo, geh heim!", in Anspielung auf den Landesvorsitzenden der Linkspartei Bodo Ramelow, der im Dezember Ministerpräsident werden könnte.
  • Die Kundgebung zog auch Gegendemonstranten aus dem linken Lager und Rechtsradikale an.

Von Robert Gast und Cornelius Pollmer

600 Teilnehmer hatten die Organisatoren erwartet, am Ende kamen mehr als 4000. Mit ernsten Gesichtern versammelten sie sich im Zentrum der Thüringer Landeshauptstadt. Viele von ihnen zündeten Kerzen und Teelichter an, im Hintergrund leuchtete der Dom in den Abendhimmel. "Bodo, geh heim!", riefen sie, und: "Bodo raus!" Einige hielten ein Banner hoch: "Die Stasi zieht in die Staatskanzlei ein, das soll der Wählerwille sein?"

Das offizielle Motto der auf Facebook organisierten Kundgebung war zahmer: "Wir verwandeln den Domplatz in ein Lichtermeer gegen rot-rot-grün." Gemeint waren die Pläne von SPD, Grünen und Linkspartei, im Dezember eine Landesregierung unter einem Ministerpräsidenten der Linken zu bilden. Aufgerufen zu der Kundgebung hatte der Weimarer Unternehmer Clarsen Ratz. Er ist stellvertretender Landesvorsitzende der Thüringer CDU-Mittelstandsvereinigung.

Ex-Stasi-Mitarbeiter als Landtagsabgeordnete?

Ratz kritisiert, dass mehrere Mitglieder der Linkspartei, die in den neu gewählten Thüringer Landtag einziehen werden, ehemalige Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit seien. "Vielen Thüringern ist unwohl bei dem Gedanken an diese neue Regierung", sagt er im Gespräch mit SZ.de.

Der Organisator nennt es "Das Wunder von Erfurt"

Der Organisator zeigt sich überwältigt von der Resonanz: "Ich nenne es 'das Wunder von Erfurt'." Am 4. Dezember, dem Tag vor der Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten, plant er eine weitere große Demonstration gegen Rot-Rot-Grün.

Allerdings stieß schon die Kundgebung am Sonntag auf Widerstand: Einige Dutzend Gegendemonstranten sollen zum Teil heftig mit den Demonstranten diskutiert haben. Seitens der Piraten und der Grünen Jugend hatte es im Vorfeld Protestaufrufe gegen die Kundgebung gegeben. "Die CDU tritt damit demokratische Grundsätze mit Füßen und instrumentalisiert und beschädigt das Andenken des wichtigen Gedenktages 9. November aus purem Machtkalkül schwer", teilte etwa Bernd Schreiner mit, der scheidende Vorsitzende der Thüringer Piraten.

Erinnerungen an die Reichspogromnacht

Ein Lichtermeer am 9. November - das weckt auch dunkle Erinnerungen. An einem 9. November fiel nicht nur die Berliner Mauer. An einem 9. November putschte auch Hitler in München, im Jahre 1923 (hier mehr Information über den versuchten Staatsstreich). Und 15 Jahre später, am 9. November 1938, brannten fackelschwingende Nazis Synagogen in ganz Deutschland nieder und terrorisierten jüdische Bürger (hier eine Foto-Dokumentation der Pogromnacht). Ist es da nicht unglücklich, an diesem Gedenktag eine Demonstration abzuhalten, auf der "Bodo raus"-Rufe die Nacht füllen?

Der Angegriffene fragt sich, was genau gemeint ist mit den Angriffen

Der 9. November sei ein Tag, "an dem Deutsche große Freude in sich tragen, aber auch tiefe Trauer", rechtfertigt Organisator Ratz die Erfurter Kundgebung. "Damit müssen wir würdig umgehen, und das haben wir gestern getan." Neben einer Schweigeminute für die Mauertoten habe man auch der NSU-Opfer gedacht. Und außerdem: Die "Bodo raus"-Rufe seien nicht vom Podium ausgegangen, sondern aus der Menge gekommen, als Steigerung von "Stasi raus". Er persönliche distanziere sich ohnehin von persönlichen Anfeindungen, sagt Ratz.

Der Angegriffene selbst wiederum fragt sich, was mit "Bodo raus!" eigentlich gemeint sei. "Wo soll ich denn raus? Aus dem Landtag? Da hat mich das Volk reingewählt! Freie Wahlen waren das berechtigte Thema vor 25 Jahren und nun kommen Sprechchöre gegen die Ergebnisse von freien und geheimen Wahlen? Das finde ich seltsam", sagt Ramelow im Gespräch mit SZ.de.

Eine Partei, die Opposition noch üben muss

Auch den "Bodo geh heim!"-Rufe kann er nicht viel abgewinnen: "Ja, da war ich doch zu dieser Zeit! Oder soll ich in den Westen zurück?", fragt Ramelow, der nahe Bremen zur Welt kam und danach in Hessen lebte. Er verweist auf den CDU-Politiker Bernhard Vogel. Der gebürtige Göttinger war von 1992 bis 2003 Ministerpräsident in Thüringen.

Empören kann sich Ramelow über das Lichtmeer gegen seine Wunsch-Koalition nicht. Demonstrationen seien ein notwendiger Teil von Demokratie, sagt er, "und es fällt halt der Union schwer, sich an die Rolle der Opposition zu gewöhnen. Da ist eine Demo doch adäquat zum Üben."

Ungebetene Gäste

Zu Protest gegen Links gehört wohl, dass sie ungebetene Gäste von Rechtsaußen anzieht. Ratz räumt er ein, dass sich etwa 35 Rechtsradikale unter die Demonstranten gemischt hätten. Die Zahl stammt aus einem Bericht des MDR, ein Polizeisprecher will sie nicht bestätigen. Er spricht von einem "ganz normalen Demonstrationsgeschehen", für die Ordnungskräfte war es demnach eine "sehr entspannte Geschichte". Es seien vor allem Bürgerliche auf den Domplatz gekommen.

Offenbar kam es jedoch zu einem Gerangel zwischen Rechten und linken Gegendemonstranten, jedenfalls musste die Polizei eingreifen, so die Erfurter Polizeiinspektion. Sie bestätigt auch, dass am Rande der Veranstaltung mehrere Personen versucht haben, Fackeln zu entzünden. Das hätten Polizisten aber unterbunden. Schließlich war das Fackelverbot eine der Auflagen für die Kundgebung am 9. November.

Nachtrag: Einem Medienbericht der Thüringer Allgemeinen zufolge haben offenbar unter anderem Anhänger der AfD versucht, Gartenfackeln anzuzünden.

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