Amnesty-Bericht zu Katar:Scharfe Rüge für die Reformbekunder

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  • Amnesty International kritisiert, angekündigte Arbeitsmarktreformen im WM-Land Katar gingen nur schleppend voran.
  • Das Emirat steht seit Längerem in der Kritik, weil dort Arbeitsmigranten auf Baustellen unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten.
  • Die Regierung Katars hatte im Mai 2014 Reformen angekündigt, die bis spätestens Anfang 2015 verabschiedet werden sollen.
  • Der Bericht von Amnesty International verstärkt die Zweifel, ob die Fußball-WM 2022 tatsächlich in Katar stattfinden sollte.

Von Robert Gast

Eine Fußballweltmeisterschaft in der Wüste, ermöglicht von einer Armee aus Arbeitssklaven? Seit Monaten hagelt es Kritik an Katar als Austragungsort der Fußball-WM 2022. Zuletzt hatte der Spiegel berichtet, selbst Fifa-Chef Sepp Blatter zweifle daran, ob der Staat am Persischen Golf als Ausrichter geeignet sei. Nun liefert Amnesty International Kritikern der Wüstenweltmeisterschaft weitere Munition: "Katars Regierung hat keine glaubhaften Schritte unternommen, den weitverbreiteten Missbrauch von Arbeitern zu unterbinden", schreibt die Menschenrechtsorganisation in einem zwölfseitigen Bericht, der Süddeutsche.de vorliegt.

Vor einem halben Jahr hatte die Führung des Ölstaates weitreichende Reformen angekündigt. Zuvor hatte unter anderem die britische Zeitung Guardian Sklaverei-ähnliche Zustände auf den Baustellen des Landes enthüllt. Dutzende Arbeitsmigranten aus Asien sollen demnach im Sommer 2013 gestorben sein, weil sie unter menschenunwürdigen Bedingungen auf den Großbaustellen des Landes schuften mussten. Katars Bauboom könnte bis zur WM gar 4000 Arbeiter in den Tod treiben, warnte der Internationale Gewerkschaftsbund IGB. Auch die Vereinten Nationen kritisierten die Arbeitsbedingungen in dem wohlhabenden Wüstenstaat.

Problem ist das Sponsorensystem

Zentraler Kritikpunkt: Unternehmen in Katar müssen für Gastarbeiter bürgen, was die Hilfskräfte in hohem Maße abhängig von der Gunst ihrer Arbeitgeber mache. Bekannt ist diese Praxis als sogenanntes "Kafala-System". So brauchen Arbeitsmigranten die Erlaubnis ihres Chefs, um zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln. Auch wenn Arbeitsimmigranten das Land verlassen wollen, benötigen sie eine Genehmigung. Mitunter würden Arbeitgeber ausländischen Hilfskräften diese aber verweigern - und so verhindern, dass Arbeiter sich gegen einen Ausbeuterjob zur Wehr setzen.

Katars Regierung beauftragte als Reaktion eine international tätige Anwaltskanzlei, die im Mai dieses Jahres 60 Empfehlungen für eine Besserung der Arbeitsbedingungen vorlegte. Zeitgleich kündigte die Regierung an, das problematische Sponsorensystem für Gastarbeiter abzuschaffen. Im September dann kritisierte sogar der neue Emir Tamim bin Hamad Al Thani die Arbeitsbedingungen für Migranten. Eine Arbeitsmarktreform soll bis spätestens Anfang 2015 verabschiedet werden.

Die Reformen werden wenig ändern, sagt Amnesty

Amnesty meldet sich schon jetzt zu Wort, ein knappes halbes Jahr nach der Ankündigung. Die bisher öffentlich diskutierten Änderungspläne würden das Sponsorensystem mitnichten abschaffen, moniert die Menschenrechtsorganisation in ihrem Bericht. So könnten Arbeitgeber während der Dauer des Arbeitsvertrages nach wie vor einen Jobwechsel ihrer Angestellen blockieren. Und auch der Plan der Regierung, Ausreiseanträge spätestens 72 Stunden nach dem Antrag automatisiert auszustellen, verspricht Amnesty zufolge wenig Besserung. Denn die Änderung gebe Arbeitgebern nach wie vor die Möglichkeit, gegen Ausreisepläne von Arbeitern, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, vorzugehen. Wie genau das möglich sein soll, beschreibt der Amnesty-Bericht allerdings nicht.

Insgesamt beleuchtet die Nichtregierungsorganisation neun Missstände, bei denen die Regierung Katars Besserung versprochen hatte. Bei fünf der Problemen gebe es bisher keine Fortschritte, konstatiert der Amnesty-Bericht. Neben dem Kafala-Problem und den Ausreisebeschränkungen zählen dazu: fehlende Arbeiterrechte, kein Schutz vor physischem und sexuellem Missbrauch, keine Garantie auf eine pünktliche Lohnzahlung. Amnesty wertet es in allen diesen Fällen als Versagen, dass die Regierung in Katar Reformen zwar angekündigt, diese bis jetzt aber noch nicht umgesetzt habe.

Dafür gesteht Amnesty International der Regierung bei vier Problemen mäßige Fortschritte zu: Bisher werden Gastarbeiter mitunter mit falschen Jobbeschreibungen ins Land gelockt. Dies soll eine digitale Jobplattform verbessern. Auf elektronischem Wege sollen ausgebeutete Arbeiter künftig auch Beschwerden einreichen können. Seit Februar 2014 gibt es außerdem Pläne, alle Arbeitnehmer in eine Krankenversicherung aufzunehmen. Darüber hinaus rechnet Amnesty International Katar positiv an, dass Unterkünfte für 150 000 Arbeiter im Bau seien. In einem halben Jahr will die Menschenrechtsorganisation einen weiteren Bericht zu Fortschritten in Katar vorlegen.

Findet die WM wirklich in Katar statt?

Katars Sportminister Salah bin Ghanem bin Nasser al-Ali sagte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP: "Wir verstehen das Problem." Die Bewohner Katars seien keine teuflischen Menschen, "die wie Vampire sind". "Wir haben Emotionen, und wir fühlen uns schlecht." Er bestärkte, dass die Arbeitsmarktreformen auf dem Weg seien und in den kommenden Monaten verabschiedet würden.

Die jetzige Schelte kommt für die Regierung Katars zu einem schlechten Zeitpunkt. Fifa-Chef Sepp Blatter ließ die Berichte, er sei gegen eine WM in Katar, zwar dementieren. Schon länger halten es Beobachter allerdings für wahrscheinlich, dass Blatter die WM-Vergabe an das Emirat bereut.

Und nicht nur er: Bereits im September hatte der deutsche Fifa-Funktionär Theo Zwanziger im Gespräch mit Sport Bild gesagt, er persönlich glaube nicht, dass die WM 2022 in Katar stattfinden werde. Vergangene Woche bestätigte die Fifa jedenfalls schon einmal, dass die WM vermutlich im Winter stattfinden wird - und nicht in den Sommermonaten, in denen es in Katar bis zu 50 Grad warm werden kann.

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