Berliner Tatort "Vielleicht":Alles schwebt

Tatort: Vielleicht; "Tatort: Berlin"

Kommissar Stark (Boris Aljinovic) und Studentin Trude (Lise Risom Olsen) im Berliner Tatort

(Foto: rbb/Frédéric Batier)

"Ah, Sie kommen des Mordes wegen?": Im letzten Fall von Kommissar Stark träumt eine Studentin von einem Mord - der dann genau so passiert. Trotz ihrer Visionen driftet der Krimi nicht ins Sphärische ab, ins Penetrante zuweilen leider schon.

Von Holger Gertz

Einen Tatort in die ARD-Themenwoche Toleranz einzubetten, ist grundsätzlich keine schlechte Idee. Sogar die komplett verhagelten Episoden aus Saarbrücken wären in milderem Licht gesehen worden, hätte man sie in der Themenwoche Toleranz versendet. Unter dem Schutzschirm des Themenwochenmottos "Anders als Du denkst" kann man den Leuten ja praktisch alles verkaufen, weil: Wenn sie sich aufregen, sind sie nicht tolerant.

Der Fall aus Berlin erweist sich als themenwochentauglich schon deshalb, weil es um eine norwegische Studentin geht, die sich anders als Du denkst verhält. Sie träumt davon, dass jemand umgebracht wird, sie träumt den Mord, den Ort, das Opfer. Und dann passiert das auch genau so, die Norwegerin kann sehen, was niemand sonst sieht.

Wer Visionen hat, muss zum Arzt, verfügte seinerzeit schon Helmut Schmidt, an dessen Pragmatismus man sich in diesem Tatort orientiert. Die hellseherischen Fähigkeiten der Frau sorgen nicht dafür, dass der Mystery-Plot von Klaus Krämer ins Sphärische abdriftet. Die Kommissare nähern sich dem Fall mit Gründlichkeit und auch Ratlosigkeit, und die Studentin ist keine esoterische Geistergestalt, sondern eine Frau, die unter der Last ihrer Begabung lautlos zusammenbricht. Boris Aljinovic, als Kommissar Felix Stark, hat wieder die tollste Stimme aller Ermittler. Er kann leise schreien. Und dann dieses herrliche französische Gesicht. Ein Mann aus Papier an einem sehr, sehr großen Schreibtisch. Es zeigt sich, dass er auch hervorragend Tintenfische zeichnen kann.

Vielleicht hier, vielleicht dort

"Vielleicht" ist der letzte Fall mit Hauptkommissar Stark. Gemeinsam mit dem bereits emeritierten Kollegen Till Ritter hat er in den vergangenen Jahren einige stille und deshalb berührende Großstadt-Episoden gedreht. "Vielleicht" hält das Niveau trotz aller Anstrengung nicht. Ein paar Webfehler in der Geschichte, und ungewohnte Penetranz, wo Subtilität gewirkt hätte. Ewig reiten sie auf dem titelgebenden Begriff herum, ständig raunt jemand "vielleicht". Vielleicht mal später treffen, vielleicht ein neues Zimmer beziehen, vielleicht mal auf ein Bier gehen, vielleicht ein andermal. Alles schwebt, nichts ist sicher: irgendwann hat man es dann auch begriffen.

Anders als Du denkst spricht schließlich eine junge Frau, die die Ermittler begrüßt mit den Worten: "Ah, Sie kommen des Mordes wegen?" Im Rahmen der Themenwoche Toleranz kann man das für eine lebensechte Formulierung halten. Sonst nicht.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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