US-Klatschportal:"TMZ jagt Promis wie Freiwild"

Auf Promi-Safari durch LA

Vom Internet auf die Straße: TMZ vertreibt Promiklatsch nicht nur auf seiner Seite, sondern auch bei Bustouren durch Los Angeles.

(Foto: dpa)

Die Boulevard-Plattform TMZ hat sich zum Zentralorgan der üblen Nachrede entwickelt. Bei ihrer Bustour durch Los Angeles erfährt man eine Menge darüber, wie süchtig die Welt nach Skandalen ist.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Stacey Santiago ist eine Frau, die nicht spricht, sondern Wörter aus ihrem Mund purzeln lässt. Mindestens vier pro Sekunde, manchmal auch mehr. Sie trägt eine blaue Jeans, ein rotes T-Shirt und einen grünen Hipster-Hut, natürlich verkehrt herum. "Gehen wir auf Promi-Safari", ruft sie: "Sollte jemand Justin Bieber sehen, dann erschießen Sie ihn." Die Menschen im Bus johlen, ganz offensichtlich finden sie den Spruch nicht makaber, sondern saukomisch. So beginnt die zweistündige Bustour des Promi-Portals TMZ, die einem für 54 Dollar das "wahre Hollywood" zeigen soll.

TMZ, das war einst die Abkürzung für die Thirty Mile Zone in Los Angeles, in der die Tarifverträge der Filmindustrie galten. Das weiß heutzutage kaum noch jemand, denn TMZ steht jetzt für das Promi-Newsportal, das der Jurist Harvey Levin gegründet hat: Am 8. November 2005 ging die Webseite online, zwei Jahre später folgte das TV-Debüt als Sendung auf dem Kanal Fox.

Es gibt zahlreiche Zeitungen und Fernsehsendungen, die sich mit Promis beschäftigen, dazu Tausende Blogs. Warum ist gerade TMZ derart erfolgreich? Die Webseite verzeichnet mehr als 25 Millionen Besucher pro Monat, die Einnahmen des Unternehmens belaufen sich auf mehr als 55 Millionen US-Dollar pro Jahr.

Fans, die keine Fans sind

Der Bus steht auf dem Parkplatz hinter dem Chinese Theater in Hollywood. Er sieht ein wenig aus wie das Ding, mit dem Bud Spencer in "Das Krokodil und sein Nilpferd" Touristen abzockt - nur moderner und mit knallrotem TMZ-Logo. Vorne wollen sieben Spiderman-Darsteller mit jeweils ansehnlichem Bierbauch Fotos mit Touristen machen, junge Männer verkünden ihren Durchbruch als Rapper oder die Ankunft von Jesus, ein acht Jahre alter Bub tanzt wie Michael Jackson.

Das ist der Walk of Fame an einem Samstagnachmittag - man möchte Muhammad Ali zu seiner Entscheidung gratulieren, seinen Stern an der Wand aufhängen zu lassen, damit nicht jeder auf seinem Namen herumtrampelt.

Die Mitfahrer im Bus sind keineswegs verliebte Teenager, die ihre Idole sichten möchten. Justin und Claire, ein Mittfünfziger-Pärchen aus Arizona mit aufeinander abgestimmten Hollywood-Shirts, haben noch nie einen Boxkampf von Mike Tyson gesehen, würden ihn jedoch jetzt gerne treffen. Der 36 Jahre alte Klaus aus Deutschland hat sich noch nie ein Album von Miley Cyrus gekauft, will sie jedoch unbedingt fotografieren. Die Australierin Crystal, 41, kennt nur zwei Filme mit Angelina Jolie, hätte jedoch nichts dagegen, sie nun zu entdecken.

Von Po-Grapschern und betrunkenen Autofahrten

Sportler, Schauspieler und Sänger sollen mit ihrer Arbeit verdeutlichen, wie weit es der Mensch inzwischen gebracht hat. Wie schnell er laufen oder wie schön er singen kann. Daran jedoch sind die Menschen in diesem Bus nicht interessiert, sie sind hier, weil selbst die tollsten Exemplare dieser Spezies auch mal Fehler machen:

Es geht bei der Fahrt und auch bei TMZ generell um Po-Grapscher, ausgestreckte Mittelfinger, Trunkenheitsfahrten, nach oben gerutschte Röcke. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, deren Mitglieder sich für derartige Peinlichkeiten ebenso interessieren wie für kulturelle und sportliche Leistungen?

Es mag Schadenfreude sein, weshalb alle lachen, als der Bus vorbeifährt an der Straße, in der sich Hugh Grant einst von einer Prostituierten einen blasen ließ. Vielleicht ist es auch Dankbarkeit darüber, dass das eigene Leben dann doch stinklangweilig ist und sonst niemanden interessiert. "Gott sei Dank bin ich nicht berühmt", seufzt Klaus beim Passieren des Geschäfts, in dem Wynona Ryder beim Klauen erwischt wurde: "TMZ jagt Promis wie Freiwild."

Diese Aussage wird der Arbeitsweise und Relevanz des Unternehmens jedoch nicht gerecht. TMZ ist kein Jäger. Das Portal hat den Komiker Michael Richards nicht dazu gezwungen, seine Karriere im November 2006 in der Laugh Factory mit einer rassistischen Hasstirade zu zerstören. Es ist nicht verantwortlich dafür, dass Tiger Woods untreu war oder dass der Footballspieler Ray Rice seine Verlobte kürzlich im Aufzug eines Casinos niederstreckte.

Aufdecken und Ablästern als Prinzip

TMZ hat darüber exklusiv berichtet und ist damit vielmehr ein Sammler, der Promi-Kadaver aufklaubt, sie der Öffentlichkeit präsentiert und später die ausgestopften Köpfe über dem Kaminsims ausstellt.

Um die Methodik des Sammelns zu verstehen, muss man Santiago während der Fahrt genauer beobachten. Sie ist keine Häuser-der-Stars-Reiseführerin, sondern Protagonistin bei TMZ, laut Internet Movie Database war sie bereits in 545 Folgen zu sehen. Sie ist 44 Jahre alt, studierte Schauspielerei und wirkte in Filmen und Serien mit, seit zwei Jahren arbeitet sie bei TMZ. Sie lästert in Maschinengewehr-Geschwindigkeit, qualitativ liegen die Sprüche im Altherrenwitz-Bereich. Manchmal ist sie die einzige, die darüber lacht.

Sie hält eine Kamera in der Hand, stets bereit, beim Anblick eines Prominenten aus dem fahrenden Bus zu hüpfen. Zimperlich oder gar schüchtern darf ein TMZ-Reporter nicht sein, Exklusivität und Schnelligkeit sind neben dem Wahrheitsgehalt der Veröffentlichungen enorm wichtig im Geschäft mit den Promi-News - und das Portal liegt nicht nur erstaunlich häufig richtig, sondern berichtet meist exklusiv und schneller als alle anderen. Santiago wirkt wie ein Piranha im Aquarium, der auf ein Stück Fleisch wartet.

Promi-News als Fast Food

10833 Wilshire Boulevard. Man kann hinübersehen zum UCLA Medical Center, wo Michael Jackson am 25. Juni 2009 verstorben ist. Es war auch der Tag, an dem TMZ weltweit bekannt wurde. Nach einem vagen Hinweis tätigten die Mitarbeiter laut Levin "eine Million Telefonanrufe" auf der Suche nach verlässlichen Quellen, bis ohne Zweifel feststand: Dieser Mann ist Michael Jackson.

Nur 18 Minuten, nachdem die Ärzte den Tod Jacksons festgestellt hatten, veröffentlichte das Portal die Meldung vom Ableben des Sängers. Die Nachricht verbreitete sich rasend schnell, überall war der Hinweis zu lesen, dass TMZ den Tod zuerst vermeldet hat.

Exklusiv, schnell, wahr: Dieses Prinzip funktionierte nicht nur bei Jackson, sondern auch beim Tod von Brittany Murphy, dem Finanzskandal um die Northern Trust Bank oder den rassistischen Äußerungen des Milliardärs Donald Sterling. TMZ, das ist nicht nur seichte Nachmittagsunterhaltung oder ein Portal für Promi-Peinlichkeiten, sondern eine verlässliche Quelle für bedeutsame Skandale.

Futter für ein gieriges Publikum

Die Hinweise sind die Existenzgrundlage von TMZ, Levin gibt offen zu, Informanten auch zu bezahlen: "Ich habe überhaupt kein Problem damit. Wir müssen jedoch jede einzelne Geschichte auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen."

Dafür gibt es die TMZ-Mitarbeiter wie Santiago. Während der Sendung sitzen sie gut gelaunt im neuen Newsroom-Studio in Playa Vista und berichten lakonisch an Levin. Sie wirken wie Freunde, der Zuschauer vergisst bisweilen, dass diese Mitarbeiter auch im Dreck wühlen - oder wie Produzent Evan Rosenblum sagt: "Wir graben weiter und weiter."

Ob TMZ dabei einen gesellschaftlichen Beitrag leistet oder sich doch nur wie ein Parasit vom Blut anderer ernährt? Santiago spricht nicht über Moral oder Anstand in ihrem Beruf, sie macht lieber Witze.

Die fehlende Reflexion über die eigenen Methoden, das ist das Erfolgsgeheimnis von TMZ - weil genau das den Zuschauern erlaubt, den eigenen Voyeurismus nicht moralisch bewerten zu müssen. TMZ berichtet, der Nutzer sieht zu, das war's. Es ist ein gegenseitiges Exkulpieren, die Schuld wird übertragen auf den Promi, der den Fehler gemacht hat. Selber schuld, wenn er sich dabei filmen lässt.

Enthüllung mit allen Mitteln

Wie das funktioniert, zeigte sich wunderbar beim Fall des Frauen-Prüglers Rice: Der verpasste seiner Verlobten Janay Palmer einen linken Haken, der Mike Tyson zur Ehre gereichen würde. Dann beschimpfte er sie, bespuckte sie und zog sie aus dem Aufzug, als wäre sie ein Müllsack. Das alles wurde gefilmt von einer Kamera innerhalb des Aufzugs, TMZ besorgte sich die Aufnahmen und veröffentlichte sie.

Der öffentliche Furor war immens, es gab eine Debatte über häusliche Gewalt in den USA und das ungebührliche Verhalten von Profisportlern, selbst Präsident Barack Obama äußerte sich zu den Vorfällen.

Kaum jemand diskutierte darüber, wie TMZ an die Videos gelangt und ob der Zeitpunkt der Veröffentlichungen so gewählt war, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erreichen. Angeklagt wurden eher die traditionellen Fernsehsender, Skandale aus einer Liga, deren Spiele sie zeigen, nicht ausreichend journalistisch zu verfolgen. Und die NFL, die den Skandal offensichtlich zu vertuschen versuchte.

Ritter für die Voyeure

TMZ dagegen fiel die Rolle des unabhängigen Aufdeckers zu, der furchtlos berichtet ohne Rücksicht auf Verträge mit Ligen und ohne Debatten über journalistische Standards. Der Zuschauer will Informationen über Promis, TMZ liefert sie.

Das ist die große, die beeindruckende Leistung des Portals: Es ist ein Biest auf der Suche nach Opfern - tut dabei aber so, als wäre es ein harmloses Eichhörnchen, das die schmutzigen Nüsse der anderen aufklaubt und putzt, damit der Zuschauer sie essen kann.

Natürlich gibt es während der Tour keinen einzigen Prominenten live zu sehen, der Bus fährt nur vorbei an den Orten vergangener Skandale. Es ist eine Selbstbeweihräucherung, eine Aneinanderreihung der größten Hits, ein Best-of-TMZ.

Die Mitfahrer sind beim Aussteigen dennoch nicht enttäuscht, sie konnten sich offenbar ergötzen an einer Kreuzung, wo vor 20 Jahren ein Schauspieler mit einer Prostituierten erwischt wurde. Sie stecken Santiago Trinkgeld zu, dann gehen sie nach vorne zum Walk of Fame. Zu Spiderman mit Bierbauch, zum Mini-Michael-Jackson und zu den dreckigen Sternen der Stars auf dem Boden. Den von Muhammad Ali an der Wand lassen sie in Ruhe.

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