Unverheiratete mit Kinderwunsch:Kein Trauschein, kein Zuschuss von der Kasse

Paar liegt im Bett

Sie sind nicht verheiratet? Dann bekommt dieses Paar von ihrer Krankversicherung keine Unterstützung bei seinem Kinderwunsch.

(Foto: doris oberfrank-list - Fotolia)
  • Darf eine Versicherung auch bei nicht verheirateten Paaren künstliche Befruchtung bezuschussen?
  • Eine Krankenkasse wurde in diesem Bestreben vom Bundesversicherungsamt gestoppt.
  • Das Bundessozialgericht in Kassel entscheidet heute grundlegend in dem Fall.

Der Fall vor dem Bundessozialgericht

Regenbogenfamilie, Patchwork, Alleinerziehende, Samenspende, Adoption, Social Freezing: Was eine Familie ist und wie sie es wird, hängt immer weniger von Faktoren ab, die lange Zeit als unverrückbar galten. Einerseits weichen gesellschaftliche Normen auf, verlieren religiös begründete Dogmen an Macht. Andererseits verschwimmen biologische Grenzen. Die Reproduktionsmedizin erfüllt immer mehr Frauen immer länger ihren Kinderwunsch. Der moderne Familienbegriff ist von Vielseitigkeit und individueller Freiheit geprägt. In vielen Amtsstuben ist das jedoch noch nicht angekommen.

Eine Frau lernt einen Mann kennen, sie wünschen sich Kinder. Als es nicht klappt, nehmen sie medizinische Hilfe in Anspruch. Die Krankenkasse der Frau - die BKK VBU - will die üblichen Zuschüsse übernehmen, doch die Versicherte ist nicht verheiratet. Die BKK will ihre Satzung entsprechend ändern und auch ledigen Frauen Zugang zu der Leistung gewähren, doch sie scheitert am Bundesversicherungsamt. Die Versicherung zieht vor Gericht - bis nach Kassel. Dort wird in höchster Instanz das Bundessozialgericht an diesem Dienstag über die Regelung entscheiden.

Teure Reproduktionsmedizin

Viele Paare, die auf natürlichem Weg keine Kinder bekommen können, setzen ihre Hoffnungen auf die Methoden der Reproduktionsmedizin, die teuer und häufig langwierig sind. Nach Zahlen des Deutschen IVF-Registers (DIR) haben sich 2012 bundesweit etwa 50 000 Frauen einer Kinderwunschbehandlung unterzogen. Dabei ging es entweder um die In-vitro-Fertilisation (IVF) oder die Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI). Die Kosten liegen je nach Behandlungsform bei bis zu 4500 Euro. Die Kassen zahlen Zuschüsse entsprechend der gesetzlichen Regelungen für künstliche Befruchtungen für drei Versuche - aber nur an Verheiratete, und nur dann, wenn die Frau noch nicht 40 und der Mann noch nicht 50 Jahre alt ist. In vielen Fällen wird die Frage nach dem Kinderwunsch auch eine finanzielle. Denn nur ein Teil - in der Regel die Hälfte - wird von den Kassen bezahlt.

"Ein Trauschein soll nicht Bedingung dafür sein, eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen", erläutert Helge Neuwerk, Stellvertreter des Vorstands der BKK VBU den Gang vor das höchste Sozialgericht. Unverheiratete zahlten ebenso wie Ehepaare Beiträge - warum sollten sie dann nicht auch gleich behandelt werden? Auch die Versicherte, die den Rechtsstreit auslöste und anonym bleiben möchte, sagt: "Ich finde, alle sollten gleich behandelt werden." "Wir sind der Auffassung, dass die aktuelle Regelung realitätsfern ist und nicht den Lebenswirklichkeiten entspricht", sagt Neuwerk.

"Ungerecht und nicht mehr zeitgemäß"

Tatsächlich wächst der Anteil unverheirateter Eltern. Zwar dominiert noch immer die Ehe das Familienleben in Deutschland. In 70 Prozent der insgesamt knapp 8,1 Millionen Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind sind die Eltern laut Zahlen des Statistischen Bundesamts verheiratet. Aber 1996 waren es noch deutlich mehr, nämlich 81 Prozent. Kinder leben häufiger in anderen Familienmodellen als früher, die Zahl der Alleinerziehenden ist seit 1996 um sechs Prozentpunkte auf 20 Prozent angewachsen, die der Lebensgemeinschaften hat sich auf zehn Prozent verdoppelt.

Doch obgleich längst gesellschaftliche Realität, werden Eltern ohne Heiratsurkunde rechtlich vielfach benachteiligt - ein Beispiel ist die Nichtübernahme der Kosten für Kinderwunschbehandlungen. Die Betroffenen empfänden das als "ungerecht und nicht mehr zeitgemäß", berichtet Petra Thorn, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Kinderwunschberatung. "Sie fühlen sich als doppelt bestraft."

Die inzwischen 41-jährige Frau, anhand deren Falles das Bundessozialgericht heute grundlegend entscheidend soll, hat ihren Partner schließlich geheiratet. "Wir haben das zu diesem Zeitpunkt getan, um auf unkompliziertem Weg die Zuschüsse für die Behandlungen zu bekommen."

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