Informeller Dresscode im Job:"Ist nur ... gewöhnungsbedürftig"

Kolumne #endlichfreitag

Im Job gilt: Ich trage, also bin ich. Außer natürlich in Banken und Versicherungen.

(Foto: SZ.de/Katharina Bitzl)

Nein, der Büroflur ist kein Laufsteg. Die Kollegen sind trotzdem gnadenlose Modekritiker. Selbst der Gothic-Anhänger aus der IT zieht seine sorgfältig mit Kajal neu gezeichnete Augenbraue hoch.

Von Johanna Bruckner

Job-Kolumne #endlichfreitag

Endlich Freitag. Hochgefühl! Ein letzter Gedanke an die verpatzte Präsentation am Montag, ein Erschauern im Rückblick auf das Get-together am Mittwochabend, schnell noch ein Papierkügelchen in Richtung des Kollegen im Polohemd geschnippt: Was Arbeitnehmer im Büro erleben und warum es immer wieder schön ist, wenn die Arbeitswoche rum ist - darum geht es in der Kolumne #endlichfreitag.

"Warst du beim Frisör?", bekommt der Kollege zu hören, der bis gestern noch Althippie-Pferdeschwanz trug und jetzt mit raspelkurzer Matte am Konferenztisch sitzt. Und die Kollegin im feuerroten Kuschelpulli wird gefragt: "Ist der neu?" "Als könne man diesen Cashmere-Unfall ernsthaft vergessen", denken sich die Umstehenden. Natürlich wissen auch die Kommentierenden ganz genau, dass die Kollegin ein neues Kleidungsstück trägt und der Kollege beim Haareschneiden war - was also sollen die Fragen?

Die Antwort lautet: Zeit kaufen. Das Unübersehbare gefällt nicht, kann aber nicht unkommentiert gelassen werden. Offensichtliches zu ignorieren, funktioniert vielleicht in der Ehe, nicht aber im Büro, Stichwort Smalltalk-Gebot. Um also noch ein paar wertvolle Sekunden zum Zurechtlegen eines schwammig-wohlwollenden Kommentars zu haben, wird eine eigentlich rhetorische Frage eingeschoben. Anschließend folgt dann bei Frisur wie Klamotte dasselbe Urteil: "Mutig, gefällt mir!" Wobei sich der hintere Satzteil ausschließlich auf das voranstehende Adjektiv bezieht. Mutig will schließlich jeder sein, die perfekte Antwort also.

Das stimmt allerdings nur in einem einzigen Fall: Wenn die betreffende Person ein ausnehmend guter Lügner ist. Jeder, der selbst schon einmal Empfänger eines (offensichtlich) falschen Kompliments war, weiß, dass es im Job nicht nur wichtig ist, den Kleidungsregeln des Arbeitsgebers gerecht zu werden. Fast schlimmer können nämlich die sozialen Konsequenzen sein, wenn man den ungeschriebenen Dresscode unter Kollegen verletzt. Angefangen von einer schlecht verborgenen Mimik des Missfallens ("Gefällt's dir nicht?" - "Doooooch, ehrlich. Ist nur ... gewöhnungsbedürftig. Aber auf 'ne gute Art!") über vermeintlich witzige Bemerkungen im Aufzug ("Waren Sie bei der Musterung?") bis hin zur öffentlichen Verspottung im Meeting.

Chef: "Was beschäftigt uns heute? Also außer der Frisur des Kollegen." Allgemeines Gekicher. "Sie sehen aus wie dieser Prominente ... Ich komm' gleich drauf ... Ah, jetzt hab' ich's: Mecki, der Igel!" Spätestens an diesem Punkt greifen die typischen Gruppendynamiken: Das Alphatier hat einen Witz gemacht, das Rudel brüllt. Der Bloßgestellte zieht die Stacheln, pardon, den Kopf ein.

Je weniger Vorgaben der Arbeitgeber in Bezug auf die Kleidung seiner Angestellten macht, desto weniger Möglichkeiten modischer Fehltritte gibt es, sollte man meinen. Das Gegenteil ist der Fall. Während es in einer Bank im Zweifelsfall nicht einmal auffällt, wenn zwei Angestellte im gleichen Business-Zweiteiler auflaufen, gibt es für Büro-Fashionistas kaum Schlimmeres, als auf dem Gang der eigenen Schluppenbluse zu begegnen - am Oberkörper der Kollegin.

Individuell-cool oder einfach nur hässlich?

Gerade in Kreativbranchen drücken Mitarbeiter ihre Persönlichkeit durch ihr äußeres Erscheinungsbild aus. Und sie haben in Bezug auf andere sehr genaue Vorstellungen davon, was individuell-cool und was "oh Gott, einfach nur hässlich" ist. Der Soziologe Georg Simmel befand Ende des 19. Jahrhunderts, die übertriebene Liebe zur Mode sei eine schlechte Kompensation für mangelnde Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Das gilt in Zeiten von Großraumbüros und ständiger Erreichbarkeit mehr denn je - und für beide Geschlechter.

Da läuft die Kollegin schon mal mittwochs im Samstagabend-Party-Outfit auf. Und während manche noch überlegt, wo zum Teufel es Lederimitat-Minis in Gold zu kaufen gibt, biegt der Kollege in einem Ensemble um die Ecke, das irgendwo zwischen Hipster und englischem Landadel liegt. Zu Knickerbockern trägt er Hosenträger mit Comic-Aufdruck und giftgrüne Socken. Da zieht nicht nur der Gothic-Anhänger aus der IT seine rasierte und dann sorgfältig mit Kajal neu gezeichnete Augenbraue hoch.

Wer das alles "total oberflächlich" findet, rollt die Augen an der Realität vorbei. Das zeigt nicht zuletzt das Thema Textilgrenzen im Job. Während hierzulande über Dekolletétiefen und Rocklängen gestritten wird, gibt es für Amerikaner beim "toe cleavage" keine Diskussion, weiß die Modetheoretikerin Barbara Vinken. In US-Büros, schreibt sie in ihrem Buch "Angezogen", sei es verboten, Zehdekolleté zu zeigen. Gemeint sind damit die Spalten zwischen den Zehen in weit ausgeschnitten Schuhen.

An dieser Stelle sei ein Augenrollen erlaubt.

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