"Das Ende der Geduld" in der ARD:Verloren in Neukölln

Das Ende der Geduld

"Alles, was gesellschaftlich oder politisch relevant ist, interessiert mich zurzeit einfach": Martina Gedeck als Jugendrichterin Corinna Kleist.

(Foto: BR/CWP-Film/Vaccaro)

Jugendrichterin Kirsten Heisig provozierte mit klaren Worten zur Einwanderungsdebatte. 2010 nahm sie sich das Leben. Die ARD hat ihre tragische Geschichte nun mit Martina Gedeck verfilmt.

Von Constanze von Bullion

Es dauert nicht lange, dann taucht da Neukölln auf, wie man es sich halt so vorstellt, mit einer rasenden Amokfahrt in einem übertunten Sportwagen. Drinnen sitzen Rabauken libanesischer Herkunft, Typen von der Sorte Mir-kann-keiner.

Sie jagen den Wagen über den Schulhof, fahren den Hausmeister fast über den Haufen, der Polizei davon und in eine Wand. Am Ende ist einer tot, ein anderer taucht ab. Willkommen in Das Ende der Geduld, schon der Titel dürfte vielen aus der Seele sprechen. Aber dazu später.

Brandenburger Hof im Berliner Bürgerbezirk Wilmersdorf, es ist hier nicht weit zum KuDamm, aber sehr weit nach Neukölln, vor allem im Kopf. Im Lichthof des Hotels sitzt Martina Gedeck beim Mittagessen mit dem Regisseur Christian Wagner.

Er hat für die ARD-Themenwoche "Toleranz" das Leben der Jugendrichterin Kirsten Heisig verfilmt. Sie hat sich einen Namen gemacht, weil sie im Einwandererbezirk Neukölln verhindern wollte, dass Jugendliche abrutschen in die Kriminalität. Der Staat müsse auf Straftaten sofort reagieren, wenn er ernst genommen werden wolle, fand die Richterin.

Kirsten Heisig gilt als die Erfinderin des "Neuköllner Modells", das im Kern dafür sorgt, dass Strafakten von der Polizei zügig auf dem Richtertisch landen, statt Monate im Rollwagen der Bürokratie zu verstauben.

Ihr Tod hat nicht nur Berlin erschüttert

Heisig wollte mehr Tempo, auch klarere Worte, für die einen war sie eine Tabubrecherin, andere ärgerten sich, wenn sie in Talkshows Sätze wie diese zum Besten gab: "Die Gewalt im Migrantenmilieu müssen wir ideologiefrei angehen, sonst schaffen wir das nicht. In zehn Jahren ist die ganze Stadt kaputt." Oder: "Die haben da ein paralleles Gesellschaftssystem. Dazu gehört ein paralleles Rechtssystem."

Die und wir - das zieht sich wie eine Wand durch Das Ende der Geduld so wie durch das Lebenswerk der Kirsten Heisig. Sie schrieb ein Buch mit gleichem Titel, bevor sie 2010 im Gericht aufstand, in den Wald fuhr und sich das Leben nahm. Es dauerte Tage, bis man sie fand, und ihr Tod hat nicht nur Berlin erschüttert. Weil da eine ging, die alle für stark hielten.

Die Richterin scheint der Schauspielerin aus der Seele gesprochen zu haben

Martina Gedeck trägt zum Rollkragenpullover Sommersprossen und gute Laune, die Haare hat sie nachlässig hochgesteckt. Gedeck gilt ja als Primadonna der deutschen Schauspielstars, aber sie wird in der nächsten Stunde ganz offen und ohne angezogene Handbremse über die Figur Kirsten Heisig reden.

Eine wie die Gedeck kann sich die Drehbücher aussuchen, und wenn sie gefragt wird, warum sie dieses gewählt hat, sagt sie: "Alles, was gesellschaftlich oder politisch relevant ist, interessiert mich zurzeit einfach, und das ist ein wunderbarer Stoff über ein Thema, das uns alle immer wieder beschäftigt."

In Wirklichkeit sagt sie das natürlich etwas anders. Martina Gedeck spricht bedächtig, in Ellipsen und mit dieser Stimme, die zwischen den Worten immer Raum für Unsagbares lässt. Manchmal wirkt sie etwas ungelenk auf politischem Feld, aber das stört nicht. Hinterher wird sie aus ihren Zitaten so ziemlich alles tilgen, was mit Einwanderung zu tun hat.

Dabei wird schnell deutlich, dass die Richterin Heisig der Schauspielerin Gedeck aus der Seele gesprochen zu haben scheint. Heisig hielt der deutschen Mehrheitsgesellschaft vor, über Probleme ethnischer Minderheiten zu schweigen. Dass die Deutschen gelernt hätten, nichts gegen Ausländer zu sagen, sei eine kulturelle Leistung angesichts ihrer Geschichte, findet Martina Gedeck.

Der Versuch eines Deals endet in der Katastrophe

Die Parallelgesellschaft aber sei gewachsen, auch Islamisierung, das mache der Film deutlich: "Ich fand es spannend, dass es da ein Gegenüber gibt von einerseits Gewalt und Barbarei - und auf der anderen Seite die Zivilisation, die kulturelle Leistung unserer Gesellschaft."

Nazir heißt im Film der Haupt-Barbar, er ist 21, stammt aus einem libanesischen Clan in Neukölln, fährt Leute tot, setzt Zeugen unter Druck, vergewaltigt und reißt so seinen kleinen Bruder Rafiq ins Unglück.

Ihn wenigstens, den Jüngsten, will die Richterin retten, die im Film Corinna Kleist heißt. Aber der Versuch eines Deals endet in der Katastrophe. Bleiben die Welten also unversöhnlich, ist das die Botschaft? Nein, sagt Martina Gedeck, "aber ich glaube, dass es ein längerer Prozess ist und nicht ohne Konflikte abgeht."

Der Kiez bringt auch weniger holzschnittartige Figuren hervor

Nun ist es nicht so, dass die Schauspielerin die Dinge nur aus der Zeitung kennt. Gedeck hat sich in Jugendstrafverfahren am Berliner Landgericht gesetzt. Drehbuchautor Stefan Dähnert fuhr mit Polizisten Streife in Neukölln. Herausgekommen sind Filmdialoge wie der eines Polizeibeamten, der sagt: "Die schieben 'ne Bugwelle von Gewalt vor sich her.

Dealen, klauen, prügeln: Hier ist jeder irgendwie kriminell." Die echten Polizisten seien noch deutlicher geworden, sagt Regisseur Christian Wagner, wenn man ihn fragt, ob etwas Differenzierung nicht gutgetan hätte.

Klar, räumt der Münchner Filmemacher ein, Neukölln sei anders: "Man erwartet die Bronx. Aber wenn man da zum ersten Mal rumfährt, ist es fast idyllisch." Vielleicht hätte Wagner hören sollen auf solche Überraschungen, das hätte Raum geschaffen für weniger holzschnittartige Figuren, die der Kiez auch hervorbringt: den Schauspieler Hassan Issa etwa, der den Missetäter Nazir spielt, die Rolle des bösen Buben im echten Leben aber satt hat.

Der Mann, der Nazirs Vater spielt, ist ein intellektueller Blogger aus dem Libanon, erzählt Wagner. Warum verzichtet der Film auf solche Figuren, also Leute, die schwarzes Haar haben und trotzdem Grips? Aus "erzählökonomischen Gründen", sagt der Regisseur.

Zurück zu Martina Gedeck, die jetzt über die Richterin Kirsten Heisig spricht, über ihren Suizid und dass da "nie ein Ausatmen" war. "Es gibt keine wirkliche Nähe. Es gibt im Inneren eine Distanz zu allem. Und nach außen hin zu wenig Distanz, eine Übergriffigkeit", so hat sie das empfunden. Dass Heisig Depressionen hatte, in Trennung lebte, die Töchter eher selten sah, erfuhren viele nach ihrem Tod.

"Das Innenleben ist wie eingepanzert"

Im Film aber taucht die private Kirsten Heisig nicht auf, es geht da um ihr Lebenswerk. "Mir hat gefallen, dass sie gegen bestehende Zustände anrennt, ohne Rücksicht auf sich selbst", sagt Martina Gedeck. Extrovertierte Menschen, die sich "in einer Distanz von sich selbst gut bewegen" könnten, seien manchmal eben sehr geschickt darin, das Innerste zu verbergen. "Das Innenleben ist wie eingepanzert." Das klingt, als wisse Martina Gedeck sehr genau, wovon die Rede ist.

Das Ende der Geduld, ARD, 20.15 Uhr.

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