Ausstellung "West:Berlin":Freiheit in geschlossener Gesellschaft

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Geeignet für die Insel: das schwimmfähige Cabrio "Amphicar" aus den Sechziger Jahren in der Ausstellung "West:Berlin". (Foto: dpa)

Das Berliner Stadtmuseum erinnert an das alte West-Berlin und seine "besondere politische Einheit". Die Besucher der Ausstellung begegnen Harald Juhnke, Rolf Eden und einem Promi-Flusspferd. Doch die große West-Berlin-Erzählung sucht man vergeblich.

Von Jens Bisky, Berlin

Es liegt eine Insel im roten Meer" - die Zeile mag martialisch klingen, das Bild von der "roten Flut" scheint nicht allzu weit entfernt. Doch als das Insulaner-Lied 1948 während der Blockade zum ersten Mal gesungen wurde, war die Bedrohung aus dem Osten unmittelbare Erfahrung für die gut zwei Millionen Bewohner West-Berlins. Und so würde es über die Jahrzehnte des Kalten Krieges, über das Jahr des Mauerbaus und das Vier-Mächte-Abkommen hinweg bleiben.

Gewiss, man gewöhnte sich an die Insellage, bemalte die Mauer, versuchte sich an ihrer "behutsamen Verstädterung", auch diese absurde Situation wurde alltäglich. Oft aber reichte eine Transitreise, um den Horror wieder ins Bewusstsein zu rufen. Dass West-Berlin dennoch stets mehr bot als Frontstadt-Bewusstsein, war alles andere als selbstverständlich.

Unter dem Titel "West:Berlin" versammelt eine Ausstellung des Berliner Stadtmuseums nun Hunderte Objekte der Alltags- und Kulturgeschichte, um an jene halbe Stadt zu erinnern, die "besondere politische Einheit".

Vieles davon wirkt auch auf den zweiten Blick kurios, etwa das Amphicar, das im Jahr des Mauerbaus in Berlin-Wittenau hergestellt wurde. Mit ihm konnte man nicht nur auf der Avus fahren, sondern auch auf dem Wannsee schippern - ein optimales Fortbewegungsmittel für eine Insel.

Ausstellung "West:Berlin"
:Bilder

Ausstellung "West:Berlin" im Ephraim-Palais

Bestaunen lässt sich ein Büstenhalter aus Notproduktion, vorrätig gehalten für den Fall einer neuen Blockade. Flusspferd Knautschke grüßt die Besucher als Symbol des Überlebenswillens, Tourismuswerbung sieht man, eine Lautsprecheranlage für das "Studio am Stacheldraht", viele Fotos, ein wenig Kunst.

Veränderungen der Atmosphäre werden nicht recht deutlich

Mit den Niederungen der Lokalpolitik, die im Ganzen wohl nicht schlechter war als in Köln oder Frankfurt, halten sich die Kuratoren Julia Novak und Thomas Beutelschmidt kaum auf. Auch haben sie sich gegen eine chronologische Anordnung, für Themenräume entschieden. Daher werden Veränderungen der Atmosphäre nicht recht deutlich.

Die große West-Berlin-Erzählung sucht man hier vergeblich. Umso mehr fällt das wiederkehrende Motiv der Freiheit auf. In der Stadt sendete der RIAS; die "freie Stimme der freien Welt" ließ jeden Sonntag die Freiheitsglocke des Schöneberger Rathauses ertönen, es folgte das Freiheitsgelöbnis.

Es gab die Freie Universität, den Sender Freies Berlin, und Kennedy war bekanntlich ein Berliner "as a free man". Freiheit in West-Berlin, das hieß auch, nicht zur Bundeswehr zu müssen, das hieß, ohne Sperrstunde die Nächte durchfeiern zu können, das hieß, Freiraum zu finden für alternative Projekte, Lebensstilexperimente im Schatten der Mauer.

Die Existenz der Halbstadt kostete. Laut Bundesfinanzministerium betrugen, wie man im informativen Beiheft zur Ausstellung nachlesen kann, die Belastungen des Bundeshaushalts für West-Berlin von 1951 bis 1989 243 297 Millionen DM. Ein Plakat des Senats warb 1972 um Arbeitskräfte nicht nur mit "Weltstadtatmosphäre", sondern auch mit steuerfreier Arbeitnehmerzulage (acht Prozent vom Brutto), zusätzlichen Kinderzuschlägen, kostenloser Anreise, Überbrückungsgeld, kostenlosen Heimfahrten, kostenlosem Umzug, zinslosen Darlehen bei Eheschließung und zinsverbilligten Einrichtungsdarlehen.

Wer das heutige Berlin verstehen will, muss im Hinterkopf behalten, dass die West-Berliner derlei Vergünstigungen nach der Vereinigung rasch verloren, einen persönlich spürbaren Preis für diese zahlten.

Falsche Weichen noch in den Neunzigern

Die wirklichen Profiteure waren große Firmen und der Berliner Filz, jenes undurchdringliche Hinterzimmermilieu aus Wirtschaft, Verwaltung und Politik, das regelmäßig für Skandale sorgte. "Berlin ist eine Pleite wert", titelte der Stern.

Zu den Exponaten, die im Gedächtnis bleiben, gehört ein Wahlplakat der Alternativen Liste aus dem Jahr 1989, das CDU-Granden und -Zwergen Bestechlichkeit vorwirft. Man steht davor und sieht auch einige der Gesichter, die in den Neunzigern die Weichen falsch stellten - bis zum Bankenskandal.

Die Themenräume haben einen Vorteil: sie verhindern die Illusion eines gemeinsamen Lebensgefühls. Auch West-Berlin war polyzentrisch, jeder Kiez ein eigenes Reich, jedes Milieu auf die Kultivierung kleiner Unterschiede erpicht. Der großartige Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott hat einmal versucht, den "Zustand" West-Berlin zu charakterisieren: "Traumpotential in besonderer Verdichtung, Turbulenz auf einer Nadelspitze und erhöhte Temperatur als Dauerzustand.

Geschlossene Gesellschaften neigen zur Exaltation nach innen: Forcierung der Temperamente, Pflege von Besonderheiten aller Art, Dramatisierung von Konflikten." Die Verbürgerlichung dieser Exaltation ist eine bis heute immer noch ungelöste Aufgabe für alle Berliner.

Stadtprominenz, etwa Harald Juhnke, Romy Haag, Rolf Eden, begegnet man auf dem Rundgang durch das Ephraim-Palais ebenso wie rebellischen Studenten, Terroristen, Hausbesetzern, Migranten, Künstlern, einer Panda-Bärin und Theaterstars.

Der Ausstellungsort hat seine eigene, Gesamtberliner Geschichte. Die Fassadenteile lagerten gut vierzig Jahre im Bezirk Wedding, es gab Pläne, das Haus in Kreuzberg wiederzuerrichten, bis dann vor der 750-Jahr-Feier (1987) die Spolien im Zuge eines Kulturgüteraustauschs nach Ost-Berlin gegeben wurden, wo man gerade das Nikolaiviertel erbaute, an dessen Rand nun das Palais steht.

Zu frühes Ende für die letzte musikalische Pointe

Im obersten Stockwerk ist ein Aufenthaltsraum des legendären, 2013 geschlossenen Hotels Bogotá, Schlüterstraße, Charlottenburg, nachgebaut worden. Hier lockt eine Hörlounge: Conny Froboess und Chris Howland, Edith Piaf und Hildegard Knef, David Bowie und Nina Hagen, Die Tödliche Doris und Ideal. Der Soundtrack gehörte immer noch zum Besten dieser Stadt.

Leider endet die Ausstellung zu früh für die letzte musikalische Pointe: 1989 fand die erste Love-Parade statt, bald zeigte sich, wie gut das Lebensgefühl der Raver und die in friedlicher Menge errungene Freiheit der Ost-Berliner zueinander passten.

"West: Berlin. Eine Insel auf der Suche nach Festland." Bis zum 28. Juni 2015, Stadtmuseum Berlin, Ephraim-Palais. www.west.berlin

© SZ vom 19.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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