Zustand der russischen Armee:Altes Eisen und Atombomben

Gedenken an Kriegsende vor 65 Jahren - Militärparade in Moskau

Russland zeigt, was es hat: Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau.

(Foto: dpa)

Rostende Schiffe, gesunkene U-Boote und marode Flugzeuge - das fiel den meisten noch vor einem Jahr zur russischen Armee ein. Seit der Besetzung der Krim traut man Moskaus Militär nun fast alles zu.

Von Julian Hans, Moskau

Was internationale Militärbeobachter im September 2013 auf dem Übungsplatz Chmeljowka im Gebiet Kaliningrad zu sehen bekamen, beeindruckte sie; gefallen hat es nicht allen. Bei der Abschlussübung zum Manöver "Sapad" (Westen) probten Einheiten der russischen und der weißrussischen Armee die Einnahme eines Küstenortes von See und aus der Luft. Maskierte Spezialkräfte bekämpften 1000 "Terroristen", die sich an der Küste festgesetzt hatten, so das offizielle Szenario. Die Vorstellung, dergleichen könnte sich einige Kilometer weiter östlich abspielen, gibt einigen westlichen Analysten heute indes ein ungutes Gefühl. Dort liegen die Küstenorte der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland - Mitglieder der Nato, aber auf einen Angriff aus Russland kaum vorbereitet.

Bislang hatte man in der Nato-Zentrale in Brüssel auch keinen Anlass dazu gesehen. Die Politik des Bündnisses war darauf ausgerichtet, mit Russland zusammenzuarbeiten, auch wenn das schwierig war. Moskau ist mit seiner Rolle als Partner im Nato-Russland-Rat nicht zufrieden und wollte stets als Gleichberechtigter akzeptiert werden. Aus dem gleichen Grund lehnte die russische Führung eine Teilnahme an Übungen im Nato-Programm Partnerschaft für den Frieden ab. Trotzdem übten Franzosen und Russen einmal im Jahr gemeinsam die Luftverteidigung. Und Russen und Amerikaner führten zusammen Luftlandemanöver durch - mal in den USA, mal in Russland.

Die Annexion der Krim durch Moskau und das Vorgehen von Russland unterstützter Kämpfer im Südosten der Ukraine hat die Partnerschaft über den Haufen geworfen. Auf ihrem Gipfeltreffen in Wales beschlossen die Mitglieder im September, zusätzlich etwa 4000 Mann zum Schutz der Mitgliedstaaten in Osteuropa zu stationieren. Dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko aber wurde zu verstehen gegeben, dass er nicht auf Hilfe hoffen kann.

Für den Konflikt um die Ukraine gibt es keine militärische Lösung - darüber herrscht Einigkeit. Bei den Spekulationen darüber, wie weit Wladimir Putin in dem Konflikt noch gehen will, wird damit allerdings auch ein Aspekt oft vergessen: Wie weit kann er überhaupt gehen?

Das Bild, das sich die Öffentlichkeit im Westen von den russischen Streitkräften macht, ist mit der schnellen Besetzung der Krim umgeschlagen. Noch vor einem Jahr fielen den meisten zur russischen Armee rostende Schiffe, das gesunkene U-Boot Kursk und Flugzeuge ein, die am Boden bleiben müssen, weil es nicht genug Treibstoff und Ersatzteile gab. Nun traut man der Armee fast alles zu.

Im Ernstfall ein leichtes Opfer der amerikanischen Flugabwehr

Dabei sind sich Militärexperten einig: Selbst eine Besetzung des Gebiets, das die Separatisten "Neurussland" nennen - vom Osten der Ukraine entlang der Küste des Asowschen und des Schwarzen Meeres bis an die Grenzen der Republik Moldau - würde die russische Armee auf Dauer überfordern. Die Schiffe, die Putin zum G-20-Gipfel vor Australien kreuzen ließ, gehören eher zum alten Eisen; die Bomber, die Verteidigungsminister Sergej Schojgu künftig im Golf von Mexiko und in der Karibik fliegen lassen will, wären im Ernstfall ein leichtes Opfer der amerikanischen Flugabwehr, wenn sie nicht von Kampffliegern begleitet würden. Dafür aber fehlen geeignete Basen in der Region.

Der Moskauer Verteidigungs-Experte Alexander Golz schätzt, dass etwa 80 Prozent der Technik in der russischen Armee 30 bis 40 Jahre alt sind. Dass die Ausgaben für Rüstung unter Putin stark gestiegen sind, habe daher durchaus seine Berechtigung. Schließlich habe Russland nach dem Niedergang in den Neunzigerjahren großen Aufholbedarf. "Die Frage ist allerdings, wofür das viele Geld ausgegeben wird." Korruption ist auch in der russischen Verteidigung ein großes Problem.

"Die hybride Kriegsführung gegen die Ukraine ist auch ein Zeichen für die Schwäche der russischen Streitkräfte", sagt Joachim Krause, der Leiter des Instituts für Sicherheitspolitik in Kiel. Als Reaktion auf die Erfahrungen in zwei Tschetschenien-Kriegen hat Russland von 2008 an seine Armee reformiert. An die Stelle großer Divisionen von 10 000 Mann, die während des Kalten Krieges für eine Konfrontation mit dem gegnerischen Block ausgelegt waren, sind kleinere Brigaden mit 3000 Soldaten getreten - mobil und flexibel einsetzbar, etwa im Kampf gegen Terroristen.

Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus war bislang eines der Themen, das Russland und die Nato als gemeinsames Ziel ansahen. Die Bestellung der Mistral-Hubschrauberträger in Frankreich passte in dieses Konzept. Sie sind nicht für eine groß angelegte Invasion ausgelegt, sondern für punktgenaue Operationen. Das kann die Bekämpfung von Terroristen sein. Aber eben auch die Verbreitung von Terror. Daher liegt die Auslieferung weiter auf Eis.

Weit hinter der Nato und den USA

Im internationalen Vergleich lägen die russischen Streitkräfte weit hinter der Nato und selbst hinter den USA zurück, sagt Krause. Betrachte man allerdings Osteuropa als möglichen Schauplatz eines Krieges, sehe es anders aus. In der KSE-Akte von 1990 hatten sich beide Seiten dazu verpflichtet, ihre Streitkräfte so aufzustellen, dass sie nicht zu einer Invasion fähig sind. Formell halte sich Russland auch daran, sagt Krause. Die erlaubte Truppenstärke wird nicht überstiegen. "Durch die neue Art der verdeckten Kriegsführung wird nun aber doch ein Nachbarland angegriffen". Die kleinen Spezialeinheiten machen es möglich.

Die Angst in der Nato ist daher eine andere: Russland könnte mit hybrider Kriegsführung zum Beispiel in den baltischen Staaten, wo viele ethnische Russen leben, Fakten schaffen - und wenn die Nato dem entgegentritt mit einem Nuklearschlag drohen. Die nuklearen Streitkräfte sind das einzige Gebiet, auf dem Russland mit den USA gleichzieht. Das Ziel, das Wladimir Putin zuletzt immer wieder formuliert hat, mit Washington auf Augenhöhe zu sein - hier ist es erfüllt.

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