"Die Tribute von Panem - Mockingjay" im Kino:Verfehltes Idyll vorm Galgenbaum

Die Tribute von Panem - Mockingjay Teil 1; Mockingjay

Von der wilden, gehetzten Action aus den ersten beiden Filmen der "Tribute von Panem" ist wenig geblieben in "Mockingjay" Teil 1. Stattdessen gibt es einen Wettstreit der politischen Systeme.

(Foto: Studiocanal)

Mit dem dritten Teil wechselt die "Tribute von Panem"-Reihe stillschweigend das Genre. "Mockingjay - Part I" zieht in einen brutalen Krieg. Ein Film über Politik und das faschistische Potenzial von Überzeugungstätern.

Von Fritz Göttler

Das sitzen wir aus, sagt die Präsidentin vom Distrikt 13 in ihrer unterirdischen Kommandozentrale. Die feindlichen Bomber des Kapitols - der totalitären Staatsmacht von Panem - sind im Anflug. Aber die Leute vom Distrikt 13 sollen sich ihnen gegenüber bloß nicht outen und verzichten deshalb auf jegliche Abwehrmaßnahmen mit eigenen Raketen oder Fliegern. Die technologische Überlegenheit des Kapitols ist zu groß.

Der Distrikt 13 hat sich im Geheimen neben den offiziellen zwölf Distrikten etabliert und wartet auf die Chance, zum großen Endkampf gegen das Regime des Präsidenten Snow anzutreten. Die Gegenpräsidentin wird von Julianne Moore so gespielt, dass man gleich an eine potenzielle amerikanische Präsidentschaftskandidatin bei der nächsten Wahl denken muss. In ihrem Kommandostand hocken sie alle zusammen wie die US-Führung auf dem berühmten Foto aus dem Situation Room im Weißen Haus bei der Ermordung Osama Bin Ladens.

Von der wilden, gehetzten Action aus den ersten zwei Filmen der "Tribute von Panem", von der Media-Show-Hatz und dem Dschungel-Überlebenskampf - the most dangerous game! - ist wenig geblieben im dritten und letzten Teil, der, wie bereits bei Harry Potter und der "Twilight"-Clique, im Kino in zwei Portionen präsentiert wird. Die Fronten sind nun schärfer gezogen. Zwei Staaten stehen im mehr oder weniger offenen Kampf gegeneinander, der offizielle mit Präsident Snow (Donald Sutherland) an der Spitze und der heimliche, revolutionäre unter Präsidentin Alma Coin. Auch die Revolution nutzt natürlich alle Tricks der psychologischen Kriegsführung, also hätten die Präsidentin und ihr Berater Plutarch Heavensbee (Philip Seymour Hoffman) gern den Star der Hunger Games als Wappenvogel ihrer Bewegung. Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence), die sich bravourös mit ihrem Bogen durch zwei Runden hindurchgekämpft hatte, soll für sie den Mockingjay abgeben, ein Spotttölpel der Revolution.

"Und die Narben, die meinen Körper zeichnen, sind Silber und Gold..."

Katniss kam voll traumatisiert aus den ersten beiden Teilen, nachts wird sie von bösen Träumen geplagt. Wie alle Helden ist sie von der Petrifizierung durch den Ruhm bedroht. I'm a princess, singt Lorde im Titelsong des Films, "cut from marble, smoother than a storm. And the scars that mark my body, they're silver and gold." Was mag mit Peeta (Josh Hutcherson) passiert sein, grübelt Katniss, der mit ihr die Kämpfe durchstand und der in die Hände von Präsident Snow gefallen ist. Er wird von ihm umgedreht, macht im Staatsfernsehen Propaganda gegen Katniss, ein unangenehm dekadenter Softie im aristokratischen Outfit vergangener Jahrhunderte.

Man könnte detaillierte Fallstudien schreiben über Peeta und Katniss und ihre Beziehung, in der nun eine starke Mütterlichkeit dominiert. Dabei gäbe Katniss mit dem virilen Gale (Liam Hemsworth), dem anderen Jugendfreund, ein veritables klassisches Liebespaar ab. Aber wenn man die beiden zusammen sieht, bei einer Exkursion in die unberührte Natur, scheint sie merkwürdig abwesend zu sein. Es ist ein verfehltes Idyll, die Bilder davon wirken unangenehm fake. Katniss singt ein Lied, ein traditionelles, vom hanging tree.

"Wenn wir brennen, brennt ihr mit uns"

Jennifer Lawrence hat in den letzten Monaten bei David O. Russell angenehm kindische und überspannte Mädchen gespielt, in "Silver Linings Playbook" und "American Hustle", zusammen mit Bradley Cooper, und die Mittelstandsatmosphäre, in der sie sich da bewegte, klingt nun in der neuen Katniss nach. Ein Kind, das sich sperrt gegen die neue Coolness. "I never watch the stars, there's so much down here." Katniss ist Kämpferin, sie will sich nicht vereinnahmen lassen vom Repräsentations-, vom Propagandageschäft. Wie Fliegen schwirren die eifrigen Kids eines Aufnahmeteams um sie her, wo immer sie gehen mag, sie sollen Promo-Clips mit ihr schaffen, zur Ausstrahlung, um die Massen der verbliebenen Distrikte zum großen Freiheitskampf zu entflammen.

Aber Katniss braucht einen Anlass, einen Augenschein, um selbst in Erregung zu kommen. Catching fire! "Das Feuer breitet sich aus", droht sie dann dem Präsidenten Snow, "wenn wir brennen, dann brennt ihr mit uns . . ." Nur in Christopher Nolans "Interstellar" brennt es zur Zeit noch heftiger, dieses Feuer der Leidenschaft, mit der die Menschen noch einen letzten verzweifelten Versuch wagen, sich und ihre Welt zu retten.

Mit "Mockingjay" hat die Panem-Serie stillschweigend das Genre gewechselt, ist irgendwie erwachsen geworden. Dies ist ein Kriegsfilm, der nicht die Perspektive der Krieger einnimmt, in der Kanzel eines Kampfbombers, sondern ganz unten bleibt. Eine Kriegserfahrung, wie die Amerikaner sie im 20. Jahrhundert nicht machten, im Bunker, den feindlichen Bomben ausgesetzt. Immer wieder wandern die Kids durch Trümmerhalden, riesige Steinbrocken versperren ihnen die Sicht und den Weg.

Steif und statuarisch wie Abe Lincoln

Ein Film über die Machinationen von Politik und Herrschaft, auch die Widerstandsgruppe der Präsidentin Coin haust in einem unterirdischen Bau, einer ehemaligen Graphitmine, die in ihren düsteren Farben an die DDR erinnert, ihre Leute sind militärisch gedrillt, in Reih und Glied. Die Präsidentin hat mehr, als ihr lieb sein mag, mit ihrem Gegenspieler gemein, dem Präsidenten Snow, der in weißem langen Rock daherkommt, so dürr und steif und statuarisch wie der gute alte Abe Lincoln, der seinerzeit Tausende junger Unionssoldaten in den Bürgerkrieg schickte.

Auch Donald Sutherland, der mit wilden anarchischen Rollen - "M. A. S. H."! - anfing, beschwört die Einheit der Nation, die Ordnung, für die geopfert werden muss. Sein Regime erinnert an den Terror des Nationalsozialismus und des Stalinismus, aber auch des IS. Es ist die Position eines Perversen, hat Slavoj Žižek geschrieben, eine Haltung, "in der sich das Subjekt in die Position des Werkzeugs des Willens des großen Anderen begibt". Die gefangenen Rebellen müssen sich niederknien und werden mit Genickschuss erledigt.

Präsident Snow ist ein Profi, wenn wir bluten, das ist seine Parole, dann zeigen wir das den anderen nicht. Auch Präsidentin Coin ist ein Profi, auch im Überzeugungstäter steckt faschistisches Potenzial. "Mockingjay" macht das Kino nicht zur moralischen Anstalt, er bleibt angenehm distanziert und subversiv. Als einer der Politiker von Demokratie spricht, klingt's plötzlich schrill nach demockracy - eine Gesellschaft, die ihr Volk verspottet.

The Hunger Games. Mockingjay Teil 1, USA 2014 - Regie: Francis Lawrence. Buch: Peter Craig, Danny Strong. Nach dem Roman von Suzanne Collins. Kamera: Jo Willems. Musik: James Newton Howard. Schnitt: Alain Edward Bell, Mark Yoshikawa. Mit: Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth, Woody Harrelson, Elizabeth Banks, Julianne Moore, Donald Sutherland, Philip Seymour Hoffman, Jeffrey Wright, Stanley Tucci. Studiocanal, 125 Minuten.

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