Generationenvertrag:Die besten Jahre besser nutzen

Älteste aktive Turnerin der Welt wird 87 Jahre

Die Generationen werden neu aushandeln müssen, wie sie zusammen leben. (Foto: Die 2012 älteste Turnerin der Welt, die 86-jährige Johanna Quaas aus Halle/Saale mit ihrer Enkeltochter)

(Foto: dpa)

Wer etwa 1964 geboren wurde, für den wird sich das Leben im Alter grundsätzlich ändern. Dem Ruhestand wird einiges von seiner Ruhe genommen. Doch wenn jung gebliebene 70-Jährige länger arbeiten, könnten sie doch zuvor auch mal weniger arbeiten - und diese Zeit für anderes nutzen.

Kommentar von Jochen Arntz

Im Naturkundemuseum von San Francisco, der California Academy of Sciences, kann man eine Menge über den Planeten, die Schöpfung und das Universum erfahren. Man kann aber auch viel darüber lernen, wie die Menschen in den Vereinigten Staaten ihr Leben organisieren.

Im Untergeschoss des Museums zeigt ein Rentner, sein Name ist Steve, den Kindern, wie sie Seesterne streicheln können, und was sie dabei über die Natur erfahren. Steve kommt ein paar Mal die Woche ins Museum, er macht das freiwillig, weil er denkt, er könne so der Gesellschaft etwas zurückgeben.

Blick in die Zukunft unserer Gesellschaft

Ein paar Meilen weiter entfernt hilft eine Anwältin in Rente, das Wählerregister der Gemeinde zu organisieren. Warum sie das macht? Weil auch sie der Gesellschaft etwas zurückgeben will. Jetzt, wo sie endlich Zeit hat. Solange sie es noch kann.

Wer die ältere Frau sieht, wer den Mann im Museum sieht, wirft einen Blick in die Zukunft unserer Gesellschaft, im besten Fall. In den USA hat es Tradition, dass Rentner sich in Museen, Stiftungen und der Gemeinde engagieren. In Deutschland ist das nicht so. Was umso erstaunlicher ist, da Amerikaner viel weniger Hilfe vom Staat bekommen, also weniger Grund hätten, der Gesellschaft im Alter etwas zu geben.

In Deutschland wird dagegen mit Leidenschaft die Debatte darüber geführt, wie lange die Menschen arbeiten sollen, bis sie Anspruch auf die Rente haben, ob sie mit 65 oder 67 in den Ruhestand gehen dürfen.

Erst langsam beginnt die Generation derer, die bis 67 arbeiten muss, beginnen die Menschen, die 1964 und später geboren wurden, zu begreifen, dass das am Ende gar nicht mehr die Frage sein wird. Das Leben im Alter wird sich grundsätzlich ändern, daran ist nichts zu ändern. Denn nie kamen in Deutschland mehr Menschen zur Welt als Mitte der Sechzigerjahre. Diese vielen Menschen aber bekamen weitaus weniger Kinder als ihre Eltern, und ihre Lebenserwartung ist viel höher.

Das heißt, dass in der Mitte dieses Jahrhunderts mehr als ein Drittel der Deutschen älter als 65 Jahre sein wird. Und das heißt vor allem, dass der Generationenvertrag, wie er jetzt verfasst ist, nicht mehr funktionieren wird. Ökonomisch nicht und gesellschaftlich nicht.

Und dabei geht es nicht nur darum, dass immer weniger junge Menschen für immer mehr alte Menschen die Rente erwirtschaften müssen. Es geht auch darum, dass die Rentner von heute und morgen, Gott sei Dank, viel älter werden als ihre Vorfahren.

Zehn Jahre länger leben, zwei Jahre länger arbeiten

Umso erstaunlicher ist es daher, dass bei den Debatten über das Rentenalter zwei Statistiken selten in Verbindung gebracht werden: Seit Gründung der Bundesrepublik ist die Lebenserwartung der Deutschen um mehr als zehn Jahre gestiegen. Geht es aber um das Rentenalter, wird erbittert um zwei Jahre gestritten.

In Zukunft, wenn die Menschen noch älter werden, wird diese Diskrepanz noch deutlicher: In Zukunft werden deutsche Rentner, zumindest viele von ihnen, zwanzig Jahre lang ihren Ruhestand genießen können. Aber kann sich eine Gesellschaft leisten, dass ein großer Teil von ihr zwanzig Jahre privatisiert? Das kann sie nicht.

Auch im Alter Teil der Gesellschaft bleiben

Das klassische Modell des Ruhestands gab Menschen, die vom langen Arbeitsleben erschöpft waren, die Garantie auf einige ruhige Jahre am Lebensende. Aber schon heute erleben viele Rentner zwanzig gute Jahre nach der Arbeit, bei bestem Verstand, bester Gesundheit. Manche wollen auch nicht aufhören mit ihrem Beruf, mit ihrer Berufung. Oder mit ihren Interessen.

Da wäre man wieder bei Steve in San Francisco. Ohne solche Leute würde in den USA manches nicht funktionieren, blieben Museen geschlossen, gäbe es keinen Förderunterricht für Kinder. Und die Wahrheit ist: Ohne solche Leute wird auch das alternde Deutschland nicht mehr funktionieren. Auch deshalb, weil viele Rentner, wie in den USA, allein mit ihrer Rente nicht auskommen werden.

Den meisten Menschen, die heute um die 50 sind, ist das ohnehin klar. Viele können sich gar nicht vorstellen, das, was sie heute gerne machen, mit Mitte 60 einfach sein zu lassen. Und da sie wissen, dass ihre Lebenserwartung deutlich höher liegt als die ihrer Eltern, überlegen sie, welchen Vorteil sie und die Gesellschaft daraus ziehen könnten.

Wenn es ihnen möglich ist, auch noch als jung gebliebene Siebziger zu arbeiten, könnten sie dann nicht in der Zeit zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr weniger arbeiten - und mehr Zeit für die Familie haben? Wäre damit die hohe Lebenserwartung nicht besser genutzt, als in jungen Jahren viel zu viel zu arbeiten, um zwischen 65 und 85 fast zu viel Zeit zu haben?

Ist das nicht die wichtigere Debatte, als jene darüber, ob man mit 65 oder 67 in den Ruhestand geht? Zumindest ist sie lebensnäher.

Viele Amerikaner haben das längst begriffen, denn die Idee, in der Rush hour des Lebens ein Sabbatical für die Familie einzulegen und am Ende etwas länger zu arbeiten, ist in den USA weit verbreitet. Viele sehen darin Vorteile für sich.

Und selbst wenn Rentner wie Steve noch im Museum arbeiten, ohne einen direkten Vorteil davon zu haben, ist die Sache ja nie ganz uneigennützig. Indem Steve der Gesellschaft etwas gibt, bleibt er ein Teil der Gesellschaft. Das kennen ja auch viele: Schon heute leisten Großeltern wichtige Familienarbeit für die Kinder ihrer arbeitenden Kinder. Doch das ist in Deutschland Privatsache.

Neuer Generationenvertrag?

Die Generation der heute 50-Jährigen wird sich überlegen müssen, ob sie es dabei belassen will, oder ob sie nicht angesichts der Bevölkerungsentwicklung einen neuen Generationenvertrag für die Republik auflegen muss - einen Vertrag, der die Menschen, wenn sie weiter mit 65 oder 67 in Rente gehen wollen, anspornt, vielleicht sogar verpflichtet, dieser Gesellschaft noch etwas zu geben in den zehn, zwanzig Jahren nach dem Berufsleben.

Einen Vertrag, der die Leute auch im Alter länger arbeiten lässt, wenn sie wollen. Und ihnen stattdessen in jüngeren Jahren mehr Zeit für die Familie gibt. Ein Generationenvertrag, der dem Ruhestand einiges von seiner Ruhe nehmen wird.

Das ist die schwierige Nachricht für die Leute, die Mitte der Sechziger geboren wurden. Sie werden sich im Alter mehr einbringen müssen in diesem Land, mehr als ihre Eltern es heute tun. Die gute Nachricht ist: Sie werden noch gebraucht, sehr sogar.

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