Neues Sparprogramm bei VW:Erst die Peitsche, dann das Zuckerbrot

Martin Winterkorn

Muss den Konzern für Investitionen in die Zukunft neu ausrichten: VW-Chef Martin Winterkorn.

(Foto: Bloomberg)
  • VW will zehn Milliarden Euro Kosten pro Jahr einsparen.
  • Das Geld soll in strenge CO₂-Vorgaben, die Vernetzung der Autos mit dem Internet und die E-Mobilität investiert werden.
  • Das Sparprogramm dürfte viele tausend Leiharbeiter treffen.

Von Kristina Läsker, Hamburg

Es war nicht ganz trivial, was die 17 Männer und drei Frauen am Freitag verstehen sollten: Wie jedes Jahr im November hatte sich der Aufsichtsrat von Volkswagen getroffen, um die Investitionen der nächsten Jahre zu genehmigen. Doch dieses Mal ging es in Wolfsburg nicht nur um neue Fabriken oder Antriebe. Es ging auch ums Sparen. Im Sommer hatte VW-Chef Martin Winterkorn angekündigt, dass er bis 2017 fünf Milliarden pro Jahr bei der Marke VW sparen und Maßnahmen ergreifen werde, "die deutlich, wirksam und auch schmerzhaft sind".

Am Freitag wurde auch dem letzten Kontrolleur klar, dass sich dieser Schmerz verdoppeln soll - und dass die fünf Milliarden Euro nur die halbe Wahrheit sind.

Denn Europas größter Autobauer will nicht nur fünf, er will sogar zehn Milliarden Euro Kosten pro Jahr hereinholen. Die Hälfte dieser Summe soll die renditeschwache Marke VW (Modelle wie Golf, Polo und Jetta) hereinholen, den Rest sollen die übrigen elf Marken anteilig stemmen, vorrangig also Porsche und Audi. Es ist ein Kraftakt, wie ihn VW-Boss Winterkorn und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch nie zuvor bewältigt haben, es geht ums Ganze.

Milliarden für CO₂-Vorgaben, Internet und E-Mobilität

Denn weltweit müssen Autobauer wie Daimler oder Toyota derzeit Milliarden aufbringen, um sich auf strenge CO₂-Vorgaben, die Vernetzung der Autos mit dem Internet und die E-Mobilität vorzubereiten. Auch VW kann sich dem nicht entziehen. So will der Hersteller zwar mehr große Autos bauen - gleichzeitig müssen die Abgaswerte für die gesamte Flotte sinken.

Das geht nur, wenn auch mehr umweltfreundliche Fahrzeuge verkauft werden. Dafür muss investiert werden. "Der hohe Innovationsdruck und die steigenden Anforderungen aus der CO₂-Gesetzgebung erfordern auch in Zukunft hohe Entwicklungsausgaben", sagt Winterkorn.

Deshalb wird gewaltig investiert. VW will bis 2019 etwa 85,6 Milliarden Euro in neue Autos, Antriebe und Fabriken stecken. Knapp die Hälfte verwendet VW dazu, die Produktpalette aller Marken zu erweitern. Darunter ist auch ein SUV für die USA, denn die Amerikaner lieben so große Autos. Parallel sollen Hybrid- und Elektroantriebe optimiert werden. Geplant sind auch eine Fabrik in Polen für den Transporter Crafter sowie ein Audi-Werk in Mexiko.

Mehr als die Hälfte des Geldes fließt in die deutschen Werke, davon profitiert vorrangig das Land Niedersachsen. "Volkswagen bekennt sich mit dieser Planungsrunde einmal mehr klar zum Standort Deutschland", sagt der Konzernbetriebsratschef Bernd Osterloh. Dem mächtigen Arbeitnehmervertreter verschaffen die Investitionen eine Atempause. Denn es dürften bald harte Verhandlungen auf ihn zukommen. Zwar will der Konzern trotz Sparprogramm keine festangestellten Mitarbeiter in Deutschland kündigen - das Programm dürfte aber durchaus etliche der vielen tausend Leiharbeiter treffen.

Investieren und sparen? Für viele Mitarbeiter kaum nachvollziehbar

14.09.2009, Frankfurt, DEU, IAA. Martin Winterkorn, Vorsitzender des Vorstandes VW und Ferdinand Pie

Es geht ums Ganze: VW-Boss Winterkorn (links) und Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch müssen den Konzern neu ausrichten.

(Foto: Hannelore Förster/imago)

Kräftig investieren und gleichzeitig heftig sparen? Für viele der knapp 590 000 Mitarbeiter ist das alles kaum nachvollziehbar. Denn nach außen geht es dem Konzern durchaus gut: So werden im Werk Wolfsburg Sonderschichten für den neuen Golf gefahren, die Arbeitszeitkonten der Arbeiter quellen über vor Überstunden. Nach einem schwierigen Anlauf soll der neue Golf, das wichtigste der mehr als 300 Modelle - nach Abzug aller Kosten - inzwischen mehr als 1000 Euro pro Stück einbringen, heißt es aus dem Werk.

Analysten rechnen damit, dass Volkswagen dieses Jahr sogar mehr als zwölf Milliarden Euro operativen Gewinn anhäufen könnte; so viel wie nie zuvor. Kürzlich hat Konzernchef Winterkorn einen Absatz-Rekord versprochen. "Wir werden in diesem Jahr wahrscheinlich erstmals mehr als zehn Millionen Fahrzeuge verkaufen", sagte er. Dieses Ziel hatte VW offiziell erst für 2018 angestrebt.

Genau diese Diskrepanz zwischen Plan und Ist, zwischen Sparen und Ausgeben macht auch Top-Leute nachdenklich.

Der VW-Konzern ist zu schnell gewachsen

Hat der Konzern schlecht geplant? War man bewusst zu konservativ? Wie gut ist der Konzern wirklich? Langsam sickert die Erkenntnis durch, dass der Hersteller viel zu schnell gewachsen ist. Dass alles viel zu kompliziert geworden ist und zu teuer. Zu viele Modelle, zu viele Komponenten, zu viele Dienstleister. "Wir sind Opfer der eigenen Vielfalt", betont ein Top-Manager.

Wie dringend VW die internen Abläufe verbessern muss, zeigt folgendes Beispiel: Etwa zwei Milliarden Euro könnte VW allein dadurch sparen, dass die 110 Fabriken weltweit besser ausgelastet sind. Das haben sie intern ausgerechnet. Etwa, wenn der Tiguan nicht mehr in Hannover gebaut wird, sondern in Mexiko. Oder wenn das unausgelastete Werk in Indien bald mehr Autos für Lateinamerika baut. VW könnte damit auf Krisen reagieren: Wenn die Autoabsätze in Ländern wie Russland oder Brasilien einbrechen, könnten die Fabriken im Land eben für andere Nationen bauen.

Doch das Ganze gleicht einem gigantischen globalen Puzzle - und es gibt ein Problem: Manches lässt sich nicht locker neu puzzeln. Dafür muss Altes abgeschafft und Neues aufgebaut werden.

Einen Ringtausch von Modellen in andere Fabriken? Möglich machen sollen das Baukastensysteme in der Produktion. Die Idee: Auf einer Plattform können verschiedene Modelle gebaut werden. Durch die hohe Zahl von Gleichteilen sinken die Stückkosten. Momentan setzt VW bereits auf den so genannten Modularen Querbaukasten (MQB), auf dem der Audi A3, der VW Golf, der Seat Leon und viele andere Autos gebaut werden. Bis 2018 sollen es mehr als sieben Millionen Fahrzeuge sein.

Jetzt kommen neue Baukastensysteme hinzu: Entwickelt wird eine Plattform für Lastwagen der Töchter Scania und MAN. Mehr Standard, weniger Vielfalt. Das soll und muss den Durchbruch bringen.

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