Saisonfinale in der Formel 1:Instinkt-Racer gegen Denker

Nico Rosberg und Lewis Hamilton

Nico Rosberg und Lewis Hamilton trieben einander zu immer neuen Höchstleistungen, nun folgt das große Finale.

(Foto: dpa)

Lewis Hamilton oder Nico Rosberg: Die Entscheidung in der Formel-1-WM fällt im letzten Saisonrennen. In Abu Dhabi geht es auch um die große Frage: Was ist besser - den Instinkten folgen oder den Kopf einschalten?

Von René Hofmann, Abu Dhabi

Äußerlichkeiten. Natürlich ist es nicht wichtig, welche Hose Nico Rosberg trägt und welche Schirmmütze Lewis Hamilton. Oder doch? Es gibt Momente im Sport, in denen ist plötzlich alles wichtig. Jedem noch so kleinen Detail kann dann eine Bedeutung zukommen. Lewis Hamilton und Nico Rosberg wissen: An diesem Wochenende wird es für sie viele solcher Momente geben.

Formel-1-Finale: Das klingt groß. Und das ist es auch. Die Welt wird zuschauen, wenn am Sonntag um 14 Uhr (MEZ) zum letzten Mal in diesem Jahr die Startampel ausgeht. Hamilton kommt mit 17 Punkten Vorsprung. Wenn er Zweiter wird, ist ihm der Titel nicht mehr zu nehmen. Er ist der Favorit. Aber tritt er auch so auf?

So kann Rosberg noch Weltmeister werden

Mercedes-Pilot Nico Rosberg (29) hat im Kampf um den WM-Titel 17 Punkte Rückstand auf seinen Teamrivalen Lewis Hamilton. Weil beim Saisonfinale in Abu Dhabi erstmals doppelte Punkte (für einen Sieg 50 statt 25 Zähler) vergeben werden, stehen Rosbergs Chancen noch gut.

Rosberg kann zum ersten Mal den WM-Titel gewinnen, wenn ...

- er in Abu Dhabi gewinnt und Hamilton nicht über Rang drei hinauskommt

- er Zweiter wird und Hamilton nicht über Rang sechs hinauskommt

- er Dritter wird und Hamilton nicht über Rang sieben hinauskommt

- er Vierter wird und Hamilton nicht über Rang neun hinauskommt

- er Fünfter wird und Hamilton nicht über Rang zehn hinauskommt

Zur Ouvertüre hat er eine kurze Hose angezogen und Sneakers, die über die Sprunggelenke reichen. Basketball-Stiefel trotz Wüstenhitze. Soll das ein Zeichen sein? Schaut her, wie cool ich bin! Hamilton gibt gerne den Rapper, den Unangepassten, den Jungen, der es aus einfachen Verhältnissen in Hertfordshire nach oben geschafft hat, der sich durchgeboxt hat, bis er selbst zum Schwergewicht reifte.

Und diese Nummer hält er jetzt auch durch. Er weiß, dass viele Objektive auf ihn gerichtet sind. Er weiß, dass er die Luxusmarke Mercedes repräsentiert und deshalb ein faltenfreies Team-Shirt zu tragen hat. Aber dort, wo er seinen Individualismus zeigen darf, zeigt er ihn gerne.

Die Socken, die aus den Schuhen lugen, zeigen ein kunterbuntes Urwald-Muster. Noch ein Zeichen? Schaut her, wie ungezähmt ich bin! Um den Hals trägt er an langen Ketten zwei goldene Engel. Wofür sie stehen? Verrät er nicht. Aber daraus, dass er an Gott glaubt, hat er nie ein Geheimnis gemacht.

Dicke Brillanten in den Ohren und oben eine Baseball-Kappe mit einem besonders breiten Schild, auf dessen Unterseite der Union Jack prangt. Zu behaupten, Hamilton trete zurückhaltend auf, wäre etwa so, als würde man Angela Merkel ein sprühendes Charisma zuschreiben.

Ob er Druck verspürt, wird Hamilton gefragt. "Nein, überhaupt nicht", kommt die Antwort. Aber sie kommt mit so flachem Atem aus einer so gepressten Brust, dass der Tonfall genau das Gegenteil verrät. Dabei kennt Hamilton die Situation schon. Bereits zweimal ging er mit Titelchancen auf die letzten Runden. 2007, in seinem ersten Formel-1-Jahr mit McLaren, verlor er. Ein kleines Problem reichte.

Im Jahr darauf war es Hamilton, der den Titel an sich riss. In der letzten Kurve der letzten Runde glückte ihm ein Überholmanöver, das ihm den Triumph brachte. Hamilton weiß, wie nahe Glück und Enttäuschung in diesem Geschäft beieinanderliegen. Und wenn der Eindruck nicht täuscht, dann bereitet ihm dieses Wissen kein Behagen.

"Ich muss ihn ja irgendwie nervös machen"

Als er den Raum betrat, hatten die Fotografen eine Bitte: Er und Rosberg sollten sich nebeneinanderstellen und einander eine Hand reichen. Beide taten es artig. Aber während Rosberg sich dem Rivalen freundlich zuwandte, tat Hamilton alles, um den Blick nicht erwidern zu müssen. Diese Haltung wird er die gesamten 40 Minuten durchhalten, die die beiden nebeneinander vor der Weltpresse verbringen.

Ja, solche Begegnungen seien gut für ihn, hat Nico Rosberg zuvor freimütig bekannt. "Ich muss ihn ja irgendwie nervös machen. Dafür sind das Gelegenheiten." Rosberg ist der Angreifer, der Jäger. Die Rolle liegt ihm. Er lacht viel, reißt Witze - dabei ist es ihm offenbar egal, wie viele lachen. Dass Hamilton darüber keine Miene verzieht, dürfte ihm gefallen.

Hamilton und Rosberg trieben sich gegenseitig zu Höchstleistungen

Wie um die Unterschiede noch mal herauszustreichen, hat Rosberg zum weißen Teamhemd eine ordentliche Jeans angelegt und offenbar einige Zeit vor dem Spiegel verbracht, um seinen blonden Haaren mit Gel jene lässige Struwweligkeit beizubringen, die als schick gilt. Er trägt keine Kappe. Vermutlich wurde ihm in Monaco, wo er aufgewachsen ist, früh beigebracht, dass das keine schmückende Kopfbekleidung ist. Zumal in geschlossenen Räumen.

Nico Rosberg ist der Sohn eines berühmten Sportlers. Sein Vater Keke brachte 1982 das Kunststück fertig, mit nur einem Sieg in der Saison Weltmeister zu werden. Die Karriere des Sohnes hat der Senior früh gelenkt. Schon als Teenager hatte Nico Rosberg große Zigarettenfirmen als Sponsor und eine Sendung beim damals noch hippen Musik-Kanal Viva.

So kann Rosberg noch Weltmeister werden

Mercedes-Pilot Nico Rosberg (29) hat im Kampf um den WM-Titel 17 Punkte Rückstand auf seinen Teamrivalen Lewis Hamilton. Weil beim Saisonfinale in Abu Dhabi erstmals doppelte Punkte (für einen Sieg 50 statt 25 Zähler) vergeben werden, stehen Rosbergs Chancen noch gut.

Rosberg kann zum ersten Mal den WM-Titel gewinnen, wenn ...

- er in Abu Dhabi gewinnt und Hamilton nicht über Rang drei hinauskommt

- er Zweiter wird und Hamilton nicht über Rang sechs hinauskommt

- er Dritter wird und Hamilton nicht über Rang sieben hinauskommt

- er Vierter wird und Hamilton nicht über Rang neun hinauskommt

- er Fünfter wird und Hamilton nicht über Rang zehn hinauskommt

So jung wie kaum ein anderer durfte er in der Formel 1 zur Probe fahren. Doch sein rasanter Aufstieg setzte sich in der Königsklasse nicht fort. Mit Williams dümpelte er viele Jahre im Mittelfeld, und er hat die schwierige Aufbauphase des Mercedes-Werksteams vom ersten Tag an miterlebt.

SZ Sport am Wochenende Bild

Rosberg war kein Überflieger wie Hamilton, der vom ersten Rennen an das Material hatte, um Siege zu jagen. In Wahrheit ist es Rosberg, der sich mühevoll an die Spitze gerobbt hat, mit beständiger, gewissenhafter Arbeit. Vermutlich erklärt das, warum er den Showdown offenbar wirklich genießt. Und vermutlich erklärt es auch den ganz besonderen Verlauf dieser Saison.

Hamilton und er bekämpften sich nicht im Wortsinn. Sie trieben einander vielmehr wechselseitig zu immer neuen Höchstleistungen. Das Pendel schwang hin und her. Immer wenn es aussah, als habe es sich für einen entschieden, zwang es der andere zurück auf seine Seite.

Von Anfang September bis Anfang November gewann Hamilton fünf Rennen nacheinander. Beim letzten in Austin, Texas unterlief Rosberg ein fataler Fehler. Er drückte einen falschen Knopf - und schwupp, zog Hamilton vorbei. In dem Augenblick sah es so aus, als sei alles entschieden. Nur eine Woche später aber schlug Rosberg zurück. In São Paulo war er in jedem Training schneller und trieb Hamilton im Rennen mit Bestzeiten in einen Dreher. Seitdem ist wieder alles offen.

Alles hängt von einem Auftritt ab

17 Punkte - das klingt nach viel. Aber die Geschichte lehrt, dass es einen komfortablen Vorsprung nicht gibt, wenn am Ende alles von einem Auftritt abhängt. Michael Schumacher hatte 2003, als er im Ferrari weit voraus fuhr, sogar Mühe, am Ende nur einen einzigen Punkt zu ergattern. Hamilton hat in diesem Jahr schon zehnmal gewonnen, Rosberg glückten fünf Siege. Dafür stand der Deutsche in der Qualifikation häufiger vorne.

Dass es fürs Finale doppelte Punkte gibt, könnte den Wettbewerb verzerren. All das aber wird in Vergessenheit geraten, in Erinnerung wird nur bleiben, wer triumphiert - der Instinkt-Racer Hamilton, der an höhere Mächte glaubt, oder Rosberg, der Denker am Lenker. Und einer weiß schon, dass er in dem Moment zwischen den Stühlen stehen wird: Toto Wolff.

Egal wie es ausgeht, Hamilton und Rosberg werden sich weiter duellieren

Der Österreicher gibt seit zwei Jahren den Motorsportchef für Mercedes-Benz. Dass vor dem letzten Rennen schon feststeht, dass nur die zwei Fahrer der gleichen Marke noch Weltmeister werden können, hat es erst dreimal gegeben. Wolffs größte Sorge: Dass es einen Crash gibt. Oder dass ein technischer Defekt die Entscheidung bringen könnte. Um das Risiko zu minimieren, wurden an beiden Autos so viele Neuteile wie möglich eingebaut.

Egal, wie es ausgeht: Hamilton, 29, und Rosberg, 29, werden sich im kommenden Jahr für Mercedes weiter duellieren. Aus diesem Grund hat Wolff sich vorgenommen, nicht zu laut zu jubeln. Er hat auch keine Sieger-T-Shirts vorbereiten lassen: "Auch der Unterlegene soll den Respekt bekommen, der ihm gebührt."

Lewis Hamilton und Nico Rosberg: Die beiden kennen sich schon lange. Vor 15 Jahren haben sie schon einmal in Gokarts um einen Titel gebalgt. Lange haben sie sich Freunde genannt. Aber davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Freundschaft endet, wo der Ehrgeiz ernst wird. Am Sonntag wird einer von beiden den schönsten Tag seiner Karriere erleben. Und der andere die größte Enttäuschung.

Es ist vermutlich unmöglich, jemanden auf eine solche Erfahrung vorzubereiten. Wolff hat es trotzdem versucht. Er hat den beiden je die Kopie eines Textes von Murray Walker geschickt, in dem der Formel-1-Kommentator über das denkwürdigste Interview räsoniert, das er in seiner langen Karriere bei der BBC geführt hat. Es war das Gespräch mit Niki Lauda und Alain Prost nach dem WM-Finale 1984, der knappsten Entscheidung, die es bis heute gab.

Lauda bezwang seinen McLaren-Kollegen um einen halben Punkt. Zum dritten Mal bekam er den Weltmeister-Pokal überreicht, während Prost mit leeren Händen danebenstand. Für Prost war das eine bittere Niederlage, dennoch verneigte er sich vor dem Rivalen. Für Lauda war es der letzte Triumph. Für Prost eine Lehrstunde. Er wurde später Weltmeister. Viermal.

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