Arcandor:Ramponiert, aber nicht am Ende

Karstadt -Mutterkonzern Arcandor

Der Eingangsbereich der Karstadt-Hauptverwaltungin Essen: War der Mutterkonzern Arcandor gar nicht pleite? Das legen verschiedene Gutachten und Aussagen Beteiligter nahe.

(Foto: dpa)

Zuerst ließen es sich seine Manager bei Luxus-Abendessen und Yacht-Ausflügen gut gehen, dann ging der Karstadt-Mutterkonzern Arcandor pleite. Jetzt zeigen neue Dokumente: Die Insolvenz hätte gar nicht sein müssen.

Von Uwe Ritzer

Gemessen an dem, was man in St. Tropez für ein Abendessen ohne weiteres ausgeben kann, macht sich die Rechnung fast bescheiden aus. 2310 Euro, inklusive 250 Euro Trinkgeld, für die Bewirtung in einem Restaurant des südfranzösischen Küstenstädtchens. 18 Manager und Aufsichtsräte des Reiseveranstalters Thomas Cook speisten dort Mitte September 2008 - samt ihren Frauen. Eingeladen hatte Thomas Middelhoff, Vorstandschef des Thomas-Cook-Mutterkonzerns Arcandor.

Die Gäste flogen im Privatjet ein und wurden in eigens gecharterten Limousinen chauffiert. Drei Tage lang genossen sie Nachtleben, Sightseeing und Shoppingtour in St. Tropez oder lungerten auf Middelhoffs Yacht "Medici" herum; zwischendurch soll es auch mal um das Geschäft gegangen sein. Bezahlt hatte den Luxustrip: Arcandor. Fast 32 000 Euro, inklusive 2200 Euro für sechs Liter Wein und eine hübsche Tischdekoration in Middelhoffs "Villa Aldea" hoch über der Bucht.

Als die Manager sich dort trafen - genau ein Jahr bevor Arcandor in die Insolvenz ging - war der Konzern beileibe nicht nur für Wirte, Autovermieter und Winzer in St. Tropez zum großen Geschäft geworden. Während Zehntausende Mitarbeiter vornehmlich bei den Arcandor-Töchtern Karstadt und Quelle um ihre Existenzen bangten, arbeiteten die Hauptfiguren des angeschlagenen Handelskonzerns längst an Plänen, wie sie am besten ihre Taschen füllen könnten. Gemessen an den Summen, um die es dabei ging, fallen die 32 000 Euro für die reiselustigen Thomas-Cook-Führungskräfte kaum ins Gewicht.

Denn hinter den Kulissen ging es um das ganz große Geld.

Zeugenaussagen und Gerichtsakten geben der Maßlosigkeit Gesichter

Wie viel grenzenlose Gier bei Arcandor im Spiel war, darüber geben die vielen laufenden Gerichtsverfahren und Ermittlungen immer klarer Auskunft. Zeugenaussagen und Gerichtsakten geben der Maßlosigkeit Gesichter. Jenes von Madeleine Schickedanz zum Beispiel. Der Arcandor-Hauptaktionärin ging es nach Middelhoffs Zeugenaussage schon 2005 ganz wesentlich darum, am Ende mit einer Milliarde Euro netto rauszukommen - für einen ruhigen Lebensabend, wie die Quelle-Erbin gesagt haben soll.

Auch Middelhoff selbst sollte fetten Reibach machen: Zusätzlich zu seinem Chefgehalt von monatlich 47 000 Euro sollte er einen Bonus von bis zu 100 Millionen Euro kassieren. Auch Josef Esch wollte Kasse machen, Immobilienentwickler aus Troisdorf und persönlicher Vermögensberater deutscher Geldadeliger. Er spekulierte auf die Karstadt-Immobilien. Für deren Umbau und Modernisierung hätte er wohl weitere jener geschlossenen Immobilienfonds aufgelegt, die er gemeinsam mit der Privatbank Sal. Oppenheim als lukrative Steuersparmodelle für Superreiche entwickelt hatte. Josef Esch und der Bank winkte ein Milliardengeschäft.

Und dann war da noch Karl-Gerhard Eick, der Middelhoff im März 2009 als Arcandor-Vorstandschef ablöste, drei Monate später Insolvenz beantragte und kurz darauf den Dienst quittierte. Eick kassierte 15 Millionen Euro Abfindung, was nicht nur Angela Merkel anrüchig fand. "Wenn Manager nach einem halben Jahr Arbeit mit 15 Millionen Euro abgefunden werden, dann geht etwas kaputt in unserem Land", sagte die Bundeskanzlerin.

Die Umstände der Arcandor-Pleite erscheinen im Rückblick immer merkwürdiger

Kaputt ging vor allem die Arcandor AG. Und die Umstände, unter denen dies geschah, erscheinen im Rückblick immer merkwürdiger. Es erhärtet sich der Verdacht, dass die Arcandor-Pleite vermeidbar war. Nun hat nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auch die Staatsanwaltschaft Bochum festgestellt, was auch in mehreren, unter Verschluss gehaltenen Gutachten von Wirtschaftsprüfern steht: Arcandor war weder zahlungsunfähig noch überschuldet, als Vorstandschef Eick am 6. Juni 2009 den Gang zum Insolvenzgericht antrat. Deswegen stellte die Staatsanwaltschaft Bochum im Oktober Ermittlungen gegen Eick wegen Insolvenzverschleppung ein. Denn wo keine Insolvenz ist, da kann auch keine Insolvenz verschleppt worden sein.

Die Bochumer Ermittler hatten sich monatelang durch Berge von Unterlagen gewühlt, die Aufschluss über die dubiosen Umstände geben, unter denen Arcandor unterging. Ihr Fazit: Es habe damals allenfalls "Hinweise auf eine möglicherweise drohende Zahlungsunfähigkeit" gegeben, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Mehr aber auch nicht.

Drei vertrauliche Gutachten sehen ein tragfähiges Finanzierungskonzept

Eine Einschätzung, die nach SZ-Informationen durch drei vertrauliche Gutachten gedeckt wird. So hatten kurz vor dem Insolvenzantrag Wirtschaftsprüfer von KPMG im Auftrag von Arcandor, und solche von PWC im Auftrag der Bundesregierung, die Bücher durchleuchtet. Die Experten waren sich im Kern weitgehend einig. Es gebe ein tragfähiges Finanzierungskonzept, um den Handelskonzern fortzuführen. Bei der Umsatzrendite sei "ein klar positiver Trend" erkennbar. Arcandor verfüge über ein "nach wie vor intaktes Eigenkapital" für die nächsten vier bis fünf Jahre. Die Banken bezifferten ihr eigenes Kreditausfallrisiko mit maximal 20 Prozent.

Mit Interesse lasen die Bochumer Ermittler auch ein Gutachten des früheren Arcandor-Insolvenzverwalters Klaus Hubert Görg vom 25. August 2009. Darin verweist er auf die KPMG-Expertise, derzufolge Arcandor unmittelbar vor Eicks Insolvenzantrag nicht überschuldet war. Bis heute, so ließ Görg über seinen Anwalt den Staatsanwälten mitteilen, sei er dieser Auffassung. Sie deckt sich mit einer Zeugenaussage von Horst Piepenburg in einem anderen Ermittlungsverfahren. Der als Sanierer bekannte Rechtsanwalt war bei Arcandor unmittelbar nach dem Insolvenzantrag 13 Monate als Generalbevollmächtigter an Bord.

Warum musste das Unternehmen über die Klinge springen?

Arcandor-Gläubigerversammlungen in Essen

Waren die Kassen wirklich so leer wie die Sitze vor der Arcandor-Gläubigerversammlung im November 2009?

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Arcandor war Anfang Juni 2009 also ramponiert, aber offenkundig nicht am Ende. Warum, musste der Konzern trotzdem über die Klinge springen?

"Eick hatte kalte Füße bekommen", sagt ein Insider. "Er wollte auf Nummer sicher gehen", meint ein anderer. Denn drei Tage nach dem Insolvenzantrag, am 12. Juni 2009, liefen Kredite der drei größten Gläubigerbanken Royal Bank of Scotland, BayernLB und Commerzbank aus. Eick hatte darauf gesetzt, die Finanzierung mit Hilfe einer Staatsbürgschaft abzusichern, doch die Bundesregierung lehnte ab. Eicks Plan war damit gescheitert.

Womöglich klärt sich jetzt auch die Geschichte der mysteriösen Spende

Doch was wäre geschehen, hätte er nicht Insolvenz beantragt? Eicks Version: Ohne Staatshilfe hätten die Banken Arcandor drei Tage später den Geldhahn abgedreht. Es habe daher rechtlich keine Alternative zum Insolvenzantrag gegeben. Zumal Arcandor zusätzliches Kapital gebraucht hätte. Eine andere in die Vorgänge involvierte Person sagte jedoch der SZ: "Die Banken hatten bereits signalisiert, Arcandor weiter zu helfen." Zumal auch Belegschaft und Zulieferer zugesagt hatten, für die Sanierung auf viel Geld zu verzichten.

"Es gab berechtigte Aussichten, dass man das noch hinbekommt", sagt der Insider. Die Zeit spielte eher für als gegen Arcandor, meint er. "Politik, Gewerkschaften, Medien hätten einen solchen Druck entfacht, dass die Banken am 12. nicht ohne weiteres den Stecker hätten ziehen können", glaubt ein Insider, "Finanzkrise hin oder her." Womöglich wird all das eine Rolle spielen, wenn Eick an diesem Montag als Zeuge vor Gericht in Köln aussagt. Und womöglich klärt sich dann auch die Geschichte mit der mysteriösen Spende.

Er werde fünf seiner 15 Millionen Euro Abfindung spenden, hatte Eick versprochen, nachdem ihm nicht nur die Bundeskanzlerin Gier vorgeworfen hatte. Eick versicherte später, er habe auch gespendet, an wen sei aber seine Privatsache. Widerlegbar ist das nicht. Andererseits hat sich bis heute auch kein Empfänger geoutet.

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